Denkfabrik

»Wir wollen intervenieren«

Am Mittwoch vergangener Woche war es so weit. An einem geschichtsträchtigen Ort, dem ehemaligen Kultursaal der DDR-Außenhandelskammer, wurde sie vorgestellt. Die Rede ist von der »Denkfabrik Schalom Aleikum«, einer Weiterentwicklung des gleichnamigen jüdisch-muslimischen Dialogprojekts, das vom Zentralrat der Juden in Deutschland vor rund drei Jahren ins Leben gerufen wurde.

»Es gibt Entwicklungen, die uns als Gesellschaft in ganz besonderer Weise herausfordern«, betonte Josef Schuster in seiner Eröffnungsrede. »Diese sind für jüdische und muslimische Gemeinden gleichermaßen relevant«, so der Präsident des Zentralrats. Zugleich verwies er auf das »große Potenzial«, das sowohl Juden als auch Muslime mit sich bringen. »Nur ist es wenig sichtbar.« Und genau das will man ändern und gemeinsam den gesamtgesellschaftlichen Diskurs bereichern.

ASPEKTE Migration, Fluchterfahrungen und Integration – das sind für Schuster gleich drei wesentliche Aspekte und Erfahrungshorizonte, bei denen es Anknüpfungspunkte für einen nachhaltigen Dialog gibt, von dem trotz – oder vielleicht gerade wegen – ihrer unterschiedlichen Perspektiven nicht nur Juden und Muslime profitieren können.

»Die Denkfabrik will Handlungsempfehlungen erarbeiten.«

Projektleiter Dmitrij Belkin

Die gegenseitige Vernetzung war denn auch neben dem Aufbau von Vertrauen zwischen beiden Communitys eine der Grundideen, als man mit dem Projekt »Schalom Aleikum« damals an den Start ging. Nun ist die nächste Stufe anvisiert. »Konkret will die Denkfabrik Handlungsempfehlungen erarbeiten, sowohl auf Basis ihrer Forschungsergebnisse als auch in Zusammenarbeit mit Partnern aus Wissenschaft und Gesellschaft. Wir wollen forschen, formulieren, veröffentlichen und nach wie vor zusammenbringen.« Kurzum, es geht darum, fundiertes Datenmaterial zu sammeln und »wertvollen Input« zu produzieren.

Die Wortwahl ist dabei bereits Programm. »Mit der Denkfabrik wechseln wir jetzt sozusagen in den Produktionsmodus«, skizziert Schalom-Aleikum-Projektleiter Dmitrij Belkin die neue Ebene der Ausrichtung. Man will sich quasi verwissenschaftlichen, gemeinsam auf empirischer Basis Fakten sammeln und Trends rechtzeitig identifizieren, also eine Plattform für jüdische und muslimische Expertinnen sowie Experten zu Fragen der Zeit schaffen. »Selbstverständlich lässt sich heute nicht sagen, welche Themen in Zukunft alle relevant sein werden«, so Belkin weiter. Nur eines ist sicher: »Wir wollen intervenieren.«

DIALOG »Einen Dialog der Schlagworte kann man überall haben«, erklärt Dagmar Pruin in ihrer Impulsrede anlässlich der Vorstellung der Denkfabrik. »Ihr aber habt Menschen zusammengebracht und wollt nun evidenzbasiert weiterarbeiten. Gerade in den postfaktischen Zeiten, in denen wir leben, ist das enorm wichtig«, so die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks »Brot für die Welt«.

»Themen sollen früh aufgegriffen und analysiert werden.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

In der anschließenden Diskussionsrunde verwies der Zentralratspräsident auf eine Stoßrichtung, die die Denkfabrik haben soll. Denn das Begriffspaar »jüdisch-deutsch« und »muslimisch-deutsch« wird oftmals als Gegensatz zur Mehrheitsgesellschaft in Deutschland verstanden. »Da wollen wir entgegenwirken«, sagt Schuster.

zusammenhalt Und Yasemin El-Menouar, Senior Expert bei der Bertelsmann Stiftung sowie Projektleiterin des Religionsmonitor-Projekts, das sich mit Religion und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt befasst, ergänzte: »Dafür braucht es Räume, um die Vielfalt sichtbar zu machen und zu leben. Denn die dritte und vierte Generation der Zuwanderer, die zumeist hierzulande geboren wurden, verstehen sich vor allem als Deutsche. Sie wollen mitreden und mitgestalten.«

Zum Abschluss verwies Schuster noch auf die Bedeutung des Faktors Bildung in diesem Kontext. »Themen sollen früh aufgegriffen und analysiert werden.« Dann lassen sich Ressentiments und Vorurteile auch besser bekämpfen. Und dazu soll die neue Denkfabrik Schalom Aleikum fortan wichtige Beiträge leisten.

Interview

»Berlin ist zu meiner Realität geworden«

Die Filmemacherin Shoshana Simons über ihre Arbeit, das Schtetl und die Jüdische Kunstschule

von Pascal Beck  11.09.2025

München

Ein Fundament der Gemeinde

Die Restaurierung der Synagoge an der Reichenbachstraße ist abgeschlossen. In den Erinnerungen der Mitglieder hat das Haus einen besonderen Platz

von Luis Gruhler  11.09.2025

Dialog

Brücken statt Brüche

Eine neue große Tagung der Denkfabrik Schalom Aleikum widmet sich der digitalen Kommunikation in Krisenzeiten

 11.09.2025

Dialog

Freunde wie Berge

Juden und Kurden verbindet eine jahrtausendealte Freundschaft. Um ein Zeichen der Gemeinsamkeit zu senden und sich des gegenseitigen Rückhalts zu versichern, kamen sie nun auf Einladung der WerteInitiative in Berlin zusammen

von Katrin Richter  10.09.2025

Literatur

»Es wird viel gelacht bei uns«

Der Historiker Philipp Lenhard und die Schriftstellerin Dana von Suffrin über den von ihnen gegründeten Jüdischen Buchklub, vergessene Klassiker und neue Impulse

von Luis Gruhler  09.09.2025

Ausstellung

Lesen, Schreiben, Sehen, Handeln, Überleben

Im Literaturhaus München wird das Leben der amerikanischen Denkerin und Publizistin Susan Sontag gezeigt

von Ellen Presser  09.09.2025

München

Spur der heiligen Steine

Es war ein Sensationsfund: Bei Baumaßnahmen am Isarwehr wurden Überreste der früheren Hauptsynagoge entdeckt. Der Schatz wird nun vom Jüdischen Museum erforscht

von Michael Schleicher  07.09.2025

Dialog

Gemeinsam stark

Fatma Keser ist Mitbegründerin von »Pêk Koach – Jewish-Kurdish Women’s Alliance«. Der Frauenverein will jüdische und kurdische Perspektiven vermitteln

von Pascal Beck  07.09.2025

Fürth

Ruth Weiss ist gestorben

Sie engagierte sich ihr Leben lang gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Nun ist die in Franken geborene Schriftstellerin mit 101 Jahren gestorben

 05.09.2025 Aktualisiert