Bürokratie

»Wahrscheinlich sind viele Gemeindemitglieder betroffen«

Frau Jakubowski, die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) hat gemeinsam mit einem Rentnerehepaar vor Gericht einen Vergleich erkämpft, bei dem es um Rückforderungen von überzahlten Sozialleistungen geht. Warum ist der Vergleich so wichtig?
Weil diese Problematik wahrscheinlich noch viele andere Gemeindemitglieder betreffen wird, die möglicherweise stillschweigend angeblich zu viel bezahlte Sozialhilfe zurücküberwiesen haben, obwohl sie das nicht hätten tun müssen.

Wie kam es überhaupt dazu?
Das Rentnerehepaar war 1999 aus den ehemaligen Sowjetstaaten nach Deutschland gekommen und hatte bereits bei der Beantragung des Visums wie auch später beim Antrag auf Sozialhilfe angegeben, dass es Rente bezieht. Die zuständigen Sozialämter kamen aber erst viel später auf die Idee, die Renten gegenzurechnen. Dann hat es auch noch Jahre gedauert, bis sie die angeblich zu viel bezahlte Sozialhilfe zurückforderten. Das bedeutete in unserem Fall, dass die Eheleute auf einen Schlag 8000 Euro zahlen sollten.

Wie kam es denn überhaupt dazu, dass die Renten nicht veranschlagt wurden?
Das können wir auch nur aus der Rückschau beantworten. Zunächst schien der Rubel nicht konvertibel zu sein. Außerdem waren die Renten so gering, dass kein werterhaltender Transfer gesichert werden konnte. Mit anderen Worten: Die Gebühren, die bei der Auslandsüberweisung angefallen wären, hätten den Betrag praktisch aufgebraucht.

Dann wurden die russischen Renten aber doch angerechnet ...
Ja, zum 1. Juli 2006 wurde die Konvertierbarkeit des Rubels festgelegt. Und einem Mitarbeiter eines Landratsamtes war ein Artikel in die Hände gefallen, der ihn überlegen ließ, ob die Zuwanderer nicht eine Rente erhielten, die anzurechnen sei. Die Erkenntnis, dass bei der Rentenanrechnung zu viel Sozialhilfe gezahlt wurde, war also purer Zufall. Die Rückforderungen wurden erst 2010 in die Wege geleitet und 2012 zugestellt. Unser Ehepaar hatte Einspruch dagegen erhoben, der erst 2016 bearbeitet wurde. Da haben wir uns dann helfend eingeschaltet.

Und doch ein gutes Ergebnis erzielt?

Das Ehepaar einigte sich auf einen Vergleich, um die Berufung des Sozialamtes zu verhindern. Es war also ein taktischer Vergleich. Das Gericht hätte die Forderung insgesamt zurückgewiesen. Das Ehepaar muss jetzt nur ein Zehntel des geforderten Betrages zurückzahlen. Für uns ist auch wichtig, dass den Eheleuten in dem Vergleich kein »böswilliges Verschweigen« angelastet wurde. Ja, umgekehrt sogar, die »Bösgläubigkeit« hätte hier vom Sozialamt nachgewiesen werden müssen. Das ist richtungsweisend.

Sie sagen, das ist richtungsweisend, obwohl es sich hier ja nicht um ein Urteil, sondern um einen Vergleich handelt?
Die Richterin hat auf unseren Wunsch ihre Begründung für die Beweislastumkehr schriftlich dargelegt, was unüblich ist. Aber in diesem Falle – und wir rechnen in unserem Gebiet der IRGW-Gemeinden noch mit einer zweistelligen Personengruppe von Betroffenen – ist es wichtig, dass es ähnlich gelagerte Fälle gibt, die wir aufklären wollen.

Der Vorstand der IRGW hat sich deshalb auch zu einem besonderen Schritt entschlossen ...
Wir rufen unsere Leute, also zugewanderte jüdische Rentner, die Rückzahlungsforderungen von Sozialleistungen erhalten haben, auf, sich bei uns zu melden. Wir wollen schauen, ob ihre Fälle ähnlich gelagert sind, und würden dann möglicherweise eine Sammelklage anstrengen. Die Betreffenden können sich bis zum 31. Mai mit allen ihren Unterlagen beim Vorstand der IRGW melden. Übrigens auch diejenigen, die schon gezahlt haben. Das ist für sie natürlich kostenfrei.

Mit dem Vorstandsmitglied der IRGW sprach Heide Sobotka.

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025

Mitzvah Day

Grünes Licht

Jüdische Gemeinden und Gruppen gestalteten deutschlandweit den Tag der guten Taten

von Katrin Richter  27.11.2025

Düsseldorf

Cooler Kick

Beim Ilan Fiorentino Cup kamen im Gedenken an Spieler aus dem Kibbuz Nahal Oz Israelis, Exil-Iraner und das NRW-Landtagsteam zu einem Freundschaftsturnier zusammen

von Jan Popp-Sewing  27.11.2025

München

Uschi Glas: Christen müssen jüdische Mitbürger schützen

Uschi Glas mahnt Christen zum Schutz von Juden. Sie warnt vor neuer Ausgrenzung und erinnert an eigene Erfahrungen nach dem Krieg. Was sie besonders bewegt und warum sie sich Charlotte Knobloch verbunden fühlt

von Hannah Krewer  27.11.2025

Berlin

Es braucht nur Mut

Das Netzwerk ELNET hat zwei Projekte und einen Journalisten für ihr Engagement gegen Antisemitismus ausgezeichnet. Auch einen Ehrenpreis gab es

von Katrin Richter  26.11.2025

Feiertage

Chanukka-Geschenke für Kinder: Augen auf beim Kauf

Gaming-Konsole, Teddybär oder Carrera-Bahn - Spielzeug dürfte bei vielen Kindern auf dem Wunschzettel stehen. Worauf zu achten ist - und wann schon der Geruch stutzig machen sollte

 26.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Entscheidung

Berlin benennt Platz nach Margot Friedländer

Jahrzehntelang engagierte sich die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer für Aussöhnung. Nun erfährt die Berlinerin nach ihrem Tod eine besondere Ehrung

 26.11.2025 Aktualisiert