München

Trauerspiel und Risches

Nur einige Obelisken überragen die schlichten Mazewot, die Reihen der Grabsteine auf dem Alten Israelitischen Friedhof in München. Ansonsten sprießen hier allein die Bäume in die Höhe, manche noch gezeichnet von den Sturmschäden, die dem Friedhof insbesondere Ende November 2023 schwer zugesetzt haben. Gleichwohl bleiben auf den Steinen neben den Namen viele Symbole erkennbar: der Davidstern, der Wasserkrug der Leviten oder die Priesterhände des Aaronitischen Segens der Kohanim.

Befremdlich aber sticht das aus toskanischem Carrara-Marmor gestaltete Grabmonument des Dichters Michael Beer (1800–1833) hervor. Es ist ein Kenotaph, ein oberirdisches Scheingrab. Der deutsch-israelische Kunsthistoriker Theodor Harburger kritisierte es als »das Eindringen einer Auffassung in die Gestaltung jüdischer Grabstätten, die dem ursprünglichen einfachen Sinn und tiefen Grundgedanken des Judentums nicht entsprach«.

Von König Ludwig I. beauftragt, von Leo von Klenze entworfen

Denn einzig die Erdbestattung ist im Judentum zulässig, und so wurde Michael Beer auch unter dem monumentalen Überbau dem jüdischen Ritus entsprechend im Erdreich bestattet. Der Auftrag für das Monument kam von keinem Geringeren als von König Ludwig I. selbst, entworfen hat es Leo von Klenze. Bezahlen musste das Kenotaph freilich die jüdische Gemeinde München.

Wer ist dieser Mann, dem diese auffallende Ehre zuteilwurde?

Doch wer ist dieser Mann, dem diese auffallende Ehre zuteilwurde? »Die Nachwelt hat den Dichter Michael Beer so gründlich vergessen, wie sie die überwältigende Mehrzahl der Dichter des 19. Jahrhunderts vergaß.« So schreibt es Ernst Osterkamp, emeritierter Professor für Neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin, in seiner neuen Biografie Der Dichter und der Risches, die er im Jüdischen Gemeindezentrum vorstellte. Der Goethe-Kenner Osterkamp ist nach eigener Auskunft »über viele Umwege« zur Abfassung dieses »nie geplanten Buches« gelangt.

Eingeführt von Ellen Presser, Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), richtete er im Gespräch mit dem Kulturwissenschaftler Jens Malte Fischer den Blick auf Leben und Werk des früh verstorbenen jüdischen Dichters. Der jüngste Bruder des Komponisten Giacomo Meyerbeer und Sohn des kunstbegeisterten Berliner Bankiers, Unternehmers und Mäzens Jacob Herz Beer stand im Herzen des deutschen wie europäischen Literatur- und Kunstbetriebs des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts.

Die Dramen von Michael Beer machten ihren Schöpfer zu einem zu Lebzeiten berühmten Dichter, allerdings ohne Nachruhm. Sein Talent zur Freundschaft und zum Netzwerken brachte ihn mit den wichtigsten Intellektuellen seiner Zeit in Kontakt. Anders als Ludwig Börne oder Heinrich Heine ließ sich Michael Beer niemals taufen und stand fest zu seinem Judentum. Zeitlebens, so Osterkamp, setzte er sich mit dem »Risches« auseinander, wie der Antisemitismus damals genannt wurde. Und dies zu einer Zeit, da der politische Wind der Restauration nicht zugunsten der Judenemanzipation wehte. Beers bekanntestes Stück »Der Paria« konnte deshalb das Thema der Diskriminierung nur im weit entfernten Indien verhandeln.

Goethe soll das Manuskript mit Wohlgefallen gelesen haben

Goethe, dem der junge Autor das Manuskript persönlich überreichte und der es noch am selben Tag mit Wohlgefallen durchgelesen haben soll, brachte es in Weimar zur Aufführung, ohne jedoch für den spezifischen jüdischen Gehalt empfänglich gewesen zu sein. Die Situation des diskriminierten Paria wurde in der Rezeption ins »Allgemein-Menschliche« gehoben, obwohl die Widmung des Trauerspiels an Beers Mutter, die in Berlin allseits bekannte Salonnière Amalie Beer, die Aufschlüsselung der Tragödie als Darstellung der jüdischen Situation eindeutig gemacht hatte.

Die Dramen machten Michael Beer zu Lebzeiten berühmt, allerdings ohne Nachruhm.

Mit dem »Risches« hatte Beer sogar bei seinem langjährigen Dichterfreund Karl Immermann zu kämpfen. In einem ausführlichen Brief vom 9. März 1828 bat Beer diesen, Abstand von antisemitischen Versen in seinem neuen Lustspiel Die Verkleidungen zu nehmen, derer er Immermann gar nicht für fähig halte. Osterkamp gibt diesen Brief vollständig wieder und platziert ihn in der Mitte der Biografie. Beim Verlesen vor den anwesenden Gästen in der Kultusgemeinde wurde Beers eindrückliche Verteidigung seines Judentums deutlich: »Hat ein Dichter die Rohheit zu glauben, er mache zwei Künstler dadurch lächerlich, dass er sie als das bezeichnet, wozu sie sich offen und frei bekennen, nämlich als Juden …«

Der Erfolg seines Trauerspiels Struensee in München veranlasste Beer, sich nach seinen Europareisen in der vergleichsweise liberalen Stadt dauerhaft niederzulassen. König Ludwig I. schätzte ihn außerordentlich. Doch dann wurde Michael Beer sehr krank und erlag nach kurzer Zeit einem »Nervenfieber«. Die in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität organisierte Veranstaltung gab den Gästen schließlich auch die Gelegenheit, sich für einen Besuch des Alten Israelitischen Friedhofs zur Besichtigung des auffälligen Grabmals anzumelden.

Ernst Osterkamp: »Der Dichter und der Risches. Leben und Werk des Michael Beer (1800–1833)«. Wallstein, Göttingen 2024, 256 S., 24 €

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