Rosch Haschana

»Wir schauen von Tag zu Tag«

Synagoge Joachimsthaler Straße Berlin Foto: imago

Rosch Haschana

»Wir schauen von Tag zu Tag«

Wie sich die Synagogen unter Corona-Umständen auf die Gottesdienste vorbereiten

von Christine Schmitt  10.09.2020 11:48 Uhr

Bis zum Corona-Ausbruch hat keiner gemerkt, wie schön die frühere ›Normalität‹ war», sagt Leon Golzmann, Gabbai in der Synagoge Joachimsthaler Straße. Es war ein schlimmes Jahr – und er habe nun nur einen Wunsch zu Rosch Haschana: dass bald wieder die alte Normalität zurückkehren möge. Doch noch müssen die Gottesdienste zu den Hohen Feiertagen ganz anders gestaltet werden als in der Vergangenheit. Eines steht fest: Wenn das Infektionsgeschehen in Berlin Gottesdienstbesuche zulässt – wofür im Moment alles spricht –, dann werden sie nur mit vorheriger Anmeldung möglich sein. Denn die vorgegebenen Regeln lassen nur wenige Beter zu.

Eine Ausnahme bildet dabei die Synagoge Rykestraße, in der die Plätze nach Erscheinen vergeben werden. Manche Synagogen planen für die Gottesdienste sogar Umzüge in andere Domizile, um Platz für mehr Beter zu schaffen. Und so manche Synagogengemeinde hat sich neue Formate wie etwa die «Mitzwa-Express-Aktion» oder «Klein und süß» einfallen lassen, um für alle Beter schöne Feiertage zu ermöglichen – auch die, die vorsorglich daheim bleiben wollen oder müssen.

HYGIENE Natürlich gelten in allen Gotteshäusern die Abstandsregeln, Hygienevorschriften und Maskenpflicht. «Wir haben besonderes Pech, denn zusätzlich zu den Abstandsregeln haben wir auch noch eine Baustelle in der Synagoge, die den Platz noch kleiner werden lässt», sagt Leon Golzmann.

Vor Corona fanden in der orthodoxen Synagoge 500 Beter Platz, nun seien es 30. Für die Frauen wurde eine «Empore» improvisiert, sodass etwa zehn Beterinnen teilnehmen können. Damit möglichst viele Beter die Möglichkeit haben, einen Gottesdienst zu besuchen, werden zwei Gottesdienste hintereinander angeboten.

In der Synagoge Joachimsthaler Straße werden zwei Gottesdienste hintereinander angeboten.

Kantor Arie Zaloshinsky wird sie leiten. «Er hat in den vergangenen Wochen meistens mit Maske gesungen – und zwar mit einem weiten Abstand von der Bima aus», sagt Golzmann. Ferner habe der Kantor sich vorsichtshalber kaum unter Menschen begeben. Den Schofar wird er entweder in Richtung Hof halten oder nach draußen gehen und ihn dort blasen. «Die Sicherheit unserer Beter ist uns wichtig.»

Golzmann überlegt derzeit noch, ob es möglich sein könnte, ein Essen auf die Beine zu stellen – zu den gleichen Hygiene-Bedingungen wie im Restaurant. Aber natürlich nur mit Anmeldung.

PLATZFRAGE Falls viele Anmeldungen bis Freitag, den 11. September, hereinkommen, werden die Gottesdienste von Sukkat Schalom in die evangelische Kirche am Lietzensee verlegt, die wenige Meter von der Synagoge entfernt ist.

Ebenso könnte es bei einer hohen Nachfrage an Plätzen sein, dass die Synagoge Pestalozzistraße für die Feiertagsgottesdienste in die Räume des Gemeindehauses an der Fasanenstraße ziehen wird. Und falls der Platz in der Synagoge Oranienburger Straße nicht ausreicht, stünden auch die Turnhallen auf dem Gelände zur Verfügung.

«Wir werden größte Vorsicht walten lassen», sagt auch Rabbiner Boris Ronis. Deshalb wird der Gottesdienst in der Synagoge Rykestraße, wo er an den Feiertagen amtiert, auf 45 Minuten verkürzt. Das unversehrte Leben sei wichtiger als alles andere, weshalb er kein Risiko eingehen möchte. «Im schlimmsten Fall müssen die Gottesdienste abgesagt werden», findet der Rabbiner. Denn die Regeln ändern sich oft. Als Verantwortlicher möchte er niemanden in Gefahr bringen. «Wir schauen von Tag zu Tag; schließlich befinden wir uns mitten in einer Pandemie.»

SCHOFAR Außer in Deutschlands größter Synagoge amtiert Rabbiner Ronis in einer der kleinsten Berlins – der des Jeannette-Wolff-Heims in Berlin-Charlottenburg. Der Minjan im Seniorenzentrum findet nicht mehr in dem kleinen Raum statt, sondern zieht für die Gottesdienste in das weitläufige Foyer. In der Rykestraße singt Kantor Jochen Fahlenkamp mit Abstand. Und der Schofar wird entweder draußen geblasen oder an der geöffneten Tür.

Der Minjan im Seniorenzentrum findet nicht mehr in dem kleinen Raum statt, sondern zieht für die Gottesdienste in das weitläufige Foyer.

Chabad Lubawitsch verfügt über drei Synagogen in Berlin. In dem Gotteshaus in der Münsterschen Straße werden drei Gottesdienste angeboten, laut Rabbiner Yehuda Teichtal einer in der Synagoge, einer draußen – auch hier mit Abstand – und einer im Saal. In der Synagoge am Alexanderplatz werden beide Säle genutzt, ebenso bei den Studenten. «Wir tun alles, damit alle sicher sind.» Für die Beter, die aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen mögen, werde nächste Woche ein Kurs rund ums Schofarblasen angeboten, auch werden Informationen zu den Gebeten verteilt, sodass man auch zu Hause ein feierliches Fest begehen kann.

GLASVISIER 60 Männer und 15 Frauen passen mit Corona-Bedingungen in die sefardische Synagoge «Tiferet Israel» in der Passauer Straße. «Falls noch mehr Leute zu den verkürzten Gottesdiensten kommen mögen, würden wir noch weitere Räume öffnen», sagt Rabbiner Reuven Yaacobov. Der Vorteil dieser Synagoge ist, dass sie Fenster hat und somit gelüftet werden kann. 24 Stunden stünden derzeit die Fenster offen.

Nach dem Gottesdienst werden die Stuhlkanten und alles, was man anfassen kann, desinfiziert. Außerdem hat der Rabbiner für ältere Beter noch FFP2-Masken bestellt, damit sie geschützt werden können. Die möchte er zur Verfügung stellen. Kantor Abraham Daus singt mit einem Glasvisier und einem Abstand von mindestens drei Metern. «Das Wichtigste: Wir dürfen einfach nicht zusammenstehen», sagt der Rabbiner.

Er wundere sich allerdings über die unterschiedliche Handhabung des Schofarblasens. In Israel sei es kein Problem, wohingegen die Gesundheitsämter in Berlin es nicht begrüßen. Drei Möglichkeiten sieht er hier für die sefardische Synagoge: Entweder wird der Schofar am geöffneten Fenster geblasen, auf der Bima – aber in Richtung Wand – oder vor der Tür.

Die sefardische Synagoge Tiferet Israel hat einen Bringdienst eingerichtet: Jüngere Beter versorgen ältere mit Äpfeln, Honig und Granatäpfeln.

Bei allen Unsicherheiten, eines weiß er schon jetzt genau: Das Gebet, in dem es um den Schutz vor einer Pandemie geht, wird er auf jeden Fall aufgreifen. In diesen Wochen und in den vergangenen Monaten kamen viele Leute zum Gebet.

Aber er denke auch an die, die zu Hause allein das Ende der Pandemie abwarten. Deshalb gibt es bei der Synagoge einen Bringdienst, den jüngere Mitglieder übernehmen. Sie versorgen Ältere mit Honig, Wein und Granatäpfeln.

TASCHLICH Nur etwa 50 Personen können gleichzeitig an den Gottesdiensten der Synagoge Fraenkelufer teilnehmen. «Daher können wir leider keine Garantie auf die Teilnahme an einem bestimmten Gebet geben», heißt es dort. Deshalb werden an Erew Rosch Haschana mehrere Gebete ab 18 Uhr angeboten. Am zweiten Tag wird der Schofar um zwölf Uhr im Garten geblasen, anschließend gehe man gemeinsam zum Taschlich an den Kanal. Anmeldungen sind bis Donnerstag, den 10. September, möglich.

Außerdem unterstützt die Gemeinde alle, die beim Rosch-Haschana-Programm «Klein und süß» mitmachen mögen, bei dem sie ein Essen bei sich zu Hause anbieten oder sich einladen lassen. Dazu werden neben der finanziellen Unterstützung auch Anleitungen für das Festessen und Lernmöglichkeiten im Rahmen von «How to Jew» angeboten. Bis zum 10. September muss man sich registrieren lassen. Etwa 50 Essen seien bereits geplant.

Der «Mizwa-Express» der Synagoge Pestalozzistraße liefert zu Rosch Haschana koscheres Essen.

Und auch die Beter der Synagoge Pestalozzistraße haben sich etwas Neues einfallen lassen: den Mizwa-Express. Die Idee dazu hatte das Organisationsteam des jährlichen Chanukkabasars – denn der wird in diesem Jahr ausfallen. Stattdessen hat sich das Basarkomitee um Naomi Birnbach und Naomi Vingron Gedanken gemacht und den Ableger «Mizwa-Express der Synagoge Pestalozzistraße» ins Leben gerufen.

FESTMAHL Ziel sei es, «in diesen unsicheren Zeiten die Gemeinschaft zu stärken und denen zu helfen, die am meisten auf Hilfe angewiesen sind», heißt es dazu im wöchentlichen Synagogen-Newsletter. Die erste Aktion soll zu Rosch Haschana starten. «Gerade, weil derzeit viele Menschen auf sich allein gestellt sind, gibt es dieses Jahr zu Neujahr die Möglichkeit, mit einem koscheren Essen versorgt zu werden», so die Organisatoren.

Für diejenigen, die nicht in der Lage sind, selbst zu kochen, werde ein koscheres fleischiges oder parves Festmahl in der Synagogenküche gekocht und von Helfern und Helferinnen geliefert. Das Angebot ist kostenlos und wird über Spenden finanziert. Es richtet sich vor allem an Bedürftige. Bis zum 11. September muss man sich unter basar@synagoge-pestalozzi­strasse.de anmelden. Schon jetzt ist das Feedback groß, und das Team ist überzeugt: Der Mizwa-Express kommt gut an – auch über die Hohen Feiertage hinaus.

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