Stuttgart

Trotz Lampenfieber erfolgreich

Elias Schmidt hat kein Problem damit, sich einzugestehen, dass er vor seinem Solo-Klavier-Vortrag mächtig aufgeregt war. »Mir haben die Hände gezittert«, sagt der Zehnjährige. Der Stuttgarter weiß sich in bester Gesellschaft – auch einige Weltstars am Tasteninstrument leiden seit Jahrzehnten an Lampenfieber und erhalten dennoch riesigen Applaus des Publikums.

Im Gemeindesaal der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) geht es da ein wenig zurückhaltender zu. Aber als sich Elias Schmidt nach seiner Aufführung mit Kompositionen von Johann Sebastian Bach, Muzio Clementi, Vladimir Milman und Michail Glinka verbeugt, bekommt auch er viel Beifall. Die Jury hat seinem Klavierspiel konzentriert zugehört und sich Notizen gemacht.

»So gut klingt Zukunft«: Das war das Motto des 18. Internationalen Karl-Adler-Jugendmusikwettbewerbs in der IRGW. 67 Teilnehmende aus acht Ländern präsentierten an zwei Wochenenden ihr Können vor einer internationalen Jury. Das abschließende Preisträgerkonzert mitsamt Preisverleihung findet am 7. Juli im Gemeindesaal der IRGW statt.

Konkurrenz im eigenen Haus

Zum vierten Mal ist Elias beim Karl-Adler-Jugendmusikwettbewerb mit von der Partie, Konkurrenz ist er gewöhnt. Die nämlich lebt im eigenen Haus – es sind seine älteren Brüder Frederik (12) und Endrik (16). Unterrichtet werden alle drei von ihrer Mutter Kamilla Soulejmanova. Lust auf irgendeine auswärtige Musikschule haben Endrik, Frederik und Elias bisher nie gehabt.

»Bei uns gibt es fünf Tasteninstrumente im Haus«, verrät Frederik. Streit um Übungszeiten habe es nie gegeben. Vor Wettbewerben klingt Musik nonstop unter dem Dach der Familie, und was gespielt wird, entscheidet ihre Mutter Kamilla. »Natürlich, wenn jemand irgendeinen Vorschlag überhaupt nicht akzeptiert, muss er das Werk auch nicht spielen«, sagt sie lächelnd.

67 Nachwuchsmusiker aus acht Ländern präsentierten ihr Können.

1999 kam Kamilla Soulejmanova nach Deutschland und begann ihr Studium an der Hochschule für Musik Karlsruhe. So ist es naheliegend, dass sie ihr Wissen an ihre in Deutschland geborenen drei Söhne weitergibt.

Beim Wettbewerb traten die drei Brüder sowohl solistisch als auch in wechselnden Duos auf und konnten einen der begehrten ersten Preise mit nach Hause nehmen. »Ziel allen Übens sind die Wettbewerbe«, betont Endrik. Er war in diesem Jahr schon zum zehnten Mal dabei, Frederik zum sechsten Mal. Doch auch als Tanzbegeisterte sind die drei Brüder auf dem Parkett gefragt. Ohne effiziente Zeiteinteilung sind Musik und Bewegung kaum unter einen Hut zu bringen. »Am Wochenende sind wir oft zu Turnieren unterwegs«, sagt Kamilla Soulejmanova. Und als Mitglieder der IRGW sind sie auch in Gemeinde und Synagoge keine Unbekannten.

Namensgeber Karl Adler

Kinder und Jugendliche in ihrem musikalischen Talent zu fördern, sie manchmal auch über Jahre pädagogisch zu begleiten, genau das ist die Intention des Stuttgarter Wettbewerbs. Und Namensgeber Karl Adler (1890–1973) war zweifelsohne eine wichtige Person im jüdischen Kulturleben Württembergs. In Buttenhausen in eine schwäbische Landjudenfamilie geboren, genoss er eine Lehrer- und Kantorenausbildung und studierte am Konservatorium in Stuttgart Gesang.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs betätigte er sich in der musikalischen Volksbildung und wurde 1921 Leiter des Neuen Konservatoriums für Musik in Stuttgart. 1926 gehörte er zu den Mitbegründern des Jüdischen Lehrhauses in Stuttgart. Diese Einrichtung engagierte sich in der Erwachsenenbildung und verfolgte mit Kulturveranstaltungen, Vorträgen und Diskussionen das Ziel, die zunehmend assimilierten deutschen Juden geistig enger an das Judentum zu binden.

1933 verlor Karl Adler seine Stelle am Konservatorium. Wie alle jüdischen Künstler durfte er nur noch im Rahmen jüdischer Institutionen auftreten. Als Reaktion darauf gründete er die Stuttgarter Jüdische Kulturgemeinschaft, eine Dependance des im Juli 1933 in Berlin entstandenen Kulturbunds Deutscher Juden. 1940 packte Karl Adler notgedrungen seine Koffer und wanderte in die Vereinigten Staaten aus. Anders als viele seiner Zeit- und Leidensgenossen startete der Musiker karrieremäßig neu durch: Er konnte als Dozent und Professor an Colleges und Universitäten arbeiten und war maßgeblich an der Errichtung der Musikabteilung an der Yeshiva-Universität in New York beteiligt. Dort starb Karl Adler im Jahre 1973.

Was auf Tasten-, Streich- und Zupfinstrumenten »geboten« wird, ist etwas Besonderes.

Aus New York direkt nach Stuttgart kam vor einigen Jahren die fünfköpfige Familie Sivan. Auch die drei Kinder werden mit ihren musikalischen Talenten von den Eltern gefördert. Sei es im Unterricht durch ihren Vater Nogam Sivan oder in der Begleitung beim Wettbewerb durch Mutter Maya Hartman-Sivan.

Teilnehmer und Zuhörer

Nicht nur Teilnehmer wie die drei Sivans garantieren, dass der Karl-Adler-Jugendmusikwettbewerb auf hohem musikalischen Niveau abgehalten wird. Was Zuhörern – die jederzeit und kostenfrei in den Gemeindesaal eingeladen sind – mit den Wettbewerbsbeiträgen auf Tasten-, Streich- und Zupfinstrumenten und der Gesangsstimme »geboten« wird, ist etwas Besonderes.

Das hat sich in nahezu zwei Jahrzehnten auch bei der Jury herumgesprochen. »Manch einer meiner Kollegen war skeptisch, ob ein so qualitätvoller Wettbewerb im Rahmen der Jüdischen Gemeinde überhaupt möglich sein könnte«, weiß Margarita Volkova-Mendzelevskaya zu berichten.

»Bereits verstorbene Kollegen wie die Klavier-Professorin Shoshana Rudiakov und der Geiger Michael Wieck, Holocaust-Überlebender und Verwandter von Clara Schumann-Wieck, haben mich in den schwierigen Anfangsjahren unterstützt«, so die Mitbegründerin des Wettbewerbs und künstlerische Leiterin von Anbeginn an. Inzwischen seien Musikerinnen und Musiker stolz, wenn sie in die Stuttgarter Jury eingeladen würden.

Besonders schwierig war anfangs auch die finanzielle Ausstattung. »Teilnehmer brauchen künstlerische Beurteilung durch die Jury genauso wie die Anerkennung durch Preise«, sagt Volkova-Mendzelevskaya. Zunächst hätten Mitglieder der IRGW, Bekannte und Freunde der Musik entsprechende Gelder gespendet. Nachdem der Zentralrat der Juden in Deutschland fördernd in den Wettbewerb eingestiegen sei, gebe es mehr Spielraum für die Preisgeldgestaltung.

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