Halle

»Wir brauchen mehr Schutz«

Eingangstür der Synagoge in Halle nach dem Anschlag am 9. Oktober 2019 Foto: dpa

Zentralrat der Juden fordert besseren Schutz jüdischer Einrichtungen

Zentralratspräsident Josef Schuster kritisierte am Donnerstag die Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt: »Offensichtlich hat man dort die Situation im Vorfeld verkannt.« Bei den meisten Synagogen sei es üblich, dass zu Gottesdienstzeiten ein Polizeiposten vor dem Gotteshaus steht. In Sachsen-Anhalt sei das nach seiner Kenntnis offensichtlich nicht die Regel. Bundesweit war unmittelbar nach dem Anschlag die Polizeipräsenz vor jüdischen Einrichtungen erhöht worden.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Schuster sagte, mit dem Anschlag von Halle und dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Sommer habe der Rechtsextremismus in Deutschland eine neue Qualität erreicht. Gott sei Dank sei es in Halle zu keinem Massaker gekommen, da der Angreifer vergeblich versucht habe, die Tür zur Synagoge zu öffnen.

Schuster forderte, die deutschen Behörden müssten sicherstellen, dass ein Jude, der in eine Synagoge geht, sicher sein könne, dass er dort auch wieder unbeschadet herauskomme.

Michael Wolffsohn kritisiert mangelnde Sicherheit für Juden

Der Historiker Michael Wolffsohn hat scharfe Kritik an den staatlichen Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen in Deutschland geübt. »Die Katastrophe von Halle zeigt in erschreckender Weise den Gegensatz zwischen wörtlichen Bekundungen und der faktischen Sicherheitslage für Juden in Deutschland«, sagte der in Israel geborene Wissenschaftler dem Nachrichtenradio MDR Aktuell am Donnerstag in Halle.

Der Schutz der jüdischen Bevölkerung sei zwar allen demokratischen Parteien ein ehrliches Anliegen, bei der Verfolgung von Straftaten gebe es aber Defizite, sagte Wolffsohn weiter. »Wir haben einen Gegensatz zwischen Wort und Tat. Dieser muss schleunigst verändert werden«, erklärte er auch mit Verweis auf den Messerangriff vor einer Synagoge in Berlin vergangenen Freitag.

Wolffsohn forderte auch Konsequenzen bei den Sicherheitsbehörden. »Der Sicherheitsapparat muss auf Vordermann gebracht werden, das ist in sträflicher Weise vernachlässigt worden«, sagte der emeritierte Professor. Jedoch müssten nicht nur Personal aufgestockt, sondern auch rechte und antisemitische Tendenzen in der Polizei bekämpft werden, fügte er hinzu.

Brandenburg verstärkt Schutz jüdischer Einrichtungen

Nach dem rechtsextremen Anschlag auf die Synagoge in Halle sind auch in Brandenburg die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Gemeinden und Einrichtungen verstärkt worden. In der Landeshauptstadt Potsdam würden fünf Orte dauerhaft von Polizisten geschützt, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Donnerstag in Potsdam.

In Cottbus stehe die Synagoge unter Polizeischutz. Insgesamt seien für rund 100 Einrichtungen und Orte Schutzmaßnahmen angeordnet. Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) erklärte, der Anschlag erfordere »auch für Brandenburg eine entschiedene Antwort«.

Er habe deshalb angeordnet, dass die jüdischen Einrichtungen im Bundesland der Lage entsprechend von polizeilichen Kräften geschützt werden. Brandenburgs Polizei stehe auch bereit, um die Polizei in Sachsen-Anhalt bei Bedarf zu unterstützen.

Niedersachsens Verbandsvorsitzender fordert Konsequenzen

Nach dem Synagogen-Anschlag in Halle mahnt der jüdische Verbandsvorsitzende Michael Fürst aus Niedersachsen zügige Konsequenzen in Politik, Justiz und Gesellschaft an. »Die Politiker dürfen sich jetzt nicht zurücklehnen«, sagte Fürst am Donnerstag. Nötig sei ein rasches Handeln gegen rechtsextremes Gedankengut. Der mutmaßliche Täter müsse schnell angeklagt werden. Das dürfe nicht monatelang dauern.

Fürst sagte, die jüdische Gemeinschaft sei sehr betroffen von den Ereignissen. »Das hat Dimensionen, die man kaum begreifen kann.« Wenn es dem Angreifer gelungen wäre, die Tür aufzubrechen, hätte er bis zu 80 Menschen umbringen können. »Von diesen Dimensionen muss man in Zukunft ausgehen, so etwas kann wiederholt passieren«, sagte der Verbandschef. »Das rechte Gedankengut wird immer deutlicher spürbar.«

Das wirke sich auch auf die Stimmung in den jüdischen Gemeinden aus. »Wir werden vorsichtiger und misstrauischer sein«, sagte Fürst. Mit der Polizei werde er über verstärkte Sicherheitsvorkehrungen reden: »Wir müssen unsere Gemeindeglieder schützen.« Zwar liegen aktuell keine Hinweise auf eine konkrete Bedrohung vor. Die habe es in Halle aber auch nicht gegeben.

In Niedersachsen leben etwa 8000 jüdische Gemeindeglieder in 19 Gemeinden, die in zwei Verbänden organisiert sind. Sie verfügen über rund ein Dutzend Synagogen.

Der mutmaßliche Täter müsse hart bestraft werden, forderte Fürst. Die Justiz dürfe hier keine »große Milde« walten lassen. »Wir können rechte Straftäter nicht resozialisieren«, betonte der Verbandsvorsitzende, der selbst Anwalt ist. »Dieses Gedankengut kriegen Sie nicht raus.«

Das American Jewish Committee Berlin (AJC) ist erschüttert

»Wir sind immer noch erschüttert über den antisemitischen Terroranschlag am gestrigen Tage in Halle«, sagt Remko Leemhuis, Acting Director des AJC Berlin. »Unsere Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Opfer und bei der jüdischen Gemeinde in Halle. Wir denken in diesen Stunden auch vor allem an jene, die sich während des Angriffs in der Synagoge befunden haben. Wir können nur ahnen, was sie in diesen Momenten durchgemacht haben. Wir sind dankbar, dass gestern nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern Menschen in verschiedenen Städten Deutschlands spontan ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland bekundet haben.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Leemhuis erklärte weiter: »Der nun oft getroffenen Aussage, dass Antisemitismus keinen Platz in Deutschland hat, müssen wir allerdings deutlich widersprechen. Wo ›Jude‹ auf Schulhöfen ein geläufiges Schimpfwort ist, wo in Qualitätsmedien von jüdischen Verschwörungen fabuliert wird, wo die Obsession, Israel zu kritisieren, vorherrscht, wo man sich nicht dazu durchringen kann, offen antisemitische Terrororganisationen zu verbieten, wo mittlerweile im Bundestag die Zeit des Nationalsozialismus und die deutschen Verbrechen verharmlost oder heruntergespielt werden, dort hat Antisemitismus einen Platz. Diese gesellschaftliche Stimmung ist der Nährboden des antisemitischen Terrors, und daher war der Mörder auch kein Einzeltäter.«

Alle jüdischen Einrichtungen brauchen Polizeischutz, fordert die IKG München und Oberbayern

Nach dem Anschlag in Halle hält die frühere Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, für alle jüdischen Einrichtungen Polizeischutz für nötig. »Daran darf es keinen Zweifel mehr geben, nirgends in Deutschland«, sagte Knobloch am Donnerstag in München. Wie die Konzepte dazu im Einzelnen aussehen sollen, müssten die jeweiligen Experten vor Ort klären, fügte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern hinzu.

Knobloch sagte, sie vertraue für ihre Gemeinde, die mit rund 9500 Mitgliedern die zweitgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands ist, »voll und ganz« auf den Schutz durch die bayerische und speziell auch die Münchner Polizei. Die bestehenden Schutzkonzepte müssten natürlich »immer überprüft und angepasst werden«. Knobloch regte dafür einen bundesweiten regelmäßigen Erfahrungsaustausch an. Die Synagoge in Halle war am Mittwoch nicht von der Polizei bewacht worden.

Jüdische Landesgemeinde Thüringen prüft Sicherheitsvorkehrungen

Auch Thüringens Jüdische Landesgemeinde prüft jetzt ihre Sicherheitsvorkehrungen. Erste Erkenntnisse verspreche man sich von einem Treffen mit Experten des Landeskriminalamts (LKA) im Laufe des Donnerstags, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, in Erfurt.

Nach seinen Angaben wurden seit dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge im April 2000 die Sicherheitsvorkehrungen um das Gotteshaus und das benachbarte Gemeindezentrum sukzessive ausgebaut. Dazu zählten neben Überwachungstechnik auch ein neuer Sicherheitszaun und Sicherheitstüren, sagte Schramm. Alle Gottesdienste und Veranstaltungen würden bei der Polizei angemeldet. »Wir sehen, dass sich die Polizei bemüht«, erklärte der Landesvorsitzende. Lücken im Sicherheitskonzept ließen sich nie gänzlich ausschließen, doch die Gemeinde fühle sich den Umständen entsprechend sicher.

Die Thüringer Polizei hatte bereits am Mittwoch auf die Schüsse in Halle reagiert. Die Polizeiinspektionen und die Autobahnpolizei hätten ihre Maßnahmen in eigener Zuständigkeit verstärkt, insbesondere würden jüdische Objekte intensiviert bestreift, sagte eine Sprecherin der Landespolizei.

Ex-Piratin Weisband: Täter Teil einer neuen Art von Terrornetzwerk

Die Ex-Piraten-Politikerin und Digitalexpertin Marina Weisband hat sich gegen eine Einzeltäterthese beim Anschlag von Halle ausgesprochen. »Wir haben es mit einer rechtsextremen globalen Bewegung zu tun, die digital stark vernetzt ist und Konventionen und Sprache teilt«, sagte Weisband der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.

»Der Attentäter von Halle ist kein Einzeltäter. Er ist Teil einer neuen Art von Terrornetzwerk«, so die ehemalige Piraten-Geschäftsführerin. Die Reaktionen politischer Amtsträger in Deutschland bezeichnete sie als unfassbar ignorant. »Da braute sich eine Wolke zusammen. Dass sie sich entlädt, war nicht überraschend.«  epd/dpa/ja

 

Köln/Kürten

Lob für Gründung des Verbands Jüdischer Journalisten

Die Gesellschaft Katholischer Publizisten bietet JJJ Zusammenarbeit und Unterstützung an

 06.12.2024

Potsdam

Wo Rabbiner lernen

Die Nathan Peter Levinson Stiftung erinnerte mit einer Feierstunde an ihren Namensgeber

von Detlef David Kauschke  05.12.2024

Holocaustüberlebende

Esther Bejarano vor 100 Jahren geboren

Sie spielte im »Mädchenorchester« in Auschwitz und überlebte die Schoa

von Leticia Witte  05.12.2024

Interview

»Leuchtturm der Stadt«

Barrie Kosky über sein Judentum, die jüdische Geschichte der Komischen Oper Berlin und die Frage, was die Kürzungen im Bauetat für das Haus bedeuten

von Christine Schmitt  05.12.2024

München

Ein Gebäude von Worten

Die preisgekrönte israelische Dichterin Agi Mishol war zu Gast im Lyrik Kabinett

von Nora Niemann  03.12.2024

Berlin

Koscher übernachten

lan Oraizer renovierte eine Villa und baute sie zu einem Hotel um, das religiösen Standards genügt. Sein Haus ist auf Wochen ausgebucht. Ein Ortsbesuch

von Christine Schmitt  01.12.2024

Köln

Für die Zukunft der Kinder

Bei der WIZO-Gala konnten 529 neue Patenschaften gewonnen werden

von Ulrike Gräfin Hoensbroech  01.12.2024

Porträt der Woche

Angst lässt sich lindern

Lisa Strelkowa studiert Psychologie und macht ein Praktikum in einer Tagesklinik

von Brigitte Jähnigen  01.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind

von Louis Lewitan  01.12.2024