Fussball

»Wir sind doch unpolitisch«

»Wir bauen eine U-Bahn von Aue bis nach Auschwitz«: Heimspiel des FSV Zwickau gegen FC Erzgebirge Aue II Ende November Foto: Ralf Koehler / propicture

Ende November, Zwickau in Sachsen, Sportforum Sojus: Während der örtliche Fußballklub FSV Zwickau mit 3:0 gegen die zweite Mannschaft des FC Erzgebirge Aue gewinnt, geht es auf den Rängen des Stadions hoch her: Zuschauer stimmen das berüchtigte »U-Bahn-Lied« an: »Wir bauen eine U-Bahn von Aue bis nach Auschwitz«. Zeugen berichten auch von Rufen wie »Terrorzelle Zwickau – olé, olé, olé« oder »NSU« (Nationalsozialistischer Untergrund).

Aufgehängt ist eine Norwegen-Fahne, die einige Zuschauer mit dem Oslo-Attentäter Anders Breivik assoziieren. Andere denken an das bei Neonazis beliebte Modelabel »Thor Steinar«, das oft mit der norwegischen Flagge arbeitet. »Thor Steinar«-Kleidung ist im Stadion verboten, daher halten die Fans das Transparent hoch: »Wir kleiden uns neu ein für unseren Verein«.

Die Stimmung auf den Rängen setzt sich in der Mannschaftskabine fort. Nach dem Abpfiff feiern die FSV-Spieler den Gewinn der Herbstmeisterschaft in der fünftklassigen Oberliga mit lauten »Sieg«-Rufen, irgendwann antwortet ein Spieler: »Heil!«

verunglimpfung Zunächst reagiert der Verein geschockt, spricht von »faschistischer Gesinnung« und von Scham »angesichts der Opfer brauner Gewalt«. Doch schon zwei Tage später will beim FSV Zwickau niemand mehr etwas davon wissen. »Wir müssen uns den Vorwurf machen, dass wir anfangs geglaubt haben, was behauptet wurde, weil so viele Medien es berichtet hatten«, sagt Jörg Schade, Geschäftsführer des FSV Zwickau, zur Jüdischen Allgemeinen. In einer Stellungnahme spricht der Vorstand von »gezielt überzogenen und nicht zutreffenden Informationen«, das seien bloß alles »Verunglimpfungen der gesamten Anhängerschaft des Vereins«.

Nicht einmal, dass FSV-Präsident Gerhard Neef der Tageszeitung »Freie Presse« gesagt hatte, er wisse, wer der »Sieg Heil«-Rufer ist, will der Verein noch bestätigen. Und zur Fahne sagt Geschäftsführer Schade: »Das ist doch nur die Staatsflagge«, und das Transparent der Fans, die sich neu einkleiden wollen, habe der Verein vorher genehmigt. Wichtig ist für Schade: »Die 2.000 Besucher des Spiels müssen wir vom Generalverdacht befreien, Neonazis zu sein.«

Um sich von jeder Kritik freizusprechen, hat der Verein auf seiner Website sogar das Formular einer »Persönlichen Erklärung« eingestellt, wo die Besucher ankreuzen können, ob sie »rassistische und/oder antisemitische Gesänge bzw. Sprechchöre wahrgenommen/nicht wahrgenommen« haben.

Mit Polizei oder Staatsanwaltschaft sind die Aktionen nicht abgesprochen. »Wir nehmen es nicht hin, dass der Verein versucht, die Vorfälle intern zu klären«, sagt Antje Dietsch, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Und zu den widersprüchlichen Aussagen der FSV-Führung erklärt sie: »Nun wollen wir genau wissen, welche Aussagen richtig sind.«

Und: »Diese Personen werden sich eine Menge Fragen gefallen lassen müssen.« Mathias Merz, Sprecher der Stadt Zwickau, kritisiert, dass der Verein in einer Stellungnahme »im Namen der Stadt« gesprochen habe. Auch inhaltlich sieht man bei der Stadtverwaltung die Vorfälle anders: Zumindest die »Sieg Heil«-Rufe und das Transparent, das auf »Thor Steinar« Bezug nimmt, hat es definitiv gegeben. »Diese Dinge sind passiert«, sagt Merz. »Man kann sie nicht vom Tisch wischen.«

ermittlung Zwei Verfahren sind derzeit bei Staatsschutz und Staatsanwaltschaft anhängig: eines wegen der »Sieg Heil«-Rufe in der Kabine. Da hat, wie Antje Dietsch sagt, die Vereinsführung der Staatsanwaltschaft mittlerweile doch noch den Namen des Spielers genannt. Zum anderen ermittelt die Polizei wegen des »U-Bahn-Liedes«. Hier müsse noch geklärt werden, ob der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt sei. Bei dem Ruf »Terrorzelle Zwickau – olé, olé, olé«, der auf das rechtsextremistische NSU-Netzwerk Bezug nimmt, sei das wohl nicht der Fall, so Dietsch: »Das ist sicherlich moralisch verwerflich«, aber der Nachweis einer strafrechtlichen Relevanz sei zumindest »schwierig«.

Die Personen, die angeben, den Gesang gehört zu haben, befanden sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft außerhalb des Stadions. Es handelt sich dabei um FSV-Anhänger aus dem Umfeld des Ultra-Fanclubs »Red Kaos«. Von ihnen wurde der Vorfall überhaupt erst publik gemacht. Allerdings behauptet »Red Kaos« inzwischen auf seiner Website, die Behauptung, dass die Information auf ihn zurückginge, sei »schlichtweg falsch«. Für Interviews steht die Gruppe nicht zur Verfügung. In der »Freien Presse« war auch der Leiter des Zwickauer Fanprojekts, Michael Voigt, als Zeuge genannt worden. Doch auch der ist zu keinem Interview mehr bereit.

Aus Protest gegen Stadionverbote boykottiert der als links geltende »Red Kaos« in jüngster Zeit die Heimspiele, auch das gegen Aue. Daher waren die »Red Kaos«-Fans auch an jenem Tag nicht im Stadion.

Nun versuchen offenbar gut organisierte Neonazis, das Geschehen auf den Rängen zu bestimmen. »Bislang sind solche Leute im Block untergegangen«, sagt der Aue-Fan Stefan Colditz, der bei dem Spiel dabei war, in der »Freien Presse«. »Seitdem aber ›Red Kaos‹ nicht mehr im Block steht, ist das viel auffälliger.«

nazikader Das Geschehen im Fanblock wird von dem Club »A-Block« dominiert, dem Beobachter nachsagen, Anlaufpunkt rechter Fans zu sein. Sogar Kader aus Ost-Thüringen und West-Sachsen, die früher zum Teil im »Thüringer Heimatschutz« aktiv waren – dem auch die drei mutmaßlichen Haupttäter des NSU entstammten –, sollen nach Informationen aus Antifa-Kreisen beim FSV Zwickau gesehen worden sein – zuletzt beim Heimspiel gegen den 1. FC Lok Leipzig Mitte November.

Bislang seien die »A-Block«-Fans eher »Dorfnazis und Alltagsrassisten« gewesen, lautet eine Insider-Einschätzung. Doch mittlerweile seien organisierte Nazikader sehr aktiv dabei, FSV-Fans zu rekrutieren. Auch der Fanclub »A-Block« hat eine Stellungnahme auf seiner Website veröffentlicht: »Niemand hat von den genannten Naziparolen Notiz nehmen können«, heißt es da. Einmal habe man »einen gänzlich unbelehrbaren Stimmungsmacher«, der mit den Parolen anfing, sogar selbst aus dem Block entfernt.

Dieser Lesart schließt sich auch Geschäftsführer Schade an: »Das ist doch gut, wenn hier sofort Zivilcourage gezeigt wird.« Gleichwohl wehren sich die »A-Block«-Fans gegen das »Thor Steinar«-Verbot. O-Ton der Stellungnahme: »Wir verwehren uns dagegen uns als Nazis, aufgrund einer Textilie bagatellisieren zu lassen.«

Zunächst hatte der FSV Zwickau sich gegen den Rechtsextremismus positioniert. Dem Appell der SPD-Oberbürgermeisterin Pia Findeiß »Aufstand der redlichen Zwickauer gegen braune Gewalt« hatte sich der Vorstand angeschlossen. Mittlerweile sagt Geschäftsführer Schade: »Wir sind ein unpolitischer Verein.«

Den Haag

Erste Entscheidung in Klage gegen Deutschland am Dienstag

Im Verfahren Nicaragua gegen Deutschland will der Internationale Gerichtshof am Dienstag seinen Beschluss zu einstweiligen Maßnahmen verkünden

 26.04.2024

Meinung

Steinmeier auf Kuschelkurs mit einem Terrorfreund

Der Bundespräsident untergräbt mit seiner Schmeichelei gegenüber Recep Tayyip Erdogan einmal mehr Deutschlands Staatsräson

von Nils Kottmann  26.04.2024

Berlin

»Menschen haben nach dem 7. Oktober ihr wahres Gesicht gezeigt«

Ahmad Mansour wundert sich nicht über die Schließung zweier Jugendzentren in Berlin

von Sophie Albers Ben Chamo  26.04.2024

Diplomatie

USA, Großbritannien und Kanada verhängen Sanktionen gegen Iran

Es handelt sich um eine Reaktion auf den iranischen Angriff auf Israel

 26.04.2024

USA

Antiisraelische Proteste an Unis: Abschlussfeier abgesagt

An der Ostküste werden mehr als hundert Festnahmen gemeldet

 26.04.2024

Berlin

Polizei verbietet antiisraelisches »Palästina-Protestcamp«

Die Teilnehmer hätten Straftaten begangen, darunter auch Volksverhetzung, sagt die Polizei

 26.04.2024

Köln

Wallraff-Preis für israelische und palästinensische Initiativen

Mit gemeinsamen Aktionen setzen sich »Women of the Sun« und »Women Wage Peace« für Frieden ein

 26.04.2024

Berlin/Gaza

Brief an Hersh Goldberg-Polin

Lieber Hersh, wir kennen uns nicht – und doch sind unsere Lebenswege verbunden ...

von Ruben Gerczikow  26.04.2024

Berlin

Zentralrat der Juden kritisiert deutsche UNRWA-Politik

Josef Schuster: »Die Bundesregierung tut sich mit dieser Entscheidung keinen Gefallen«

 26.04.2024