Porträt der Woche

Drei Hochzeiten und ein Umzug

Yehonatan Cohen ist Amerikaner, wohnt in Berlin und arbeitet in Frankfurt

von Canan Topçu  15.09.2014 17:47 Uhr

Fast leer: Yehonatan Cohen (33) in seiner Berliner Wohnung Foto: Stephan Pramme

Yehonatan Cohen ist Amerikaner, wohnt in Berlin und arbeitet in Frankfurt

von Canan Topçu  15.09.2014 17:47 Uhr

Meine Frau und ich sind derzeit mit Packen beschäftigt. Wir ziehen demnächst um. Das Hin und Her hat dann ein Ende. Seit wir uns kennen, sind wir viel gependelt: erst zwischen den USA und Deutschland, dann zwischen Deutschland und Israel und zuletzt zwischen Berlin und Frankfurt. Acht Monate lang bin ich hin- und hergeflogen. Das war aus beruflichen Gründen nicht anders möglich. Nina hat in einer Berliner Anwaltskanzlei gearbeitet. Für mich als Jurist mit amerikanischem Abschluss gab es dort nicht so viele Möglichkeiten. In Frankfurt dagegen schon. Ich arbeite nun für KPMG, ein großes Wirtschaftsprüfungsunternehmen.

Frankfurt war vor allem mit Arbeit verbunden, hin und wieder habe ich mich mit Kollegen auf einen Drink getroffen oder bin mit ihnen zum Essen gegangen. Die Wochenenden in Berlin waren mit Freizeitaktivitäten ausgefüllt. Meistens bin ich so geflogen, dass ich am Schabbat bei meiner Frau war. Auch wenn ich nicht besonders religiös bin, ist mir der gemeinsame Schabbat sehr wichtig – das habe ich von meiner Familie übernommen: Den Freitagabend haben wir immer zusammen verbracht.

Nina und ich haben uns 2009 in Los Angeles kennengelernt. Das war wirklich ein Zufall! Eine Super-Geschichte ist das! Ich habe damals in einer großen Anwaltskanzlei gearbeitet, Nina machte dort ihr Referendariat. Die Büros waren auf mehrere Etagen verteilt – wenn uns nicht zufällig die Chefs gefragt hätten, ob wir Tickets für ein Spiel der Lakers haben wollen, wären wir uns wohl nie begegnet. Wir beide waren also zur gleichen Zeit in der VIP-Box der Kanzlei, um zusammen mit Kollegen das Basketballspiel anzuschauen. Alle anderen waren begeistert vom Spiel, wir hingegen vom Dessert-Buffet. Wir haben festgestellt, dass wir beide eine Leidenschaft für Essen haben, und sind über die vielen leckeren Sachen ins Gespräch gekommen. Wir haben uns danach mehrmals zum Mittagessen getroffen, sind abends ausgegangen – und ein Paar geworden.

Als Nina dann nach dem Ende ihrer Referendarstation nach Deutschland zurückging, habe ich ihr jeden Tag geschrieben. Im Dezember 2011 habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht, und im Frühling 2012 haben wir in Beverly Hills standesamtlich geheiratet. Im Grunde gab es drei Hochzeitsfeiern – in Los Angeles eine kleine Feier mit den engsten Familienangehörigen, im Herbst 2012 in Israel und dann im Sommer 2013 in Berlin eine richtige jüdische Hochzeit mit einem Rabbiner und allem Drum und Dran.

Teilzeit Wir haben uns dafür entschieden, in Deutschland zu leben, damit ich Deutsch lernen kann. Vereinbart war, dass wir, wenn ich mich hier nicht wohlfühle, nach einem Jahr in die USA gehen. Ich habe mich aber ziemlich gut auf das Leben hier einstellen können. In meinem ersten Jahr habe ich Teilzeit gearbeitet, damit ich Deutschkurse besuchen konnte.

Die Sprache zu lernen, ist nicht leicht für mich. Nach zwei Jahren kann ich zwar schon ganz gut sprechen, aber mir fehlt noch einiges an Vokabeln. Wir möchten Kinder haben, und ich will unbedingt die Sprache verstehen, die meine Kinder mit ihrer Mutter sprechen.

Bei mir früher war das anders: Meine Mutter hat mit uns Kindern Hebräisch gesprochen, mein Vater konnte es nicht. Er ist als Nachkomme rumänischer Emigranten in den USA geboren und aufgewachsen, und meine Mutter stammt aus Israel. Mein Großvater mütterlicherseits ist Mitte der 30er-Jahre aus Köln nach Palästina ausgewandert, er war überzeugt vom Kibbuzleben. Meine Mutter wuchs also im Kibbuz auf. Nach ihrem Studium machte sie eine Reise in die USA. Und weil es ihr in Kalifornien so gut gefiel, blieb sie.

Geboren und aufgewachsen bin ich in Los Angeles. Die jüdische Gemeinde war ein wichtiger Teil meines Lebens, in meiner Familie ist der Kontakt zur Gemeinde sehr eng. Durch meine Mutter habe ich eine intensive Beziehung zu Israel. Seit der Kindheit bin ich regelmäßig dort, besuche Großeltern, Tanten, Onkel, Cousinen und Freunde. Ich habe auch eine Zeitlang da gelebt und studiert – habe einen Master in Politikwissenschaften gemacht, das war 2009/2010.

Identität In Los Angeles ist es nichts Besonderes, jüdisch zu sein. Fast jeder kennt sich mit der jüdischen Kultur und den Feiertagen aus, im Restaurant muss man der Bedienung nicht erklären, was koscher ist. Ein Gefühl dafür, wie es ist, zu einer Minderheit zu gehören, bekam ich erstmals in Santa Cruz, wo ich studiert habe. Nicht ohne Weiteres mein Jüdischsein offenlegen zu können und mir überlegen zu müssen, ob ich sage, dass ich Jude bin, das war sehr schwierig für mich. Die Erfahrungen aus dieser Zeit waren prägend. Damals habe ich mir vorgenommen, mich dafür zu engagieren, dass wir unsere jüdische Identität nicht verbergen müssen. In Deutschland habe ich persönlich keine negativen Erfahrungen gemacht. Das mag auch mit unserem Umfeld zu tun haben, das international geprägt ist.

Mit Antisemitismus habe ich mich hier aber auch beschäftigt – bei der Amadeu Antonio Stiftung. Ich finde, das ist eine ganz wichtige Institution. Durch einen Zufall habe ich bei der Stiftung einen Job bekommen und dort im ersten Jahr nach unserer Ankunft in Berlin gearbeitet. Es war eine sehr interessante Erfahrung. Ich denke: Extremismus in jeder Form ist ein großes Problem für die Gesellschaft. Dagegen muss man die Stimme erheben.

In meinem persönlichen Umfeld nutze ich die Möglichkeiten, die sich für mich ergeben. Ich spreche mit den Leuten auch über das Judentum. Ich denke, dass wir mehr übereinander wissen sollten. Und dafür muss man Möglichkeiten für Begegnungen und Austausch schaffen. In Frankfurt möchte ich mich, wie auch schon in den USA, in jüdischen Organisationen engagieren und am Gemeindeleben teilnehmen.

Entdeckungen Nach dem Umzug belohnen wir uns und machen Urlaub. Ich verreise sehr gern! Wann immer ich Zeit habe, bin ich unterwegs. Ich hatte mir vorgenommen, vor meinem 30. Lebensjahr in mindestens 50 Ländern gewesen zu sein. Leider habe ich das nicht ganz geschafft – es waren nur 49. Ich mag es sehr, auf Reisen Entdeckungen und neue Erfahrungen zu machen. Jetzt bin ich schon sehr gespannt auf Japan. Dorthin fliegen wir auf Wunsch meiner Frau. Das Land interessiert mich aber auch. Wir werden zwei Wochen herumreisen und eine Nacht sogar in einem buddhistischen Kloster verbringen.

Mitte Oktober kommen wir zurück und starten unser gemeinsames Leben in Frankfurt. Es ist mir gelungen, ihr die Stadt schmackhaft zu machen. Wenn sie mich am Wochenende besucht hat, sind wir am Main spazieren gegangen, waren im Palmengarten und sind essen gegangen. Nach einer »Testphase« haben wir beschlossen, Frankfurt zu unserem Lebensmittelpunkt zu machen. Nina hat jetzt hier als Anwältin eine Stelle in einer Kanzlei. Wir haben uns vorgenommen, die Gegend zu erkunden, Fahrrad zu fahren und zu wandern.

Wir sind auch in Berlin viel mit den Rädern unterwegs gewesen, haben Ausflüge an die Seen gemacht. Und noch etwas: Ich werde oft in die Sauna gehen. Das kannte ich nicht. In Kalifornien, wo die Temperaturen nie unter 20 Grad fallen, braucht das keiner. Aber im Winter hier in Deutschland ist das für mich wie Medizin.

In Frankfurt beginnt für uns nun ein neues Kapitel unserer Beziehung. Ich freue mich sehr darauf!

Aufgezeichnet von Canan Topçu

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