ZWST

Zum Erholen in Deutschland

Es ist stürmisch auf dem Vorplatz des Kölner Doms, als Abraham Lehrer, der Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, gegen Mittag das Wort an die 40 Jugendlichen aus dem Kibbuz Kfar Aza richtet. Kfar Aza liegt nahe der Grenze Israels zu Gaza und war am 7. Oktober von palästinensischen Terroristen überfallen worden. Mehr als 100 Bewohner, darunter viele Säuglinge und Kinder, wurden von der Hamas ermordet, 18 Bewohner als Geiseln verschleppt.

Etliche der Jugendlichen tragen weiße Hoodies mit dem Logo ihres Kibbuz. Lehrer begrüßt sie in Köln, sagt ihnen, wie froh er sei, dass sie in Deutschland sind. Gleich würde man zusammen den Kölner Dom besichtigen, aber wenn man ihn später verlasse, sei es wichtig, Ruhe zu bewahren: »Auf der anderen Seite des Hauptbahnhofs findet um 14 Uhr eine propalästinensische Demonstration statt. Es könnte sein, dass ihr Teilnehmer auf dem Weg zu der Kundgebung seht. Bitte sprecht sie nicht an und lasst euch auf keine Diskussionen ein.« Einige Jugendliche nicken, andere schauen verwundert. Nevo (18) nimmt die Demonstration souverän mit einem Schulterzucken hin: »In einer Demokratie hat jeder das Recht, für seine Meinung auf die Straße zu gehen.«

Für Robert Kleine, den Kölner Stadtdechanten, ist es eine Freude, die Gruppe im Dom zu begrüßen. Er führt sie durch die Kirche, erklärt kurzweilig die Besonderheiten gotischer Kathedralen und baut Brücken zum Judentum, wo immer es geht: Da sei Jesus, der ja ein Jude war, und Propheten wie Jesaja, Jeremias und Daniel, die auch aus der Tora bekannt seien. Neugierig schauen sich die Jugendlichen im Dom um. Nach der Besichtigung geht es mit einem Baustellenfahrstuhl in das Dachgebälk der Kirche. Gruppenweise fährt man nach oben, um den Ausblick über Köln zu genießen.

Gespräch mit einem Mädchen aus Kfar Aza

Später berichtet Lehrer von einem Gespräch, das ein Mädchen aus Kfar Aza mit dem Dombaumeister geführt hat. Der fragte sie, ob sie den Fahrstuhlknopf bedienen möchte: »Mit dem oberen Knopf kommen wir in den Himmel, der untere bringt uns zur Erde.« Das Mädchen antwortete ihm: »Ich will den oberen Knopf drücken. Mein Vater wurde am 7. Oktober ermordet und ist jetzt im Himmel.«

Nachbarn stehen vor dem Leuchter und wollen ihre Solidarität zeigen.

War der Sonntag ein trauriger Tag? Nein, trotz allem, was die Jugendlichen erlebt hatten, war er das nicht. Allerdings hatten sowohl die Gemeinde als auch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) Erfahrungen im Umgang mit jungen Israelis: »Wir haben auch schon Gruppen nach massiven Raketenangriffen in Köln gehabt. Wir können ihnen keinen Urlaub bieten, und sie werden nicht vergessen, was sie erlebt haben, aber wir können ihnen einfach ein paar Tage lang etwas anderes bieten.«

Aron Schuster, der Direktor der ZWST, berichtet von den engen Kontakten, die zum Kibbuz Kfar Aza bestehen würden. Es habe schon 2014 ein gemeinsames Sommermachane gegeben. »2016 haben wir dann in dem Kibbuz einen Spieltreffpunkt aufgebaut. Auch der wurde zerstört.« Schuster zieht sein Smartphone aus der Tasche und zeigt Fotos von bunten Spielgeräten mit Einschusslöchern.

In der Synagogengemeinde am Rathenauplatz feiern die Jugendlichen mit der Gemeinde nach einem Mittagessen Chanukka. »Es ist das erste Mal, dass ich Chanukka nicht zu Hause bin. Eigentlich ist es ja ein Familienfest«, sagt die 17-jährige Gome. Aber es gefalle ihr gut in der Gemeinde, und in Deutschland würde sie sich auch nicht unsicher fühlen. In Israel seien sie und die anderen in einem Hotel untergebracht. »Unser Kibbuz liegt im militärischen Sperrgebiet. Es ist noch zu gefährlich für uns, zurückzukehren.« Aber die allermeisten Bewohner hätten genau das vor: »Sonst hätte die Hamas gewonnen«, sagt Nevo.

18 Bewohner aus Kfar Aza wurden entführt

18 Bewohner aus Kfar Aza waren von den Terroristen entführt worden. Zehn Menschen sind noch in ihrer Gewalt. Sie fehlen an diesem Chanukka. »Ein Freund von uns«, sagt Gome, »ist erst in der vergangenen Woche freigekommen. Wir müssen alles dafür tun, damit auch die anderen befreit werden.« Im Gemeindesaal hängen Plakate, auf denen die Bilder und Namen der Geiseln zu sehen sind. Ihre Gesichter füllen die ganze Wand. Ein Herz auf den Plakaten zeigt, wer wieder in Freiheit ist, ein schwarzer Balken, wer ermordet wurde. Es sind viel zu viele schwarze Balken.

Trotzdem tanzen die Jugendlichen schließlich mit allen anderen im Gemeindesaal. Sie bewegen sich wild zur Musik, singen laut und fassen sich an den Schultern. Es ist ein fröhlicher Tanz, aber er ist auch voller Trotz. Auch die Kölner Gemeindemitglieder sehen zufrieden aus, denn sie freuen sich, Kindern aus Israel einen schönen Tag bereiten zu können. Und sie applaudieren, als Felix Schotland vom Vorstand der Synagogengemeinde sagt, Chanukka sei das Fest des Wunders: »Aber wir brauchen jetzt kein Wunder, denn wir haben eine starke IDF, und sie verteidigt unsere Heimatstädte in Israel.«

Am Mittwoch waren die Jugendlichen aus Israel nach Deutschland gekommen. Nur den Sonntag über sind sie in Köln. Frankfurt haben sie schon gesehen. Was steht noch auf dem Programm? »Der Schwarzwald«, sagen Gome und Nevo. In Deutschland seien die Wälder grüner als in Israel, und vor allem gebe es hier im Winter Schnee. »Wir haben zwar auch Schnee auf dem Mount Hermon, aber um den zu sehen, steht man vier bis fünf Stunden im Stau.«

Etwa 400 Interessierte stehen vor dem Chanukkaleuchter

Ein paar Tage früher, und sie hätten noch Schnee in Köln sehen können, aber es ist ein milder Tag, als sie gemeinsam mit der Gemeinde auf den Rathenauplatz gehen. Dort ist ein großer Chanukkaleuchter aufgebaut. Die Polizei hat den Platz gesichert, aber zum Kerzenanzünden sind nicht nur die Gemeindemitglieder und Gome, Nevo und ihre Freunde gekommen: Etwa 400 Interessierte stehen vor dem Leuchter.

Viele wohnen in der Nachbarschaft, andere sind aus anderen Teilen der Stadt gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen. Henriette Reker (parteilos), Kölns Oberbürgermeisterin, umarmt Abraham Lehrer und hält eine kurze Rede: »Heute ist für mich ein Moment der Hoffnung«, sagt Reker. »Ein Lichtblick ist für uns vor allem unsere Gemeinschaft, die hier sehr deutlich wird.«

Als Reker spricht, verlassen die Jugendlichen den Rathenauplatz. Für sie geht es an dem Abend zum Bundesligaspiel des 1. FC Köln gegen den 1. FSV Mainz. Eine gute Gelegenheit, sich von einem langen Tag zu erholen: Die Partie endet mit einem 0:0.

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