Kultus

»Ramen« statt Amen

Die »Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters« will in Österreich anerkannt werden. Gedanken eines Rabbiners

von Rabbiner Walter Rothschild  15.01.2018 16:09 Uhr

»Gottheit« mit Nudel-Stielaugen: das FSM Foto: Thinkstock

Die »Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters« will in Österreich anerkannt werden. Gedanken eines Rabbiners

von Rabbiner Walter Rothschild  15.01.2018 16:09 Uhr

Die »Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters« (KdFSM) versucht derzeit, sich in Österreich formell als Religionsgemeinschaft registrieren zu lassen. Seit vergangenem Montag beschäftigt sich das Bundesverwaltungsgericht in Wien mit einem entsprechenden Antrag der »Pastafari«, die ihre »Gebete« mit »Ramen« (eine asiatische Nudelsorte) anstatt mit »Amen« beenden.

Als Rabbiner bin ich hin- und hergerissen: Im Judentum haben Humor und Parodie eine lange Tradition. Ich bin bekanntermaßen ein Fan der Satire und mache mich gern über fundamentalistische Heuchler lustig, die sich als spirituelle und geistliche Führer ausgeben. Deshalb habe ich die Entwicklung der »Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters« mit Schmunzeln beobachtet. Sie existiert seit 2005 und war ursprünglich nur ein privater Witz des amerikanischen Physikers Bobby Henderson.

Ritus Problematisch wird es allerdings, wenn Leute eine Parodie allzu ernst nehmen und daraus eine neue Version des Glaubens machen – in unserem Fall, wenn die »Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters« Teil des Establishments werden will. Um in Österreich als Religion anerkannt zu werden, braucht es einen Glauben, einen Ritus und, wie das Wiener Gericht festgelegt hat, mindestens 300 »Gläubige«.

Der arme Richter muss sich nun sehr plagen, um zu einer Lösung zu kommen. Denn das Gericht will tatsächlich 300 Mitglieder der »Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters« laden und befragen. Die Pastafari ihrerseits geben sich siegesgewiss: Auf ihrer österreichischen Webseite schreiben sie, die KdFSM habe derzeit »rund 600 Mitglieder, und es werden täglich mehr. Das kann also lange dauern, und es wird noch einige Verhandlungstage geben«.

Und wenn sie Erfolg haben? Sollen Pas­tafari das Recht erhalten, Friedhöfe an­zulegen und Religionsunterricht in Schu­­len zu erteilen? Sollen sie Seelsorge in Gefängnissen leisten, einen Platz im Ethik- oder Rundfunkrat einnehmen oder Geld vom Staat erhalten? In Neuseeland darf die »Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters« schon Eheschließungen durchführen. Hierzulande haben die Pastafari Schilder vor Ortseingängen angebracht, zum Beispiel in Templin in Brandenburg, und ihre »Nudelmessen« in der Öffentlichkeit präsentiert. Das klingt, wenn ich das so sagen darf, sehr deutsch.

Dogmatismus Die Spaghettimonsterbewegung begann als Persiflage auf Fundamentalismus, als Spott über Dogmatismus und Dummheit. Sie hat weltweit viele Anhänger gewonnen. Das fand ich toll – bis die Pastafari anfingen, sich allzu ernst zu nehmen. Sie beanspruchen Meinungsfreiheit für ihre Komödie, können dabei aber auch andere verletzen. Wo liegt die Grenze zwischen einem ernsthaften Versuch, an etwas Wichtiges zu glauben, an einen Sinn des Lebens und des Universums, an Zuflucht und Trost in einer brutalen Welt, und einem unreifen, postpubertären Teenager-Kult?

Manche »glauben« schließlich auch an Harry Potter oder Star Trek, wollen »nach vulkanischem Ritus« heiraten und in einer »Trekkie-Ehe« leben. Wären sie wirklich bereit, für ihren »Glauben« zu leben oder zu sterben? (Und hoffentlich nicht – zu töten?) Der Richter in Österreich hat erst damit begonnen, die »Spaghettimonster«-Anhänger zu befragen, ob sie es ernst meinen. Wo verläuft hier die Grenze zwischen einem Augenzwinkern und einer Missachtung des Gerichts – oder vielleicht sogar einem Meineid?

Ein Freund schrieb mir: »Es gab in Österreich in der Ersten Republik eine durchaus große Freidenkergemeinde, also Menschen, die ihre Ethik auf menschlichen Verstand, aber nicht auf Religionen bezogen hatten. Freidenker haben aber nach dem aktuellen österreichischen Religionsgesetz weniger Rechte als Religionsgemeinschaften. So ist etwa Religionsunterricht in Schulen Pflicht und wird nach Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaft durchgeführt. Freidenker haben diese Möglichkeit nicht.«

Quasi-Religion Die Idee des Freidenkens wurde in eine Quasi-Religion integriert – die des Spaghettimonsters. Natürlich haben die Pastafari in mancher Hinsicht recht. Vieles, was sich »Religion« nennt, ist nur kindliche Fantasie und Neurose und hat Satire mehr als verdient. Vieles, aber nicht alles. Echte Religiosität kann zu echter Menschenliebe führen. Und: Eine leere Seele zu haben, ist traurig, aber Kohlehydrate (ich meine Nudeln) sind wohl kaum das geeignete Medium, um diese Art Leere zu füllen.

Es ist wohl noch zu früh, um zu beurteilen, wie echt die »Nudler« sind. Aber relativ bald, da bin ich mir sicher, wird es einen Skandal geben. Irgendeine Hohe Nudel wird mit Geldspenden verschwinden oder als V-Mann des BND entlarvt werden.

Außerdem erwarte ich mindestens eine Spaltung: zum Beispiel zwischen orthodoxen Nudlern, die sagen, alle Spaghettisorten müssten auf Italienisch etikettiert und ausschließlich von Frauen gekocht werden, und zwischen Liberalen, die meinen, nicht nur Spaghetti, sondern alle Arten von Pasta – wie Tagliatelle, Fusilli, Vermicelli, Fettucine, Lasagne und sogar chinesische Nudeln – seien zulässig. Ich wünsche in jedem Fall: Guten Appetit! Die Macht sei mit euch! Oder einfach nur: Schalom!

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