Ehe

»Wir gehören einfach zusammen«

Ruth und Herbert Rubinstein feiern Diamantene Hochzeit. Ein Gespräch über Liebe, Kinder und Gemeinde

von Katrin Richter  04.03.2024 16:53 Uhr

»Wir haben diese Entscheidung nie infrage gestellt«: Ruth und Herbert Rubinstein sind seit 60 Jahren ein Paar. Foto: Stephan Pramme

Ruth und Herbert Rubinstein feiern Diamantene Hochzeit. Ein Gespräch über Liebe, Kinder und Gemeinde

von Katrin Richter  04.03.2024 16:53 Uhr

Frau Rubinstein, Herr Rubinstein, was mögen Sie an sich als Paar?
Ruth Rubinstein: Die Harmonie unserer Beziehung ist wie das Salz in der Suppe. Ich habe das große Glück, mit einem Menschen verheiratet zu sein, der nur aus Güte besteht. Als Ehemann, Vater, Opa, Uropa und früher genauso als Sohn und Schwiegersohn.
Herbert Rubinstein: Dass wir durch dick und dünn zueinander stehen. Dass wir, seitdem wir entschieden haben, unsere bisherigen Lebenswege zu einem Lebensweg zu verbinden, nie diese Entscheidung infrage gestellt haben. Also eine stabile gemeinsame Basis. Auf dieser Basis konnte die junge Liebe wachsen, und ich sage täglich zu Ruthi, dass sie die beste Frau der Welt ist und dass ich sie enorm liebe. Sie ist eine praktische Frau, die mich oft von angedachten Höhenflügen in die Realität zurückholt.

Sie feiern bald ihren 60. Hochzeitstag, eine Diamantene Hochzeit. Wie geht es Ihnen damit?
RR: Diamantene Hochzeit zu feiern, das ist für mich ein Gefühl von purem Glück, von Dankbarkeit und dem großen Fragezeichen, wo die sechs Jahrzehnte bloß geblieben sind. Nach 60 wunderbaren gemeinsamen Jahren bleibt nur ein Wunsch: hoffentlich noch recht lange bei guter Gesundheit.
HR: Ich kann es einfach nicht glauben, denn es kommt mir vor wie gestern, dass wir uns in Düsseldorf im Standesamt Inselstraße am 3. März 1964, also fünf Tage vor unserer Chuppa in der Synagoge in Köln in der Roonstraße, unser Ja-Wort gegeben haben. Ich zitiere Ruthi: Unsere Kinder sagen oft zu uns, wir kämen ins Guinness-Buch der Rekorde! Eine große Dankbarkeit erfüllt auch mich, dass Ruthi es so viele Jahrzehnte mit mir ausgehalten hat und es immer noch nicht leid ist! Und dass wir noch »funktionieren«. Auch das erfreut mich sehr, das ist ein großes Glück. Ich würde mir wünschen: bis 120.

Wie erinnern Sie sich an den Abend des Chanukka-Balls, als Sie sich kennenlernten?
RR: Für mich als waschechte »Sabre« waren jüdische Feste oder Events, an denen man nach Herzenslust tanzen konnte, Balsam für die Seele. Das war auch der Grund, weshalb ich aus Köln nach Düsseldorf kam und meiner Schwiegermutter sel. A. bis heute dankbar bin, dass sie ihren Sohn auf mein rotes Kleid und meine schwarzen Haare aufmerksam machte. Ein Chanukka-Ball, der uns 60 Jahre Glück bescherte.
HR: Ruthi hat mit ihrer Antwort fast alles auf den Punkt gebracht. Meine Ergänzung soll einiges, was das Judentum Anfang der 60er-Jahre in Düsseldorf betrifft, erklären: Damals waren Düsseldorf und Köln in Nordrhein-Westfalen die jüdischen Nachkriegsgemeinden mit den meisten Mitgliedern. Wenn Bälle oder größere Veranstaltungen stattfanden, waren diese die »jüdischen Treffs«, auch für die kleineren Gemeinden aus dem Umfeld, selbst bis Dortmund. Nun, ich war damals 25 Jahre alt und überlegte, »mich mal umzusehen«. Also ging ich zum Chanukka-Ball in die Düsseldorfer Rheinterrasse, wir waren mehrere »Jugendliche«, dazu gehörte auch mein bester Freund Paul Spiegel sel. A. Zunächst saß ich am Tisch meiner Eltern, ich sah mich im Saal um, und da meinte meine Mutter, da sei so ein hübsches, dunkelhaariges Mädchen in einem roten Kleid. Ich tanzte mit diesem wunderbaren Mädchen, Ruthi hat es bereits gesagt.

Frau Rubinstein, Sie sind als Teenagerin nach Deutschland gekommen, wie war das für Sie?
RR: Ich glaube bis heute, wenn ich bei einem Psychologen in Behandlung wäre, würde die Auswanderung nach Deutschland bei mir immer noch ein Thema sein. Ich war ja in einem sensiblen Alter, als Teenager! Aber: Mein Vater wollte und musste aus gesundheitlichen Gründen nach Köln. Und wir Kinder mussten mit. Was sollten wir denn machen? Das war für mich, glaube ich, ein unheimlich schwerer Schlag. Ich übertreibe nicht. Es war dramatisch! Man hat mich regelrecht auf das Schiff hochziehen müssen. Wir sind von Haifa aus abgefahren, und das Schlimmste war, dass ich vorher niemandem etwas davon erzählen durfte, dass wir nach Deutschland gehen. Wir verließen das Land praktisch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Ich bin ja in Tel Aviv geboren. Später haben wir in Herzliya gelebt, wo ich auch zur Schule gegangen bin, und alles, was ich meinen Freunden sagen durfte, war, dass wir von Herzliya nach Tel Aviv ziehen. Ich habe mich von niemandem verabschieden können, und das hat mich geprägt.

Wie war Ihre Ankunft in Deutschland?
RR: Ich habe alles, was nicht jüdisch und deutsch war, aus meinem Leben ausgeblendet. Ich habe den ganzen Tag vor dem alten Radio gesessen, habe den israelischen Sender gesucht. Ich bin dann in Köln zur Schule gegangen, habe so nebenbei Deutsch gelernt, habe aber die nichtjüdische deutsche Gesellschaft nicht an mich herangelassen. Bei mir musste es entweder jüdisch sein oder gar nichts. Das war mir einfach ein inneres Bedürfnis. In Köln wohnten wir an der Roonstraße, und ich konnte direkt auf die Synagoge gucken. Dort habe ich auch meine Freizeit verbracht, war im Chor, habe später im Jugendzentrum gearbeitet, und auch in Bad Sobernheim. Dort habe ich Paul Spiegel kennengelernt. Paul wiederum kannte Herbert, und so begann alles, wenn man so will.

Wie lief es denn anfangs bei Ihnen beiden?
RR: Ich war komplett die Sabra. Er war komplett der Europäer. Meine Schwiegermutter, die für mich nie eine Schwiegermutter, sondern meine »zweite Mutter« war, hat es geschafft, mir die Brücke »Orient-Okzident-Czernowitzer Lebensart« näherzubringen, was mein Mann mit einem dankbaren Lächeln begrüßte. Aber das Wichtigste war, dass wir alle in unserem späteren Leben immer zusammengehalten haben.

Sie wurden ja auch Eltern.
RR:
Ja, 1965 wurde unsere Tochter geboren. 1972 unsere Zwillinge. Und es gab zu der Zeit noch keinen Ultraschall. Also: Man hat keine Zwillinge entdeckt. Es hieß, es würde nun mal ein großes Kind. Aber ich wusste: Das kann nicht sein. Meine Mutter ist ein Zwilling. Das liegt doch in der Familie! Für uns war es eine große Überraschung. Jetzt lache ich darüber, aber damals war das für uns eine außergewöhnliche Situation. Extrem. Wir waren auf ein Baby eingestellt, dachten, es würde ein Mädchen, und dann wurden es zwei Jungs.
HR: Wir haben aber als Team funktioniert. Alles musste improvisiert werden. Meine Frau ist dann zu Hause geblieben, denn damals gab es keinen Komfort wie einen Ganztagskindergarten, und ich konnte somit meiner beruflichen Tätigkeit mit vollem Einsatz nachgehen.

Wie haben Sie beide das alles geschafft?
HR: Wir hatten natürlich ein bisschen Hilfe. Meine gottselige Mutter war für uns da, die Schwiegereltern lebten in Köln. Sie haben auch geholfen, waren aber nicht so flexibel wie meine Mutter. Sie war, würde ich sagen, eine zusätzliche Mutter für unsere Kinder.
RR: Die Enkelkinder waren verliebt in ihre Oma. Meine Schwiegermutter wollte aber auch unbedingt, dass wir beide nicht nur Eltern sein dürfen, sondern auch ein Ehepaar. Sie sagte: Bringt die Kinder am Samstagmorgen zu mir, ihr könnt sie Sonntagnachmittag wieder abholen, und ihr habt ein Wochenende für euch. Das hat sie zehn Jahre lang gemacht. Das war ihr wichtig. Meine Schwiegermutter hat mir immer gesagt, »Ruthi, merke dir eine Sache. Das Wichtigste in der Familie ist der Ehemann«.

Das klingt aus heutiger Perspektive gewöhnungsbedürftig.
RR:
Aber sie hat mir auch gesagt, warum.

Nämlich?
RR:
Sie sagte: »Du kannst die beste Mama der Welt sein. Eines Tages aber werden die Kinder aus dem Haus sein. Zurück bleibt dann der Mann. Und wenn ihr in diesen 18 oder 20 Jahren nicht richtig zusammengefunden habt und die Kinder aus dem Haus sind, dann hast du nachher keinen Mann mehr und keine Kinder.« Diese Begründung, das muss ich jetzt im Nachhinein bestätigen, hat den Hinweis meiner Schwiegermutter für mich sehr wertvoll gemacht.

Streiten Sie sich eigentlich manchmal?
HR:
Natürlich. Wenn wir uns streiten, dann schweigen wir beide so lange, bis einer dann auf einmal wieder anfängt zu sprechen. Gott sei Dank kommt ein Streit sehr, sehr selten vor.
RR: Also, ich schweige nicht.
HR: Na gut, aber du schweigst auch, wenn ich eventuell einmal etwas Ungerechtes gesagt haben sollte. Zugegeben: Das ist nicht gut, aber man ist ja auch nur ein Mensch.
RR: In den fast 60 Jahren, in denen wir verheiratet sind, haben wir uns aber nicht einmal angeschrien. Manchmal ist er etwas beleidigt. Okay. Dann sind wir auch schon einmal beide beleidigt. Das kann ja mal passieren. Aber es gab nie ein lautes Wort. Auch mit den Kindern nicht.

Was macht Sie als Paar aus?
HR:
Wenn wir vielleicht ein bisschen in die Religion reingehen, dann würde ich sagen, dass im Talmud steht, wer später einmal zueinander findet, das wird schon bei der Geburt entschieden. Vielleicht ist es ein Mythos, vielleicht aber auch nicht: Wenn ich überlege, dass Ruthi in Tel Aviv geboren wurde, ich in Czernowitz. Also, es muss irgendeine Bestimmung sein, dass wir uns getroffen haben und dass es auch geklappt hat.
RR: Als ich schon längst Mutter war, sagte ich meinem Vater einmal, was ich über unsere Auswanderung damals gedacht habe und dass ich meinen Kindern so etwas nie angetan hätte. »Ja, meinst du?«, sagte er scherzhaft: »Pass mal auf, meine Tochter, du müsstest mir eigentlich die Füße küssen, denn wenn wir nicht ausgewandert wären, hättest du niemals diesen Goldschatz kennengelernt.«

Was hat Ihren Mann und Sie – von der Familie einmal abgesehen – immer verbunden?
HR:
Überwiegend definitiv die Arbeit in der Gemeinde. Als in den 90er-Jahren die Zuwanderer kamen, sind wir beide jedes Wochenende zu den Wohnheimen und Wohncontainern gefahren, haben angeklopft und gefragt, ob und wie wir helfen können. »Brauchen Sie Möbel? Brauchen Sie Geschirr? Was können wir für Sie organisieren?«, das waren die häufigsten Fragen.
RR: Wenn mein Mann wusste, dass jemand seine Möbel loswerden wollte, dann hat er das vermittelt, hat beim Transport mitgeholfen oder ihn bezahlt. Die Menschen sind so dankbar – auch heute noch. Mit vielen sind wir heute befreundet.
HR: Unsere Motivation war immer, ein Zuhause schaffen zu wollen. Wir, das heißt meine gottselige Mutter, mein Großvater mütterlicherseits und ich, sind ja aus Czernowitz geflüchtet, dann nach Holland. Dann gab es die schwierige Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, und die Frage, wie lange wir bleiben wollten: Für immer? Nur vorübergehend? Die Flucht steckt mir bis heute in den Knochen. Daher konnte ich die Menschen, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland geflüchtet sind, teilweise verstehen. Uns haben so viele Menschen auf unseren Fluchtwegen geholfen, wir konnten nachempfinden, was diese Menschen durchmachen. Viele von ihnen kamen aus wirtschaftlich guten Verhältnissen, und auf einmal lebten sie in einem Container. Die Anfänge dann in der Gemeinde waren vielleicht nicht einfach, wir mussten Brücken bauen, auch teilweise das Judentum neu vermitteln. Einige der Geflüchteten hatten vielleicht das letzte Mal über die Uroma oder die Oma Traditionen mitbekommen. Aber alle wussten: Im Mittelpunkt steht der Mensch. Und ich glaube, das war die richtige Einstellung.

Was bedeutet Ihnen Ihr Engagement in der Gemeinde?
RR:
Ich will nicht übertreiben, aber wir beide haben 98 Prozent unserer Freizeit in der Gemeinde verbracht. Es ist ein Geben und Nehmen. Ich war in den Sprechstunden als Teil des Gemeindevorstands sehr aktiv, und zu mir kamen immer Menschen, die sich auch mit Problemen an meine Kollegen und mich gewendet haben. Auch wenn manchmal die Sprachbarriere dazwischenstand, aber wir haben uns immer verständigen können – mit Händen und Füßen, auf Jiddisch, auf Englisch. Zusammen haben wir es geschafft.

Mit Ruth und Herbert Rubinstein sprach Katrin Richter.

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