Seminar

Wie leben die anderen?

Mit Toleranz und Akzeptanz ist das so eine Sache. Auch Juden, deren Lebensentwürfe irgendwie von den traditionellen Vorstellungen abweichen, können ein Lied davon singen. In mancher Gemeinde werden sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen. »Das betrifft gleich mehrere Gruppen«, betont Sabine Reisin.

»Wer beispielsweise queer ist, sich in einer Beziehung mit einem nichtjüdischen Partner befindet oder nur einen jüdischen Elternteil hat, wird oft mit Vorurteilen konfrontiert oder muss sich unsichtbar machen«, sagt die Organisatorin von Bildungsprojekten der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Vor allem junge Juden neigten dann dazu, sich eher außerhalb der Gemeinden zu vernetzen. Genau deshalb wollte man sich mit einem Seminar unter dem Arbeitstitel »Unter dem Regenbogen« dieses kontroversen Themas annehmen.

keshet Keshet Deutschland, die im vergangenen Jahr gegründete Initiative junger jüdischer Queers, hatte sich vor Monaten an die ZWST gewandt und angeregt, queer-jüdisches Leben einmal im Rahmen einer Veranstaltung stärker in den Fokus zu rücken.

Zudem bot man aktive Unterstützung bei der Planung und Ausrichtung an, weshalb mit Monty Ott, Leo Schapiro und Dalia Grinfeld gleich das gesamte Kesher-Präsidium zum Seminar angereist war und die Teilnehmenden mit reichlich Input versorgte.

Dalia Grinfeld und Leo Schapiro beantworteten beim Kamingespräch Fragen zu queerem Judentum, Safe Spaces oder geschlechtlicher und sexueller Vielfalt.

So standen Dalia Grinfeld und Leo Schapiro am Samstagabend im Rahmen des Kamingesprächs für Fragen über queeres Judentum, Safe Spaces oder geschlechtliche und sexuelle Vielfalt zur Verfügung.

Dalia Grinfeld dagegen saß auf einem bunt besetzten Podium, das unter dem Arbeitstitel »Claim Your Space« der Frage nachging, wie inklusiv Gemeinden sein können. »Ich habe mich in jüdischen Räumen immer sehr wohl und aufgehoben gefühlt.« Aber als junge Frau stieß sie gelegentlich an Grenzen. »Irgendwann spürte ich, da nicht mehr ganz so reinzupassen.«

Generationenfrage Für Lars Umanski vom Vorstand der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) ist das eine Generationenfrage. »Die absolute Mehrheit der Personen auf der Funktionärsebene stammt aus der ehemaligen Sowjetunion und ist auch dort aufgewachsen. Das hat viele von ihnen geprägt«, glaubt er. »Bestimmte Themen gelten für sie deshalb als tabuisiert und werden ganz nach dem Motto ›Wir brauchen nicht darüber zu sprechen‹ lieber gar nicht erst aufgegriffen.«

Gemeinde trifft auf gesellschaftliche Realitäten – genau diese Konstellation sorgt manchmal für Spannungen. »Das muss aber nicht so sein«, betont Laura Cazés, Referentin für Verbandsentwicklung der ZWST. »Jüdische Räume bieten mehr Gestaltungsmöglichkeiten, als wir manchmal ahnen.« Aufgabe der ZWST sei es deshalb auch, sich neuen Themen zu öffnen und diese in Korrespondenz mit der gesamten jüdischen Gemeinschaft zu verhandeln.

Immer wieder wurde auf dem Podium wie bei den Diskussionen eine Art Willkommenskultur gefordert.

Immer wieder wurde auf dem Podium wie bei den Diskussionen eine Art Willkommenskultur gefordert. »Menschen mit abweichenden Lebensentwürfen soll es nicht nur erlaubt sein, sich in den Gemeinden einzubringen«, sagt Umanski. »Sie sollen auch herzlich dazu eingeladen werden.« Und Lea Wohl von Haselberg, Mitherausgeberin des Magazins »Jalta«, ergänzt: »Es gibt ein großes Bedürfnis, in jüdischen Räumen zu Hause zu sein. Doch zu viele Themen fallen in den Gemeinden einfach unter den Tisch.« Das müsse sich ändern.

»Räume werden aber nicht einfach so bereitgestellt«, sagt Cazés. »Daher sollte der Arbeitstitel des Podiums ›Claim Your Space‹ als Aufforderung verstanden werden, selbst die Initiative zu ergreifen.« Das wiederum setze ein Umdenken in den Gemeinden voraus. »Es gilt zu vermitteln, dass niemandem etwas weggenommen wird. Vielmehr geben andere etwas dazu, was als Bereicherung verstanden werden sollte.«

Begrifflichkeiten Abgerundet wurde die Veranstaltung durch einen Überblick über die politische Relevanz und Bedeutung von Begrifflichkeiten wie »sexuell«, »geschlechtlich« oder »trans« in den Gesetzestexten durch seine Präsentation von Alexandra Schiltz vom Referat Gleichgeschlechtliche Lebensweisen, geschlechtliche Vielfalt beim Bundesfamilienministerium.

»Selten habe ich auf einem Seminar eine solche Atmosphäre solidarischer Anteilnahme bei Diskussionen erlebt wie jetzt«, lautet das Fazit von Sabine Reisin. »Das ging auf der Teilnehmerseite sowohl von den Betroffenen, als auch von den Nichtbetroffenen aus. Grund genug für uns, bei diesem Thema am Ball zu bleiben.«

Berlin

Für mehr Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025