Berlin

Nonstop Meschugge

Samstagnacht im Bezirk Mitte: In einem Hinterhof führt eine Treppe hinab in den Club »ZMF«, schon am Eingang schlägt einem der typische Geruch eines Kellers entgegen. Die Besucher stört das nicht. Gut gelaunt strecken sie an der Kasse ihren Arm aus, um den Einlassstempel zu bekommen: ein Davidstern, passend zum Partymotto. Denn einmal im Monat wird hier unter dem Titel »Berlin Meschugge! The Unkosher Jewish Night« gefeiert.

Seit einiger Zeit scheinen jüdische Partys in der Hauptstadt zum Trend zu werden. Die wachsende Anzahl von Veranstaltungsreihen geht einher mit der boomenden Beliebtheit Berlins bei jungen Israelis. »Im Moment leben sehr viele Israelis hier, gerade aus der Kunst- und Kultur-, aber auch aus der Schwulenszene«, sagt etwa Gabriel Tichauer. Er gehört als Veranstalter zu den alten Hasen des Berliner Nachtlebens, und beobachtet, dass es immer mehr jüdische Partys oder Partys mit jüdischer Musik gibt. Seine eigenen Abende hätten damit zwar nichts zu tun, dafür exportiert Tichauer das spezielle Berliner Feiergefühl auch nach Tel Aviv: Regelmäßig veranstaltet er in der israelischen Metropole Gastspiele seiner beliebten »Hip Hop Don’t Stop«-Partys und holt umgekehrt israelische DJs nach Deutschland.

Musik Auch Meschugge-Initiator Aviv Netter kommt aus Tel Aviv. Der 26-Jährige steht an diesem Abend als DJ »Aviv without the Tel« selbst an den Plattentellern. Unter blauweißen Wimpeln mit der Flagge Israels und einem leuchtenden Davidstern auf einer Stoffbahn hüpft er voller Energie auf und ab, während aus den Boxen israelische Chart-Hits, Disco-Klassiker und aktuelle Popsongs dröhnen. Um kurz nach Mitternacht ist Netter am DJ-Pult noch der einzige, der tanzt. Die überwiegend mänlichen Gäste ziehen es vor, sich erst einmal in kleinen Grüppchen zu unterhalten oder die Bar zu belagern. Doch vorsichtig wird hier und dort schon im Takt der Musik mitgewippt.

Die Musik ist eines der Merkmale, die die Meschugge-Partys von der »Sababba«-Reihe unterscheiden. Während im Kellerclub vor allem aktuelle israelische Hits laufen, setzen Vernen Liebermann und Daniel Stern, die Sababba-Organisatoren, eher auf die Klassiker – was am Publikum liege. »Für die Israelis ist unsere Musik zu kommerziell«, erklärt Liebermann. »Wir versuchen zwar, auch israelische Charts zu spielen, aber unsere Berliner Gäste kennen eben eher die Klassiker.«

Angebote Seit gut zwei Jahren findet alle drei Monate eine »Sababba«-Party statt, die Reihe hat sich mit regelmäßig 600 bis 700 Gästen in der Hauptstadt etabliert. Sie wirkt wie eine schickere Alternative zu den raueren Meschugge-Abenden, hierher kommt hauptsächlich das eingesessene Berliner Publikum. Gefeiert wird in großen Clubs wie zuletzt dem »Felix«. »Wir treffen uns nicht im Gemeindezentrum, sondern in einem Club, der allen offensteht«, betont Liebermann. »Das zeigt doch, dass wir angenommen werden.« Eine eigene jüdische Partyszene kann Stern allerdings nicht erkennen, dafür finde noch zu wenig statt.

Der gebürtige Berliner sieht in den Partys eine Möglichkeit, ein Stück jüdische Kultur zu zeigen. »Da entsteht ein total emotionales Glücksgefühl, weil man heute in Deutschland wieder auf einer jüdischen Party sein kann.« Überhaupt herrsche bei den ausgelassenen Abenden ein ganz spezielles Zusammengehörigkeitsgefühl. »80 Prozent unserer Gäste sind jüdisch, da kommt eben diese Stimmung auf.« Für ihn sind die Sababba-Feiern daher auch eine Gelegenheit für junge Juden in Berlin, sich auszutauschen.

Gemeinde Umso mehr kritisiert er, dass er von der Jüdischen Gemeinde keine Unterstützung erhält. »Bei denen gibt es doch keine wirkliche Anlaufstelle für junges jüdisches Leben, insofern füllen wir auch irgendwie eine Lücke.« Man müsse die Jüngeren fördern, einbinden und sich um sie kümmern, sonst würden sie wegrennen.

In Kooperation mit der Gemeinde fand hingegen die Jewdyssee Chanukka-Party im vergangenen Jahr statt, die zur »ISreal«-Reihe gehörte. Deren Organisatorin Elina Tilipman will mit »ISreal« Menschen zusammenbringen, die einen Teil von Israel und Tel Aviv miterleben wollen. »Es geht dabei nicht um Religion, sondern um die Musik und die Art zu feiern«, sagt sie.

Um Religion geht es auch Aviv Netter nicht. Um halb eins steht er bei der Meschugge-Party immer noch hinter dem DJ-Pult und haut mit einem aufblasbaren Plastikhammer mit der Flagge Israels im Rhythmus der Bässe durch die Luft. »Ich glaube nicht an Gott, nenne mich aber einen Juden«, so Netter. »Viele meiner Freunde denken so.« Der Wahl-Berliner meint, das sei eine eigene Art und Weise, jüdisch zu sein. »Mit den ›Meschugge‹-Partys lebe ich mein Judentum – aber eben ›the unkosher way‹.«

Botschaft Netter veranstaltet seine Abende mit einem Augenzwinkern: So sind auf den Meschugge-Flyern Rabbiner in Ninja-Pose und fliegende Schweine abgebildet. Wegen dieser Schweine neben einer Israel-Fahne gab es auch schon mal einen Anruf von der israelischen Botschaft. »Die fanden das nicht so lustig«, erinnert er sich grinsend. Dann aber wird er ernst. »Unsere Partys sind der Beweis, dass Tel Aviv eine ganz besondere, lebendige Stadt ist, und ein großer Service für Israelis in Berlin.« Da sei es traurig, dass der einzige Anruf von der Botschaft eine Beschwerde gewesen sei.

Sein Publikum ist mittlerweile mutiger geworden, zu den hämmernden Klängen einer modernen »Hava Nagila«-Form drängt es sich auf der Tanzfläche, die Luft ist stickig und verraucht. »Immer um zwei Uhr gibt es hier einen magischen Moment, dann ist die Stimmung elektrisiert«, verspricht Aviv. Er soll recht behalten: Kaum schlägt es zwei, bilden die Feierwilligen einen Kreis auf der Tanzfläche, nehmen sich bei den Händen und drehen sich begeistert. Andere werfen die Arme in die Luft oder klatschen im Takt. Mit glänzenden Augen wendet sich eine der Tänzerinnen um und ruft: »Siehst du, genau das ist party the jewish way.«

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