Würzburg

Wer ist wer in Serry Adlers Album?

Es war im Kriegsjahr 1942, als der neunjährige Stanislaw Zdun aus dem polnischen Chelm ein kleines Fotoalbum mit 14 Schwarz-Weiß-Bildern am Wegesrand entdeckte. Er nahm es mit und behielt es bis zu seinem Tod 2012. Die Nachfahren gaben es dem Nationalmuseum Majdanek. Dort entdeckte man, dass es sich um einen Fund von unschätzbarer Bedeutung handelt. Stammt das Album doch von einem jüdischen Mädchen, Serry Adler, das 1942 nach Krasnystaw bei Lublin deportiert worden war.

Für die Museumsexperten begann eine detektivische Puzzlearbeit: Wem hatte das Album wohl gehört? Serrys Notizen führten über Umwege ins unterfränkische Urspringen. Dort lebt Leonhard Scherg, Vorsitzender des Förderkreises Synagoge Urspringen. Er recherchierte in Unterlagen des Vereins und fand heraus, dass das Album der damals 16-jährigen Serry Adler selbst gehörte.

Fragen Wegen ihrer äußeren Erscheinung ist Serry Adler auf den Bildern ihres etwa zehn mal sieben Zentimeter großen Albums leicht auszumachen: Sie hat einen auffällig hohen Haaransatz. Warum nahm sie wohl das Album mit? Wie kam es, dass sie es auf dem Todesmarsch vom Zwischenlager Krasnystaw nach Sobibor verlor?

»Vielleicht warf sie es auch absichtlich weg«, meint Josef Schuster, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde in Würzburg und Präsident des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. Auf jeden Fall sei der Fund »eine absolute Rarität«. Er hoffe, dass möglichst viele der dargestellten Personen identifiziert werden können, sagt Schuster.

Auf den Bildern sind wiederholt junge Frauen zu sehen. Mal befinden sie sich im Wald, mal im Garten. Diese Fotografien stammen offensichtlich aus Serry Adlers Schulzeit. Im Oktober 1939, einen Monat vor ihrem 14. Geburtstag, zog Serry nach Würzburg, um für zwei Jahre dort die Schule zu besuchen.

Pflegemutter Die etwas distanziert wirkende ältere Frau mit Brille, die einer Notiz Serry Adlers zufolge während ihrer Schulzeit als ihre Pflegemutter fungierte, konnte von Leonhard Scherg als Selma Flörsheimer identifiziert werden. Bei einer der Jugendlichen auf den Gruppenbildern handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Frieda Bergmann, erklärt Rotraud Ries vom Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken, die Leonhard Scherg bei seinen Recherchen unterstützt. Bilder von Frieda Bergmann aus dem Archiv des Würzburger Dokumentationszentrums, die kürzlich in zwei Ausstellungen zu sehen waren, legen diese Vermutung nahe.

Mit einer allumfassenden Aufklärung über die auf den Bildern dargestellten Personen rechnet Rotraud Ries nicht. Zu unwahrscheinlich erscheint ihr, dass es noch genügend Zeitzeugen gibt, die damals, als Serry Adler zur Schule ging, in Würzburg lebten und Kontakt zur jüdischen Gemeinde hatten. »Die Aufnahmen entstanden spät«, erläutert sie. Damals waren viele Juden bereits emigriert.

Melderegister Auch Einwohnermelderegister aus den Jahren 1939 bis 1941 existieren nicht mehr. Noch ist das Gros der dargestellten Personen unbekannt. Zweifelsfrei identifiziert wurde der damals 17-jährige Justin Adler, der im Juli 1940 seiner Cousine Serry bei einem Aufenthalt in Urspringen eine Aufnahme von sich in Schniebinchen in der Niederlausitz widmete. Bekannt ist auch Serrys Cousine Lore Bauer. Bei Serrys Lehrer, der zusammen mit seiner Frau auf einem der Fotos zu sehen ist, handelt es sich wohl um Georg Friess.

Angesichts der barbarischen Zeiten sei es sehr erstaunlich, wie unbeschwert die jungen Menschen auf den Bildern wirkten, findet Ries. »Obwohl es schon richtig eng war.« Doch dieses Phänomen kennt Rotraud Ries aus Briefen von Juden, die nach 1939 verfasst worden sind. Noch pikanter jedoch sei, dass das erste Foto aus dem Album von Serry Adler einen Trupp junger deutscher Soldaten zeigt.

Leonhard Scherg vermutet, dass es sich um eine Aufnahme aus dem Zwischenlager Izbica handeln könnte. Rotraud Ries verfolgt hierzu eine andere Spur: »Vielleicht hat Serry Adler einen der jungen Männer gemocht.« Und deshalb das Bild ganz vorne in ihr Album eingeklebt, meint die Historikerin.

Porträt der Woche

Leben mit allen Sinnen

Susanne Jakubowski war Architektin, liebt Tanz und die mediterrane Küche

von Brigitte Jähnigen  19.10.2025

Miteinander

Helfen aus Leidenschaft

Ein Ehrenamt kann glücklich machen – andere und einen selbst. Menschen, die sich freiwillig engagieren, erzählen, warum das so ist und was sie auf die Beine stellen

von Christine Schmitt  19.10.2025

Architektur

Wundervolles Mosaik

In seinem neuen Buch porträtiert Alex Jacobowitz 100 Synagogen in Deutschland. Ein Auszug

von Alex Jacobowitz  17.10.2025

Nova Exhibition

Re’im, 6 Uhr 29

Am 7. Oktober 2023 feierten junge Menschen das Leben. Dann überfielen Hamas-Terroristen das Festival im Süden Israels. Eine Ausstellung in Berlin-Tempelhof zeigt den Horror

von Sören Kittel  17.10.2025

Meinung

Entfremdete Heimat

Die antisemitischen Zwischenfälle auf deutschen Straßen sind alarmierend. Das hat auch mit der oftmals dämonisierenden Berichterstattung über Israels Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas zu tun

von Philipp Peyman Engel  16.10.2025

Erinnerung

Gedenken an erste Deportationen aus Berlin am »Gleis 17«

Deborah Hartmann, Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, warnte mit Blick auf das Erstarken der AfD und wachsenden Antisemitismus vor einer brüchigen Erinnerungskultur

 16.10.2025

Bonn

Hunderte Menschen besuchen Laubhüttenfest

Der Vorsitzende der Synagogen-Gemeinde in Bonn, Jakov Barasch, forderte mehr Solidarität. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hätten sich hierzulande immer mehr Jüdinnen und Juden aus Angst vor Übergriffen ins Private zurückgezogen

 13.10.2025

Hamburg

Stark und sichtbar

Der Siegerentwurf für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge steht fest

von Heike Linde-Lembke  09.10.2025

München

Mut in schwieriger Zeit

Der Schriftsteller und Historiker Rafael Seligmann stellte im Gespräch mit Christian Ude sein neues Buch im Jüdischen Gemeindezentrum vor

von Nora Niemann  09.10.2025