Erfurt

Würdigung eines Lebenswerks

Wolfgang Nossen sel. A. wäre am 9. Februar 91 Jahre alt geworden. Foto: picture alliance / ZB

Am Mittwoch ist ein bislang namenloser Weg in Erfurt nach dem einstigen Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen benannt und eingeweiht worden. Der Wolfgang-Nossen-Weg führt genau am Alten Jüdischen Friedhof vorbei.

»Damit beenden Land und Freistaat die Gestaltung als Gedenkstätte«, ist Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, zufrieden. Gäste der feierlichen Einweihung waren neben Ministerpräsident Bodo Ramelow und Oberbürgermeister Andreas Bausewein unter anderem auch die Tochter und der Bruder von Wolfgang Nossen. Die Idee für die Namensgebung hatte Stadtführer Roland Büttner.

GESCHICHTE »Wir freuen uns über die Ehrung von Wolfgang Nossen, denn es ist eine Ehrung für die Geschichte der Gemeinde«, so Schramm. Bereits unmittelbar nach Kriegsende wurde jüdisches Leben wieder in der Landeshauptstadt möglich. Erster Vorsitzender war Max Cars, nach dem heute ein Platz benannt ist. Auch die beiden anderen Vorsitzenden – Herbert Ringer und Raphael Scharf-Katz – sorgten dafür, dass jüdisches Leben in der sehr kleinen Gemeinde möglich wurde.

Bereits 1989, noch zu DDR-Zeiten, gab es Bemühungen von Scharf-Katz, »die Wiederherstellung der Würde dieser für uns Juden heiligen Gedenkstätte« zu unterstützen. Damals wurde die Bitte allerdings abgelehnt. Demzufolge begann die Gestaltung der Gedenkstätte erst nach der Wende. 1996 und 2009 wurden Gedenkstein und Stele enthüllt und 2011 das Friedhofsgrundstück wieder an die Jüdische Landesgemeinde übertragen. Nun rundet die Namensgebung des Weges das Projekt ab.

Wolfgang Nossen, nach dem der Weg benannt wurde, wäre am Tag der Einweihung 91 Jahre alt geworden. Nossen hatte ein sehr bewegtes Leben. Er wurde in Breslau geboren, überlebte die Nazizeit, kam nach Erfurt und entschied sehr schnell nach der Staatsgründung Israels, dorthin auszuwandern. Knapp 30 Jahre war er dort, diente auch in der Armee. Erst 1977 kehrte er nach Deutschland zurück.

Nach der Wende begegnete er in Erfurt seiner großen Liebe wieder und heiratete noch einmal. Und er blieb, wurde 1996 Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Er sorgte mit seinem Vorstand für die soziale Betreuung der Gemeindemitglieder, organisierte das religiöse und kulturelle Leben, erreichte den Bau eines  jüdischen Kultur- und Bildungszentrums. Jena und Nordhausen wurden Außenstellen der Landesgemeinde.

ZEUGEN »Seit 1945 sind wir Zeugen der Wiedergeburt jüdischen Lebens in Thüringen«, stellte Reinhard Schramm während seiner Rede fest. Max Cars, Herbert Ringer und Raphael Scharf-Katz hatten sich nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern als Gemeindevorsitzende mit viel Kraft für den Wiederaufbau jüdischen Lebens eingesetzt. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass ausgerechnet in Erfurt der einzige Synagogenneubau der DDR zustande kam. Ende August 1952 wurde die Synagoge auf jenem Platz eingeweiht, auf dem die alte Synagoge stand, die von den Nazis zerstört wurde. Zwar mussten drei Architektenvorschläge auf den Tisch gebracht werden – möglicherweise aufgrund des auch in der DDR wachsenden Stalinismus und damit verstärkten Antisemitismus –, dennoch war offiziell jüdisches Leben erwünscht.

Bei allem Bemühen um jüdisches Leben in Thüringen hätte es nur wenig Chance auf Dauer gegeben, wären nicht Jüdinnen und Juden aus den einstigen Sowjetrepubliken nach Deutschland gekommen. Raphael Scharf-Katz hatte Mitte der 90er-Jahre noch die ersten 200 von ihnen in die Gemeinde integriert, Wolfgang Nossen übernahm diese Aufgabe ab 1996. Das tat er so gut, dass die neuen Gemeindemitglieder ihm sogar verziehen, dass er kein Russisch sprach. Heute hat die Landesgemeinde 800 Mitglieder.

Die Namensweihe gehört zu den deutlicher werdenden Spuren jüdischen Lebens in Thüringen, die Wissenslücken über die Leistungen Thüringer Juden in allen Lebensbereichen schließen helfen sollen. »Diese verstärkte Wissensvermittlung bleibt erforderlich, solange noch Kinder und Jugendliche – egal welcher Herkunft – auf Thüringer Schulen das Wort Jude nicht mit Respekt aussprechen, sondern ohne Widerspruch als Schimpfwort verwenden«, so Reinhard Schramm.

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