Vermächtnis

Was ich mir wünsche

Schalom, liebe Interessierte, auch ihr lieben Desinteressierten, Bekannten und Unbekannten, engagierte und abseits stehende jüdische Jugendliche, Erwachsene, junge Familien, ehrenamtlich und hauptamtlich Tätige in jüdischen Belangen: Seid herzlichst willkommen!

Wieso gerade ihr alle, nein, wir alle, und gerade jetzt diese Rückschau, wo wir doch nicht den Beginn unseres neuen jüdischen Jahres haben oder Pessach, um uns immer und immer wieder an den Auszug aus Ägypten und an den Weg aus der Sklaverei in eine ungewisse Zukunft zu erinnern, an eine 40-jährige Wüstenwanderung?

Wieso gerade jetzt, wo es weltweit doch wieder viele jüdische Gemeinden gibt – mit Ausnahme in fast allen arabischen Ländern oder am Nordpol und am Südpol – und wo es doch seit 1948 unseren einzigen jüdischen Staat, Israel, auf dieser Erde gibt, nach den mörderischen Verbrechen an uns Juden zwischen 1933 und 1945, während der Schoa? Und was war in den Jahrhunderten davor? Haben wir denn aus der Geschichte nichts gelernt?

Gerade jetzt, wo die Folgen des Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 auf uns Juden weltweit und auf die freiheitlichen Staaten verheerende Ausmaße erreichen. Sowohl menschlich, politisch, wirtschaftlich, finanziell als auch gesellschaftlich. Gerade jetzt, wo die Unterwanderung der westlichen Freiheit schon weit fortgeschritten ist. Und es kaum wirksame Gegenmaßnahmen gibt.

Haben wir denn aus der Geschichte nichts gelernt?

Gerade jetzt, wo wir Juden in beinahe allen Ländern, in denen wir seit fast 2000 Jahren leben, wieder angefeindet, oft herablassend behandelt, ausgegrenzt, diskriminiert, bedroht und immer wieder gehasst werden. In einer Welt, die internationale Institutionen geschaffen hat, die diese bedrohliche Judenfeindschaft anhaltend unter Beweis stellen, indem diese Israel direkt oder indirekt für alles Unheil auf der Welt verantwortlich machen.

Der Umkehrschluss: Es sind »die Juden«. Immer mehr Regierungen stellen sich nicht ihrer Verantwortung, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen: das Leben und die Gleichberechtigung aller ihrer Bürger zu schützen.

Das Böse siegt

Das Böse siegt. Es ist unfassbar. Wie damals in Ägypten, wo wir Sklaven waren. Wie damals nach 1918 in Deutschland und Europa, wie zwischen 1940 und 1945 in Europa und in den arabischen Staaten. Wie nach 1948, als Israel gegründet wurde und der »erweiterte« Judenhass in Nahost seine bis heute andauernde Blütezeit begann.

Wenn ich mehr als 80 Jahre meines Lebens zurückblicke, gab es am Anfang noch Licht und Hoffnung. Aber bereits 1938 wurde es immer dunkler und bedrohlicher, und die große Frage stand im Raum: »En wahin zol ach gejn?« – Und wohin soll ich gehen?

Damals gab es leider noch keinen jüdischen Staat, sondern nur die Idee von Theodor Herzl – und die Juden, die sich nicht einigen konnten, obwohl ihr Fortbestehen so stark bedroht war wie nie zuvor. Die Wunder, die seitdem geschahen, sind heute sichtbar und Realität, aber es gibt keine Garantie, dass es für immer so bleibt! Leider nicht.

Bedrohung durch eine neue Schoa

Die Bedrohung durch eine neue Schoa ist kein Hirngespinst, sondern sie ist Realität. Und diese »Schoa« wird nicht vor »den Juden« in den jeweiligen Staaten haltmachen, sondern auch die heute noch freiheitliche Gesellschaft mit Terror überziehen. So wie es bereits anhaltend erfolgt.

Statt dass die westliche Welt, die gewählten Volksvertreter dieser Entwicklung alle verfügbaren Kräfte entgegensetzen, begünstigen interne Machtkämpfe den Verfall der Freiheit und der Demokratie. Alle Warnungen, die jüdische Bürger immer wieder aussprechen, unterstützt von engagierten und kundigen nichtjüdischen Mitmenschen, sollten schleunigst aufgegriffen und umgesetzt werden. Wer den Terror weiter finanziert und toleriert, macht sich zum Mittäter!

Wir benötigen Mut und Ausdauer, aber auch Freunde und Freundinnen.

Am Sonntag haben viele aufgeatmet, denn ein kleiner Lichtstrahl erhellte die tiefe Dunkelheit: Die Hölle hat drei Menschen freigegeben, denen ihre Höllenknechte Unsägliches angetan haben. Aber die Höllenhunde werden ihr furchtbares Treiben nicht einstellen, solange die »Gutmenschen« sie nicht endgültig ausschalten. Dies wäre möglich – es fehlt nur der feste Wille dazu und das gemeinsame Vorgehen dagegen!

Mein Lebensmotto heißt: »Das Gute wird gewinnen, man muss aber etwas dafür tun.« Wir befinden uns in Deutschland 80 Jahre nach dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Das war damals. Es bedeutet aber nicht, dass es sich nicht wieder ereignen könnte. Daher bleibt dieser Teil der jüngsten Geschichte aktuell und mahnend.

Wir sind Teil der Gesamtgesellschaft

Wir leben freiwillig in Deutschland, die überwiegende Mehrheit von Ihnen und euch ist hier geboren. Wir sind Teil der Gesamtgesellschaft. Europäische Deutsche und Juden. Wir haben unsere Traditionen, unsere Werte, unsere Pflichten und Rechte. Früher haben wir geschwiegen, haben uns versklaven lassen. Das ist längst vorbei. »Im Leben bekommt man nichts geschenkt«, sagt ein Spruch. Wir möchten nichts geschenkt bekommen, aber gleichberechtigter Teil der Gesellschaft bleiben. Und wir wollen hier bleiben. Denn ist das nicht auch unser Zuhause? Hierfür müssen wir uns unentwegt einbringen, uns gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und gegen Judenhass wehren. Jeder und jede von uns.

Dazu benötigen wir Mut und Ausdauer, aber wir brauchen auch Freundinnen und Freunde. Am Israel Chai! Wunder dauern meistens etwas länger. Mögen wir sie täglich erleben.

Der Autor war von 1996 bis 2008 Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein.

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