Berlin-Mitte

Zwei Präsidenten in der Aula

Im Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn: Israels Präsident Reuven Rivlin (l.) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r.) Foto: Marco Limberg

Ausnahmezustand am Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn: Schon Stunden vor Beginn des Besuchs von Israels Staatspräsident Reuven Rivlin und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag sichern Polizisten die Straßen ringsum. Dann kreist auch ein Hubschrauber über der Schule.

Pünktlich um halb elf ist es so weit: Ein Chor aus jüngeren Schülern empfängt die prominenten Gäste im Hof vor dem Gebäude, an dem die deutsche und die israelische Flagge angebracht sind – mit hebräischen Liedern wie »Gescher Zar Meod« (»eine sehr schmale Brücke«) und »Hewenu Schalom Aleichem«. Rivlin singt lauthals mit. Für Steinmeier gibt es »Mein kleiner grüner Kaktus«.

AULA In der Aula wurden die Staatsoberhäupter von Gideon Joffe begrüßt, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Schulleiter Aaron Eckstaedt führte in das Gespräch ein. Anschließend diskutierten die beiden Präsidenten mit einer größeren Gruppe von Schülern aus der Oberstufe.

Anlass des Besuches war das Gedenken an den 75. Jahrestag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz. Steinmeier und Rivlin hatten in der Vorwoche am World Holocaust Forum in Jerusalem und am Montag an der Gedenkzeremonie in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau teilgenommen.

Rivlin nutzte die Gelegenheit des Dialogs mit den Schülern, um für den multikulturellen Staat Israel zu werben.

Rivlin nutzte die Gelegenheit des Dialogs mit den Schülern, um für den multikulturellen Staat Israel zu werben. Deutschland und Israel teilten gemeinsame Werte, betonte er. Auch sei Israel nicht als »Entschädigung« für den Holocaust gegründet worden. Er sei sehr stolz auf den demokratischen jüdischen Staat, unterstrich Israels Präsident.

Während sich Steinmeier eher zurückhielt, gab Rivlin den Entertainer. Er stellte sich mit seinem Spitznamen »Ruvi« und als »Sohn eines Sohns eines Sohns eines Sohns eines Jerusalemers« vor, als Einwohner Jerusalems in der siebten Generation. Er wisse die meisten seiner Antworten schon, sagte er zu Beginn. Als er aber behauptete, Hebräisch sei eine »ziemlich einfache« Sprache, widersprach ihm ein Schüler direkt: »Würde ich nicht sagen.«

Während sich Steinmeier eher zurückhielt, gab Rivlin den Entertainer.

Rivlin sprach von den »vier Stämmen in Israel«: den säkularen Juden, den »extremen Orthodoxen«, den »nationalen Orthodoxen« und den israelischen Arabern. Der fünfte Stamm, so Rivlin, seien die Juden in aller Welt.

Verantwortung Bei dem Gespräch mit den Schülern ging es vor allem um Antisemitismus, Rassismus und den Umgang mit der NS-Vergangenheit. Lehrer und Schulen hätten die Verpflichtung, über den Nationalsozialismus, die Schoa und die Verantwortung dafür zu informieren, sagte Steinmeier.

»Was mich besorgt, ist, dass sich die Rolle der Schulerziehung ändert, weil der Einfluss der sozialen Medien heute mit der Erziehung in Schulen und Familien konkurriert«, sagte der Bundespräsident. Er betonte, junge Menschen sollten Israel, die Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem oder ehemalige Konzentrationslager besuchen.

Rivlin warnte, es gebe wieder »Wellen von Antisemitismus, Hass und Rassismus« in der ganzen Welt. »Wir haben jetzt die vierte, fünfte, sechste Generation nach dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg«, sagte der israelische Präsident. »Wir müssen einen Weg finden, um euch und eure Kinder wissen zu lassen, was passiert ist, und zu vermeiden, dass sich dies wiederholt.«

LEISTUNGSKURS Die Jugendlichen sprachen in flüssigem Englisch – einige von ihnen besuchen den Englisch-Leistungskurs – über persönliche Erfahrungen in Deutschland und Israel. Einige Schülerinnen und Schüler, nicht nur Juden, berichteten über Ausgrenzung und Mobbing an anderen Schulen. Deswegen seien sie auf das Jüdische Gymnasium gewechselt. Eine Schülerin sagte, sie sei wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert worden.

»In Israel sollte man auch lernen, wie Deutschland jetzt ist«, wünschte sich eine Schülerin.

Andere sagten, sie besuchten das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn, um die jüdische Tradition besser kennenzulernen und Hebräischkenntnisse zu vertiefen. Eine christliche Schülerin betonte, sie wolle nicht nur die eigene Religion kennenlernen. Ein Schüler, der einen jüdischen Vater, aber keine jüdische Mutter hat, erzählte von seiner Konversion zum Judentum und erntete spontanen Applaus.

Eine weitere Schülerin berichtete, sie werde bei Besuchen in Israel immer gefragt, wie sie in Deutschland leben könne. »In Israel sollte man auch lernen, wie Deutschland jetzt ist. Deutschland übernimmt Verantwortung für die Geschichte, das ist großartig.«

Nach dem Besuch der beiden Präsidenten äußerten sich viele Schüler zufrieden über die Veranstaltung. Einige hatten aber auch kritische Anmerkungen. Gespräche junger Juden mit Politikern drehten sich immer um die gleichen Fragen, sagte ein Schüler.

Jüdische Schüler würden zu sehr als Opfer präsentiert, bemängelte eine andere Schülerin. Sie wünsche sich weniger »traurige Geschichten«, sondern eine umfassendere Darstellung des Lebens junger Juden. Ein weiterer Schüler ärgerte sich, weil er Steinmeier gerne kritische Fragen zum Glückwunschtelegramm des Bundespräsidenten zum 40. Jahrestag der iranischen Revolution gestellt hätte, die Zeit für das Gespräch aber schon vorüber war.

Auch nichtjüdische Schüler berichteten über Mobbing an Schulen.

Das Jüdische Gymnasium ist eine staatlich anerkannte Privatschule der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Derzeit lernen dort 441 Schüler, Tendenz steigend. Etwa 60 Prozent der Schüler sind jüdisch, 40 Prozent sind nichtjüdisch. 48 Prozent der Schüler haben Deutsch nicht als Muttersprache gelernt. Viele von ihnen stammen aus Familien aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. (mit dpa)

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