Initiative

Unsere Nachbarin Mathilde

Etwas tun gegen das Vergessen, ein Zeichen setzen – für Humanismus, für die Werte unserer Kultur, für ein menschliches Miteinander. Sie hatten eine Idee und haben sie umgesetzt: Jutta Reichwein-Weil und ihr Mann Bernd Weil. Sie haben einen Gedenkstein entworfen und ihn zur Erinnerung an eine frühere Bewohnerin ihres Dorfes Eisenbach im Taunus für Mathilde Mannheimer, geborene Aumann, gestiftet.

Der Stein säumt gemeinsam mit anderen die Gedenkallee in Sobibor, einem ehemaligen Vernichtungslager im Dreiländereck von Polen, Weißrussland und der Ukraine. Hier hatten deutsche SS-Männer von Mitte April 1942 bis Mitte Oktober 1943, in nur anderthalb Jahren, 170.000 jüdische Menschen ermordet. Unter ihnen war auch Mathilde Mannheimer.

Izbica Im Rahmen einer Gedenkstunde wurde der Stein im Beisein der beiden Stifter aus Eisenbach sowie zahlreichen weiteren Besuchern eingeweiht. Dabei waren auch Schüler aus Izbica, einem Ort, den auch Mathilde Mannheimer seinerzeit als Ghetto passieren musste. Zwei Schülerinnen aus Wlodawa gestalteten die Gedenkstunde musikalisch. Während der Veranstaltung wurden Auszüge aus der Biografie von Mathilde Mannheimer verlesen, die Bernd Weil in aufwendigen Recherchen zusammengetragen, verfasst und veröffentlicht hat.

Es war der 11. Juni 1942, an dem Mathilde Mannheimer, ihr Mann Alfred und mit ihnen etwa 1200 Juden vom Bahnhof an der Großmarkthalle in Frankfurt am Main »nach dem Osten« verfrachtet wurden, um dort angeblich zu arbeiten, wie offiziell behauptet wurde. Nach zwei Tagen Fahrt kam der Deportationszug über Lublin und Izbica am 13. Juni 1942 im Konzentrationslager Majdanek an, das bis zum Frühjahr 1943 offiziell noch »Kriegsgefangenenlager Lublin« hieß.
Mathilde wurde von der Großmarkthalle in Frankfurt aus ins KZ Majdanek deportiert.

Mathilde Mannheimer und alle anderen Frauen wurden nach der Plünderung ihrer Habseligkeiten durch die SS weiter transportiert in das 66 Kilometer südöstlich von Lublin gelegene Ghetto Izbica, weil nach einer Anordnung des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, im KZ Majdanek Frauen erst ab Oktober 1942 gefangen gehalten wurden. Das völlig verarmte und isolierte jüdische Schtetl wurde in den Jahren 1942 und 1943 von der SS als Transit- oder Durchgangsghetto für Juden aus Deutschland, Polen, der Slowakei, Österreich und Tschechien genutzt, die von dort in die Vernichtungslager Belzec oder Sobibor transportiert werden sollten.

Deportation Mathilde Mannheimer, die am 12. Juli 1901 in Eisenbach zur Welt gekommen war, wurde entweder im Oktober oder Anfang November 1942 in einem Güterwaggon vom Dorf Izbica in das rund 90 Kilometer in nordöstlicher Richtung gelegene Vernichtungslager Sobibor in Ostpolen transportiert, wo sie nach ihrer Ankunft nur noch etwa zwei Stunden zu leben hatte. Sie wurde ermordet, verbrannt und ihre Asche in einem Massengrab verscharrt – die Erinnerung an ihre Existenz sollte vollkommen ausgelöscht werden.

Doch vergessen ist sie nicht. Denn seit dem 14. Oktober 2003, dem 60. Jahrestag des jüdischen Häftlingsaufstandes, wird auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Sobibor eine Gedenkallee errichtet, die ständig erweitert und zurzeit völlig neu gestaltet wird. Nun erinnert auch der von Jutta Reichwein-Weil und Bernd Weil gestiftete Gedenkstein für Mathilde Mannheimer an die Ermordung der Eisenbacherin.

Dokumentation Bernd Weil aber hat nicht nur einen Stein errichten lassen. Der pensionierte Oberstudienrat, Diplompsychologe und Sozialpädagoge hat Germanistik, Politikwissenschaft, Geschichte, Pädagogik und Psychologie in Frankfurt studiert. Er ist Autor, Verleger und Rezensent der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn und der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden sowie Gutachter beim Hessischen Kultusministerium und bei verschiedenen Instituten. Neben zahlreichen Buchveröffentlichungen schrieb er Beiträge für Bibliografien, Lexika, Fachzeitschriften, Zeitungen, im Internet und für den Rundfunk.

Die Geschichte von Mathilde Mannheimer und ihrer Angehörigen, der Familie Aumann aus Eisenbach im Taunus, hat er zusammen mit den Biografien der anderen Familienmitglieder in einem zweibändigen Werk für die Nachwelt festgehalten. Der Familie war nahezu alles Leid angetan worden, was die Nazi-Schergen gegen die Juden ersonnen hatten.

Dies hat Bernd Weil in den beiden Büchern Unvergessene Nachbarn. Das Schicksal der Eisenbacher jüdischen Familien und Verfolgt – deportiert – überlebt. Unvergessene Nachbarn aufgeschrieben. Mit diesen Erinnerungen ist es nicht gelungen, das Gedenken an die Familie auszulöschen. Es gibt Überlebende, die einen Neustart gewagt haben.

Momentan arbeitet Bernd Weil an einem dritten Band seines Werkes über die Aumanns, der Ende des Jahres erscheinen soll. Die von ihm verfasste Geschichte der Aumanns basiert ausschließlich auf historischen Dokumenten und Berichten. Alle Personen und Ereignisse hat Weil erstmals in mehr als 80 Archiven von Deutschland über Auschwitz, Lodz, Theresienstadt, Großbritannien, Israel und den USA recherchiert. Zahlreiche Fotos, Originaldokumente und Karten runden die Darstellung ab.

Bernd Weil: »Unvergessene Nachbarn: Das Schicksal der Eisenbacher jüdischen Familien (Band1)«. Books on Demand 2013, 360 S.


Bernd Weil: »Verfolgt – deportiert – überlebt: Unvergessene Nachbarn (Band 2)«. Books on Demand 2015, 404 S.

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025

Digitales Gedenken

App soll alle Stolpersteine Deutschlands erfassen

Nach dem Start in Schleswig-Holstein soll eine App in Zukunft alle Stolpersteine in Deutschland erfassen. In der App können Biografien der Opfer abgerufen werden

 24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

München

Nicht zu überhören

Klare Botschaften und eindrucksvolle Musik: Die 39. Jüdischen Kulturtage sind eröffnet

von Esther Martel  23.11.2025

Berlin

Gegen den Strom

Wie der Ruderklub »Welle-Poseidon« in der NS-Zeit Widerstand leistete und bis heute Verbindung zu Nachfahren seiner jüdischen Mitglieder pflegt

von Alicia Rust  23.11.2025

Porträt

Glücklich über die Befreiung

Yael Front ist Dirigentin, Sängerin, Komponistin und engagierte sich für die Geiseln

von Alicia Rust  22.11.2025

Berufung

Schau mal, wer da hämmert

Sie reparieren, organisieren, helfen – und hören zu: Hausmeister von Gemeinden erzählen, warum ihre Arbeit als »gute Seelen« weit mehr ist als ein Job

von Christine Schmitt  21.11.2025

Spremberg

Gegen rechtsextreme Gesinnung - Bürgermeisterin bekommt Preis

Rechtsextreme sprechen im ostdeutschen Spremberg vor Schulen Jugendliche an. Die Schüler schütten ihrer Bürgermeisterin ihr Herz aus - und diese macht das Problem öffentlich. Für ihren Mut bekommt sie jetzt einen Preis

von Nina Schmedding  21.11.2025

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025