München

Verloren und verstreut

Julia Schneidawind im Gemeindezentrum Foto: Tom Hauzenberger

Im Juli 2023 hatte Julia Schneidawind für eine Kooperationsveranstaltung des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur und das IKG-Kulturzentrum im Historicum der Ludwig-Maximilians-Universität einen Vortrag über die unglaublichen Umstände gehalten, die zur Landung und zum Verbleib der Bibliothek Franz Rosenzweigs in der Nationalbibliothek Tunesiens statt in Israel führten. Inzwischen ist die Dissertation der Historikerin erschienen, in der sie noch vier weitere Schicksale von Privatbibliotheken und ihren Besitzern darstellt.

Um »Verlorenes zwischen Frankfurt, Tunis und Jerusalem« ging es bei Rosenzweig, um »Rekonstruiertes zwischen München, Sanary-sur-Mer und Los Angeles« bei Lion Feuchtwanger, um »Verstreutes zwischen Wien, London und Petrópolis« bei Stefan Zweig, um »Erinnertes zwischen München, Auckland und Marbach am Neckar« bei Karl Wolfskehl und um »Überlagertes zwischen Fürth, Altaussee und Nürnberg« bei Jakob Wassermann.

Vor Kurzem stellte Julia Schneidawand, seit Oktober 2022 wissenschaftliche Assistentin und Akademische Rätin a. Z. am Lehrstuhl, als Fortsetzung gemeinsamer Präsentation ihre Dissertation im Jüdischen Gemeindezentrum vor. Von den fünf untersuchten Fällen über Schicksale Bücher liebender Autoren und damit ihrer Privatbibliotheken wählte Schneidawind zwei Fallbeispiele mit besonderer Verbindung zu München aus.

Der gebürtige Darmstädter Karl Wolfskehl

Bei dem gebürtigen Darmstädter Karl Wolfskehl (1869–1948) geht es nicht nur um Erinnertes, sondern in der Landeshauptstadt München weitestgehend Vergessenes. Dorthin war der Germanist 1898, jung verheiratet, hingezogen und rasch zu einer »schillernden Figur«, so Schneidawind, in der Intellektuellen- und Bohème-Szene geworden. In den Antiquariaten von Emil Hirsch und der Familie Rosenthal war er gern gesehener Kunde. Nach dem Reichstagsbrand floh er nach Italien. Seine große Bibliothek, die in Kiechlinsbergen ruhte, schickte die nichtjüdische Frau nach Jerusalem.

Wolfskehl bekam dafür von Salman Schocken eine Leibrente, die sein Überleben im Exil in Italien und später in Neuseeland sicherte. Schockens Erben hielten deutsche Bücher in Israel für wenig sinnvoll, so gelangten Wolfskehls Bücher über Auktionsverkauf nach Marbach. Dort gibt es auch die wenigen letzten Habseligkeiten Wolfskehls, der erblindet, verarmt und einsam in Auckland starb.

Da setzte die Witwe Lion Feuchtwangers (1884–1958), Martha, andere Zeichen. Sie überschrieb seine dritte Sammlung der University of Southern California, die sie in die Feuchtwanger Memorial Library umwandelte. Schon der Vater Sigmund Feuchtwanger, der sein Geld mit einer Margarinefabrik in München verdient hatte, »besaß eine erlesene judaistische Bibliothek«, wie es 1916 in einem Nachruf hieß. Diese gilt als restlos verschollen.

Die Bibliothek des Sohnes Ludwig, in den 30er-Jahren für die Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde zuständig, wurde geplündert, die Bibliothek des Sohnes Lion in seiner Berliner Villa 1933 verwüstet beziehungsweise verschleudert. Lion, zu dieser Zeit in den USA, kehrte nach Europa zurück und baute in Sanary-sur-Mer ein neues Heim mit Büchern auf. Als er floh, musste er alles zurücklassen. Ein Teil davon erreichte ihn 1942 gegen hohe Transportkosten in Los Angeles.

Julia Schneidawind: »Schicksale und ihre Bücher. Deutsch-jüdische Privatbibliotheken zwischen Jerusalem, Tunis und Los Angeles«. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2023, 308 S., mit Abb., 49 €

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025