Nürnberg

Trauer um Arno Hamburger

Arno Hamburger sel. A. (1923 – 2013) Foto: Christian Rudnik

Für wenige Menschen sind Bezeichnungen wie »Urgestein« oder »Charakterkopf« so treffend wie für Arno Hamburger. Er konnte poltern, stur und zäh seine Ansichten verteidigen, schaffte es dabei aber immer, sich bei Freunden und Gegnern durch profunde Sachkenntnis höchsten Respekt zu verdienen. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg verstarb vergangene Woche im Alter von 90 Jahren und wurde am Montag in aller Stille beigesetzt.

Gestalter Hamburger war Zeitzeuge und Opfer ebenso wie Gestalter der neueren Geschichte. Als langjähriger Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg baute er Brücken zu anderen Religionen, ohne sich je zu verbiegen oder faule Kompromisse einzugehen. Sein Freund Günther Beckstein, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident, erinnert sich: »Er war stets zuverlässig und ein echter Freund. Man weiß bei ihm, dass man nicht angelogen wird, sondern er konnte einem die Meinung geigen, ohne Rücksicht darauf, ob man Minister oder Ministerpräsident war.«

Seiner Geburtsstadt Nürnberg blieb er sein Leben lang verbunden, er kämpfte dafür, dass das Image Nürnbergs als Stadt der Rassengesetze und der Reichsparteitage in den Hintergrund rückte. Hamburger war maßgeblich daran beteiligt, dass es heute die Straße der Menschenrechte und das weit über die Stadt beachtete Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände gibt. Im Stadtrat war der Sozialdemokrat mehr als 40 Jahre lang geschätzt und ob seiner stets akribischen Vorbereitung und Kenntnis der Akten gefürchtet.

Selbstbewusstsein Zum Kämpfer war Arno Hamburger schon in seinem Elternhaus erzogen worden. »Bou, lou der nix gfalln!«, so erzählte er gern, lautete der wichtigste Ratschlag seines Vaters an den einzigen Sohn, auf Hochdeutsch: »Junge, lass dir nichts gefallen.« Das musste er früh lernen. Nach der Machtergreifung der Nazis hörte er Julius Streichers Hasstiraden, emigrierte als 16-Jähriger mit dem letzten Schiff nach Palästina und schlug sich alleine durch. »Manche sagen, ich spreche Hebräisch mit fränkischem Akzent, das stimmt aber nicht«, sagte er manchmal mit gespielter Entrüstung.

Nach dem Krieg kam er als britischer Soldat in die zerbombte Vaterstadt zurück. »Nürnberg sah damals aus wie die zerstörten Synagogen 1938.« Als wichtigsten Moment in seinem Leben bezeichnete er den Tag, als er seine Eltern lebend wiederfand. Die meisten anderen Angehörigen waren in den Vernichtungslagern der Nazis umgekommen.

Bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen arbeitet er als Dolmetscher. Voller Verachtung für die Täter erzählt er später von deren Feigheit. Eine Eigenschaft, die ihm fremd war. Personenschutz lehnte er ab, wollte als ganz normaler Bürger in seiner Stadt leben. »Ich helfe mir selbst, denn wer sich fürchtet, ist im Bett nicht sicher«, meinte er mit Blick auf seinen Waffenschein. Ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung gab er 2009 seine Bundesverdienstkreuze zurück, als die Auszeichnung an die israelkritische Autorin Felicia Langer verliehen wurde, und machte bundesweit Schlagzeilen damit.

NPD-Verbot Noch an seinem 90. Geburtstag im Februar sprach er von seinem großen politischen Ziel, dass er ein Verbot der NPD und rechter Tarnorganisationen gern noch erleben wollte. »Es ist für mich unerträglich, dass ich mit meinen Steuergeldern diese Parteien mitfinanziere«, meinte er damals, keinesfalls altersmilde geworden. Er galt als das Gewissen der Stadt, als Mahner und Antreiber. »Er war eine moralische Instanz, seine Stimme hatte Gewicht. Sie wird fehlen«, so der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly. Und der bayerische Finanzminister Markus Söder ergänzt: »Er hinterlässt eine große Lücke.«

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 23.08.2025

Hessen

»Pro-palästinensische« Demonstranten attackieren jüdische Aktivisten

Bei den Angegriffenen handelt es um Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt

 23.08.2025

Hannover

Im Haus der Sinne

Zum 100. Todestag wurde der jüdische Industrielle Siegmund Seligmann mit einer Stadttafel vor seiner Villa geehrt. Heute ist der Ort ein Bollwerk gegen die Sinnlosigkeit

von Sophie Albers Ben Chamo  21.08.2025

Gesellschaft

»Mein zweites Odessa«

Nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine flohen viele Jüdinnen und Juden nach Deutschland. Wir haben einige von ihnen gefragt, wie sie heute leben und was sie vermissen

von Christine Schmitt  21.08.2025

Interview

»Es war Liebe auf den ersten Blick«

Barbara und Reinhard Schramm sind seit fast 60 Jahren verheiratet. Ein Gespräch über lange Ehen, Glück und Engagement

von Blanka Weber  20.08.2025

Würdigung

Ein echter Freund

Der ehemalige Zentralratspräsident Dieter Graumann hat viel bewirkt für das jüdische Leben in Deutschland. Nun ist er 75 geworden. Eine persönliche Gratulation von TV-Moderatorin Andrea Kiewel

von Andrea Kiewel  20.08.2025

Weimar

Akkordeon und Drums

Seit 25 Jahren veranstaltet der Komponist Alan Bern den Yiddish Summer – auch diesmal mit vielen Bands und Workshop

von Blanka Weber  19.08.2025

Trauma

Familienforschung

Im Jüdischen Museum München ist die Ausstellung »Die Dritte Generation« zu sehen

von Ellen Presser  19.08.2025

München

Erhalten und sichtbar machen

Die ErinnerungsWerkstatt erforscht auf dem Neuen Israelitischen Friedhof jüdische Schicksale und bewahrt sie vor dem Vergessen

von Ellen Presser  18.08.2025