Leipzig

Theater durch die Brille

Ein Mittwochnachmittag Anfang September. Während draußen der Sommer nochmal richtig aufgedreht hat, ist es in der Schille, einer zum Theater umgebauten Kirche, angenehm kühl. Rund 20 Jugendliche sitzen auf dem Bühnenparkett im Kreis und sind hoch konzentriert. Sie sollen eine Szene schreiben. Das ist Teil eines Theater-Workshops, den die israelische Theater-Kompanie Mishkafayim in Zusammenarbeit mit dem »Theaterverein K« veranstaltet. Später werden einige der Jugendlichen ein paar dieser Texte unter der Anleitung von Schauspieler und Regisseur Alon Getzovich aufführen.

Doch die Theaterschaffenden von Mishkafayim sind nicht nur hier, um Jugendlichen zu helfen, ihre eigenen Stoffe zu entwickeln. Sie haben auch das Theaterstück What now? mitgebracht, das sie hier vor allem vor jungem Publikum zeigen – an drei Abenden im Leipziger Ariowitsch-Haus, das die Theaterreise mit organisiert hat, und ein weiteres Mal in Wittenberg. Gefördert wurden diese Veranstaltungen durch ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch – mit Mitteln des Bundesfamilienministeriums.

Gefühle zu Terror und Krieg

Dass das Publikum vor allem aus Schülerinnen und Schülern besteht, ist kein Zufall, denn die Zuschauer sind damit genauso alt wie die Hauptfiguren von What now?. Das Stück handelt von zwei Teenagern, die sich einfach so noch einmal in den Bombenschutzraum ihrer Grundschule schleichen, wo sie dann vom Angriff der Hamas überrascht werden und sich mit ihren Gefühlen zu Terror und Krieg, aber auch ihrer eigenen Hilflosigkeit konfrontiert sehen.

Zwei Jugendliche in einem Schutzraum sehen sich mit ihrer eigenen Hilflosigkeit konfrontiert.

Das Stück ist durchaus pädagogisch gedacht, drei der vier Ensemblemitglieder sind auch Lehrkräfte – und alle haben eine persönliche Verbindung zu den Ereignissen vom 7. Oktober. So hatte Regisseur Getzovich Karten für das Nova-Festival, entschied sich aber in letzter Minute nicht hinzugehen. Die Schwägerin der Schauspielerin Mia Tzuriely überlebte das Massaker der Hamas im Kibbuz Reʼim.

»Ich habe dieses Stück etwa einen Monat nach dem Angriff geschrieben«, sagt Autor Roee Lahav Feinmesser, der an einer Grundschule unterrichtet. Nach dem 7. Oktober sei er zum Armeedienst eingezogen worden, musste aber nach rund einem Monat wegen eines Unfalls wieder ausscheiden. »Ich saß nutzlos in meinem Bett und wollte irgendetwas tun, um mit der Situation umzugehen, in irgendeiner Form helfen.« Mishkafayim-Mitbegründer Liron Noah habe ihn dann auf die Idee gebracht, ein Theaterstück für Kinder zu schreiben. Zumal das Ensemble ohnehin vor allem vor Schülern auftritt.

»Die Kinder müssen die Situation verarbeiten und brauchen jemanden, der mit ihnen spricht, der ihnen hilft, sich zu öffnen. Das war die Hauptidee hinter dem Stück«, erklärt Feinmesser. »Es ist überhaupt kein politisches Theaterstück, sondern konzentriert sich auf Gefühle. Die beiden Hauptfiguren sind Teenager, die keinen Einfluss auf die Realitäten haben. Darin besteht die Kraft des Stückes: Sie können nichts an der Situation ändern, sie können sie nur durchleben.«

Therapeutische Kraft des Theaters

Regisseur Getzovich betont die therapeutische Kraft des Theaters: »Kunst – und besonders das Theater – kann einem helfen, schwierige Ereignisse im Leben auszudrücken, zu verarbeiten und sie aus einer anderen Perspektive zu sehen.« Und Liron, der die männliche Hauptrolle spielt, ergänzt: »Wir wollen die Kinder und Jugendlichen wissen lassen, dass sie nicht allein sind, dass das, was sie fühlen, okay ist, weil nicht alle von ihnen über ihre Gefühle sprechen können. Übrigens nicht nur die Kinder: auch wir, die Erwachsenen.«

Es gehe auch darum, wie man mit den Gefühlen der Hilflosigkeit umgeht, sagt Mia Tzuriely, die die weibliche Hauptrolle spielt: »Wir haben keinen Einfluss, wir sind winzige Menschen in einer riesigen Welt. Was können wir also tun? Nicht viel, außer unsere Gefühle ausdrücken, philosophische Fragen stellen – und dann eine Pizza essen gehen.« Es sei schließlich wichtig, dass man in einer solchen Situation nicht vergesse, das Leben zu genießen.

Es war das erste Stück, so die Macher, das in Israel offen mit den Kindern über den Angriff des 7. Oktober spricht. Rund 60 Tage nach dem Angriff wurde What now? in Israel uraufgeführt. Seither hat es das Ensemble in zahlreichen Schulen gezeigt – oft genug in Schutzräumen, wo auch das Stück selbst spielt. In Israel wurde die Inszenierung dankbar aufgenommen, erzählt Roee: »Die Kinder haben uns gesagt, dass das Theaterstück für sie wichtig ist, und dass es ihnen hilft« – gerade wenn es den Erwachsenen in ihrem Leben schwerfällt, über die Ereignisse des 7. Oktober und deren Folgen zu sprechen.

Während What now? für das israelische Publikum also eher therapeutische Wirkung hat, geht es in Deutschland vor allem darum, Wissen zu vermitteln und Empathie zu wecken. Schauspielerin Mai erzählt an einem Beispiel, wie unterschiedlich die Reaktionen auf das Stück in Israel und in Deutschland ausfallen: »Wenn wir in Israel den Anfang einer Sirene hören, erschrecken wir und wollen aufspringen. Hier reagiert das Publikum mit ›Ah. Okay‹«, sagt Mai und ahmt ein Schulterzucken nach. »Für sie ist das nur ein Klangeffekt.«

In Israel wurde das Stück an vielen Schulen aufgeführt und dankbar aufgenommen.

Nach den Aufführungen sei das Ensemble mit den Jugendlichen ins Gespräch gekommen und verwundert darüber gewesen, wie wenig ihnen über die Anschläge vom 7. Oktober und die Situation in Israel heute bekannt ist. »Alles, was die Jugendlichen wissen, bekommen sie aus den Medien oder von Apps wie TikTok und Instagram«, sagt Alon. »Deshalb wollen wir die Emotion übersetzen in etwas, das man nachvollziehen kann, auch wenn man nicht im Krieg ist.« Und Mia ergänzt an die Adresse des deutschen Publikums gerichtet: »Seid bitte gut unterrichtet, werdet klügere Weltenbürger!«

Im Workshop in der Schille haben die Jugendlichen fertig geschrieben, nun wird eine der Geschichten inszeniert: Es ist ein kurzer Monolog über ein auf dem Herd vergessenes Risotto, inszeniert im Stile des Musicals Chicago. Denn Theater ist nicht nur Therapie – es macht auch sehr viel Spaß.

Weitere Infos zum Theaterprojekt: www.instagram.com/mishkafayimt

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