Berlin

Orthodoxe Dekade

Langsam füllt sich der Große Gemeindesaal in der Fasanenstraße. Die Gäste stehen in dichten Trauben um die gedeckten Tische herum und plaudern angeregt. Rabbiner Avichai Apel, der die Anwesenden begrüßen will, muss um Ruhe bitten.

Am Festakt anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) nahmen am Sonntagabend auch die rund 200 Rabbiner aus allen Teilen Europas, die wegen der 28. Mitgliederversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER) nach Berlin gekommen waren, sowie zahlreiche weitere Gäste teil – darunter, neben vielen anderen, die beiden Oberrabbiner des Staates Israel, David Lau und Yitzhak Yosef, der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, Rabbiner Yehiel Wasserman von der World Zionist Organization und der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff. Auch der deutsch-israelische Starkoch Tom Franz befand sich unter den Gästen.

Zuversicht Die Reihe der Ansprachen, die an diesem Abend während des mehrgängigen koscheren Menüs gehalten wurden, eröffnete der Berliner Gemeinderabbiner Yitshak Ehrenberg, selbst Gründungsmitglied der ORD. Ehrenberg erinnerte an die Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Pogromnacht, die am selben Nachmittag in der Berliner Brunnenstraße stattgefunden hatte, und sagte, an die zahlreichen Gäste gewandt: »Wir glauben, dass dieser Abend zeigt, dass das Volk Israel lebt.«

Der Rabbiner blickte auf jenen Tag vor zehn Jahren zurück, an dem in Frankfurt am Main dem Zentralrat der Vorschlag gemacht wurde, eine Orthodoxe Rabbinerkonferenz zu gründen. »Die erste Reaktion war: Kommt nicht infrage!« Es gebe schließlich eine Allgemeine Rabbinerkonferenz. »Heute, zehn Jahre später, ist die ORD eine Selbstverständlichkeit«, so Ehrenberg.

Zentralratspräsident Dieter Graumann sagte in seinem Grußwort – auch er musste sich zunächst Gehör verschaffen, denn der erste Gang war bereits aufgetragen worden –, es bereite ihm ein »ganz besonderes Gefühl, dass Sie alle, Rabbiner aus ganz Europa, heute hier sind«. Es sei ein »Zeichen jüdischer Solidarität, dass Sie an diesem Tag« – also einen Tag nach dem 75. Jahrestag der Pogromnacht – »gerade in Deutschland sind«, so Graumann. An die Mitglieder der ORD gewandt, sagte der Zentralratspräsident: »Wir bewundern das, was Sie getan haben, und Sie haben ganz viel Respekt von uns verdient.«

Graumann bemerkte, dass viele Juden ihre jüdische Identität heute nicht mehr aus der Religion schöpfen würden. Dies sei aber ein Problem, denn: »Ohne Religion ist alles nichts.« Hier liege die Aufgabe der Orthodoxen Rabbinerkonferenz. Er fügte hinzu: »Unsere ORD soll stark und einig sein, dann wird das Judentum in Deutschland wieder blühen.«

Bedürfnisse Rabbiner Avichai Apel, Mitglied des Vorstands der ORD, umriss die Aufgaben, die die orthodoxen Rabbiner in der Zukunft erwarten. »Die Zukunft der Gemeinden sichern wir nicht nur durch Facebook-Seiten von Rabbinern, sondern indem wir die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder erfassen.« Dazu seien führungsstarke Persönlichkeiten gefordert, die in der Lage sind, persönliche Beziehungen aufzubauen – und die möglichst über zusätzliche Qualifikationen verfügen. Im Sinne von Rabbiner Samson Raphael Hirschs Verbindung von Tora und Bildung sei es »eine deutsch-jüdische Tradition, dass ein Rabbiner auch Gelehrter ist«. Der Rabbiner von heute müsse, so Apel, eine Führungskraft sein, die »die Worte der Tora in die moderne Zeit übersetzt, ohne die Tora zu ändern«.

Rabbiner Boris Mints aus Moskau, Mitglied der Europäischen Rabbinerkonferenz, sicherte den deutschen Rabbinern die Unterstützung der CER zu: »Wir verstehen die Größe der Aufgabe, die vor ihnen steht.« Anschließend überreichte er Zentralratspräsident Dieter Graumann ein Geschenk in Form einer Arche Noah aus Porzellan.

Assimilation Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, vertrat die Ansicht, nicht der Antisemitismus, sondern die Assimilation sei die größte Gefahr für das Fortbestehen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, worauf er spontanen Applaus erhielt. »Insofern sind Sie persönlich verantwortlich für das Fortbestehen des Judentums in Deutschland und Europa«, so Joffe an die Adresse der Rabbiner.

Eine besondere Ehre für die ORD war die Anwesenheit des sefardischen und des aschkenasischen Oberrabbiners von Israel, Yitzhak Yosef und David Lau. Beide verglichen in ihren Grußworten die deutschen Rabbiner mit dem biblischen Stammvater Jakob. So wie Jakob in der Lage war, ganz allein den Stein vom Brunnen in Haran zu wälzen, um die Herde seines Onkels Laban zu tränken, so verleihe auch das Studium der Tora dem Menschen, der sich ihr wirklich mit Hingabe widmet, Kraft, erklärte Rabbiner Yosef. Den Rabbinern bescheinigte er: »Ihr macht eine heilige Arbeit hier in Deutschland. Ihr habt die Wüste fruchtbar gemacht.«

Rabbiner Lau ergänzte, so wie Jakob zweimal sieben Jahre für Laban arbeiten musste und danach heimkehrte und an sein altes Leben anknüpfte, so knüpften auch die orthodoxen deutschen Rabbiner »an die großen Namen von Aschkenas« an und trügen »die Tradition der jüdischen Vergangenheit in die Gegenwart«. »Vor 75 Jahren wurde klar, dass es keine Zukunft für das Judentum in Deutschland mehr gibt«, so Lau. »Heute sieht man in Berlin die große Vergangenheit des Judentums. Die 50 Rabbiner der ORD stellen die Vergangenheit wieder her.«

Anerkennung Rabbiner Yehiel Wasserman lobte die »fantastische Arbeit der Rabbiner« der ORD. Auch er kam noch einmal auf den Stammvater Jakob zu sprechen. So wie Gott diesem gelobt habe, ihn in das Land seiner Väter zurückzubringen, brächten »die Rabbiner der ORD die Menschen zurück zu den Werten der Mizwot«. Und Wasserman versprach: »Wir helfen ihnen dabei, so gut wir können, und wir sehen die Früchte ihrer Arbeit.«

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz wurde 2003 in Frankfurt am Main von elf Rabbinern gegründet. Heute gehören der ORD 48 Rabbiner aus 31 jüdischen Gemeinden in Deutschland an. Ziel der ORD ist es, sich um den Erhalt und die Weiterentwicklung jüdischen Lebens und jüdischer Tradition sowie der Halacha in Deutschland zu kümmern. Ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Integration von zugewanderten Juden aus osteuropäischen Staaten in die jüdischen Gemeinden Deutschlands.

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