Hamburg

Zehn Mädchen, zehn Jungen

Gedenkstele am Bullenhuser Damm: Walter Jungleib war einer der hier ermordeten Kinder. Foto: imago images/epd

Hamburg

Zehn Mädchen, zehn Jungen

Gedenken an die Kinder vom Bullenhuser Damm

von Heike Linde-Lembke  07.05.2020 08:55 Uhr

Am 28. November 1944 traf im Konzentrationslager Neuengamme ein Transport mit 20 jüdischen Kindern aus Auschwitz ein. Die zehn Mädchen und zehn Jungen waren zwischen fünf und zwölf Jahren alt und stammten aus Polen, den Niederlanden, Frankreich, Italien und der Slowakei. Der Arzt Kurt Heißmeyer führte an diesen gesunden Kindern medizinische Experimente mit Tuberkulose-Erregern durch.

Als sich die britischen Truppen Hamburg näherten, brachten SS-Männer die inzwischen schwer kranken Kinder am 20. April 1945 in das zuvor als KZ-Außenlager genutzte Schulgebäude am Bullenhuser Damm in Hamburg-Rothenburgsort. Die Männer ermordeten die Kinder, um die pseudomedizinischen Versuche zu vertuschen.

Außerdem erhängte die SS zwei zur Betreuung der Kinder eingesetzte niederländische Häftlingspfleger und zwei französische Häftlingsärzte, die als Widerstandskämpfer inhaftiert waren. 24 sowjetische Häftlinge, deren Identität bis heute unbekannt ist, wurden ebenfalls ermordet.

Die SS-Männer ermordeten die Kinder, um die pseudomedizinischen Versuche zu vertuschen.

Die Gedenkstätte Bullenhuser Damm mit dem Rosengarten zur Erinnerung an die Kinder ist heute ein wichtiger Erinnerungsort. Über die Geschichte der Kinder vom Bullenhuser Damm wird weltweit in Holocaust-Museen, mit Filmen, Theaterstücken und in zahlreichen Schulprojekten berichtet. Schulen, Kindergärten, Parks und Straßen sind nach den Kindern benannt.

ANGEHÖRIGE Jedes Jahr reisen Angehörige der Ermordeten aus der ganzen Welt an, um am 20. April ihrer zu gedenken. Auch in diesem Jahr hatte die Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm die Angehörigen eingeladen. Doch aufgrund der Covid-19-Epidemie können sie nicht nach Hamburg kommen. Mit einem stillen Gedenken und dem Niederlegen von Blumen ehrte die Vereinigung die Kinder dennoch.

»Ihr Tod mahnt uns, heute und zukünftig wachsam zu sein«, sagt Senatorin Dorothee Stapelfeldt.

»Kinder zu beschützen, ist zu allen Zeiten eine der wichtigsten Aufgaben in einer Gesellschaft … Die grausamen Experimente und die Ermordung von 20 wehrlosen Kindern ist daher ein besonders schändliches Verbrechen«, sagte Senatorin Dorothee Stapelfeldt. »Die feigen Mörder wollten am 20. April 1945 dafür sorgen, dass ihre Taten unentdeckt bleiben.« Dies sei ihnen nicht gelungen und werde ihnen auch niemals gelingen.

»Zusammen mit den Angehörigen der Opfer und der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte gedenkt der Senat der Kinder, ihrer vier Begleiter und der von der SS ermordeten unbekannten russischen Häftlinge. Ihr Tod mahnt uns, heute und zukünftig wachsam zu sein. Jeder Form von Rassismus, Antisemitismus und Menschenhass werden wir uns in Hamburg entschieden entgegenstellen. Das schulden wir auch den Opfern vom Bullenhuser Damm«, so Stapelfeldt.

VERANTWORTUNG Das Gedenken zum 75. Jahrestag des Kindermords sei »ein wichtiges Bekenntnis zur historischen Verantwortung«, betonte Detlef Garbe vom Vorstand Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. »Die Menschen müssen wissen, was am Bullenhuser Damm am 20. April 1945 geschehen ist, wozu Menschen aus ideologischer Verblendung und Rassenwahn fähig waren.

Die medizinischen Verbrechen gewissenloser Ärzte und die Mordtaten der SS erzeugen Betroffenheit.« Wütend machten die Versäumnisse der juristischen Aufarbeitung und die langjährige Gleichgültigkeit, sagte Garbe. Das heute existierende Netzwerk der Erinnerung stimme jedoch hoffnungsvoll.

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025