Nachruf

Trauer um Faye Cukier

Faye Cukier sel. A. Foto: Diözesan-Caritasverband Köln

»Was wollen Sie wissen?« Auch im vergangenen Sommer, kurz nach ihrem 100. Geburtstag, war Faye Cukier bereit. Bereit, aus ihrem Leben zu erzählen. Wie es war, als sie als Jüdin aufgrund des Terrors der Nationalsozialisten ihre Geburtsstadt Köln verlassen musste.

Ihren Lebensabend verbrachte Cukier im Elternheim der Syngogen-Gemeinde Köln. Am Montag ist sie in dem Altersheim gestorben. Rund acht Kilometer östlich, auf der anderen Seite des Rheins, im Stadtteil Mühlheim, verbrachte sie ihre Kindheit.

Vater Jakob führte einen Metallbetrieb, die Tochter wuchs in behüteten Verhältnissen auf - bis Adolf Hitler und seine Schergen 1933 an die Macht kamen. Der Druck auf Juden nahm stetig zu. Mutter Sophie drängte im Herbst 1938 zur Flucht, noch vor den antisemitischen Ausschreitungen der »Reichskristallnacht«.

Auf dem Heimweg war Faye von Jugendlichen angepöbelt und schließlich mit Steinen beworfen worden. »Danach gab es für meine Mutter kein Halten mehr - sie schrie: ‚Ich will nicht mehr in diesem Land bleiben!‘ «

Die Familie landete zunächst im belgischen Antwerpen. Hier lebten Verwandte der Eltern. Zugleich schien es möglich zu sein, von dort weiter nach England, in die USA oder nach Kanada zu reisen. Doch mit jedem Tag in der langen Schlange vor dem US-Konsulat wurde klarer, dass sie denkbar schlechte Karten besaßen.

Die Eltern hatten lediglich die polnische Staatsbürgerschaft - und wurden damit als Juden und Nicht-Deutsche zu Flüchtlingen dritter Klasse: Niemand wollte diesen Menschen dauerhaft Zuflucht gewähren.

Im Mai 1940 marschierten die deutschen Truppen in Belgien ein. Die Cukiers flohen in den Fährhafen Oostende. Um dort ein weiteres Mal festzustellen, dass es für sie kein Entkommen Richtung England gab. Über das französische Dünkirchen, wo sie die Bomberangriffe der deutschen Luftwaffe nur knapp überleben, ging es schließlich - meist zu Fuß - zurück nach Antwerpen.

Paradoxerweise entspannte sich die Lage in der Stadt unter deutscher Besatzung kurzfristig. Der Teenager Faye stieg zum Alleinversorger der Familie auf. Als »Courtiere« verkaufte sie wertvollen Diamantenschmuck. Damals war die Branche fest in jüdischer Hand. So ist es bis heute. Mit dem Unterschied, dass damals die Geschäfte auf offener Straße abliefen und Frauen die Armbänder, Colliers oder Ringe am Körper zur Schau trugen.

Die Gewinne in bar durften die Zwischenhändlerinnen direkt einstreichen. Schon bei ihrer ersten Verhandlung macht Faye ein Plus von 15.000 belgischen Francs.

Von unglaublichem Glück sprach Faye, wenn sie berichtete, wie sie und ihre Eltern die Verfolgung im Zweiten Weltkrieg und die Deportation ins Konzentrationslager Auschwitz , die 30 Kilometer vor der deutschen Grenze im Örtchen Hoeselt endete, überlebten. Oder von der Nacht zwischen Kaninchenställen in einem Keller, mit der sie und ihre Eltern den Verfolgern in Brüssel entgingen. Die belgische Hauptstadt war zugleich die letzte Station ihrer Flucht. Hier erlebte die Familie die Befreiung durch die Alliierten.

Danach, so scheint es, holte Faye jenes Leben nach, das die Nazis ihr gestohlen hatten. Sie zog in die USA, gründete dort eine Familie. Die Verbindungen in ihre geliebte Heimatstadt rissen freilich nicht ab: Sie besaß dort eine kleine Wohnung.

Ihre Erinnerungen mit dem Titel »Fleeing the Swastika« (»Flucht vor dem Hakenkreuz«) erschienen 2012 in deutscher Sprache; eine Film-Dokumentation mit dem Titel »Kölsches Mädchen - Jüdischer Mensch« zeichnet die Stationen ihrer Flucht nach.

»Was wollen Sie wissen?« Bis ins hohe Alter engagierte sich Faye Cukier in Zeitzeugen-Gesprächen etwa an Schulen oder 2014 für den Diözesan-Caritasverband des Erzbistums Köln. »Wir behalten Faye Cukier als starke, mutige und humorvolle Frau in Erinnerung und fühlen mit ihrer Familie«, so Caritasverbands-Sprecher Markus Harmann.

»Im Film sagt sie: ‚Es war eine quälende Entscheidung, ein herzzerreißendes Opfer, Köln und alles, was wir liebten, zu verlassen.‘ 75 Jahre nach ihrer eigenen Flucht führte sie uns eindrucksvoll vor Augen, was es bedeutet, die Heimat verlassen zu müssen.«

Lesen Sie mehr dazu in unserer Printausgabe am Donnerstag.

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025

Mitzvah Day

Grünes Licht

Jüdische Gemeinden und Gruppen gestalteten deutschlandweit den Tag der guten Taten

von Katrin Richter  27.11.2025

Düsseldorf

Cooler Kick

Beim Ilan Fiorentino Cup kamen im Gedenken an Spieler aus dem Kibbuz Nahal Oz Israelis, Exil-Iraner und das NRW-Landtagsteam zu einem Freundschaftsturnier zusammen

von Jan Popp-Sewing  27.11.2025

München

Uschi Glas: Christen müssen jüdische Mitbürger schützen

Uschi Glas mahnt Christen zum Schutz von Juden. Sie warnt vor neuer Ausgrenzung und erinnert an eigene Erfahrungen nach dem Krieg. Was sie besonders bewegt und warum sie sich Charlotte Knobloch verbunden fühlt

von Hannah Krewer  27.11.2025

Berlin

Es braucht nur Mut

Das Netzwerk ELNET hat zwei Projekte und einen Journalisten für ihr Engagement gegen Antisemitismus ausgezeichnet. Auch einen Ehrenpreis gab es

von Katrin Richter  26.11.2025

Feiertage

Chanukka-Geschenke für Kinder: Augen auf beim Kauf

Gaming-Konsole, Teddybär oder Carrera-Bahn - Spielzeug dürfte bei vielen Kindern auf dem Wunschzettel stehen. Worauf zu achten ist - und wann schon der Geruch stutzig machen sollte

 26.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Entscheidung

Berlin benennt Platz nach Margot Friedländer

Jahrzehntelang engagierte sich die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer für Aussöhnung. Nun erfährt die Berlinerin nach ihrem Tod eine besondere Ehrung

 26.11.2025 Aktualisiert