Berlin

Tage im Mai

Yuval ist ganz entspannt. Mit Kopfhörern sitzt er an dem Schreibtisch bei Freunden aus Deutschland, im Hoodie, und erzählt über seine Zeit als Austauschschüler in Nordrhein-Westfalen. Der heute 19-Jährige verbrachte dort ein Jahr in einer kleineren Stadt, besuchte die Schule, lernte den Alltag in Deutschland kennen, bereiste Europa. Aber am 2. Mai ist er erst einmal in Berlin. Denn Yuval ist einer von 80 jungen Erwachsenen, die an dem Kongress »Youth4Peace – United Voices: Future Choices« teilnehmen. Er freut sich schon darauf, sagt der junge Israeli im Zoom.

Auch Gali wird bald ihre Tasche für Berlin packen, denn die 26-Jährige ist, genau wie Yuval, Teilnehmerin des Kongresses. Gali befindet sich schon mitten im Arbeitsleben. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch im Büro der Tel Aviver Stadtverwaltung. Wie Yuval war auch Gali einst Austauschschülerin, aber in Bremen. Die Reise nach Berlin ist für die junge Frau aus Haifa die erste in die Hauptstadt – sie wird eine besondere.

Gedenken im Deutschen Bundestag zu 80 Jahre Kriegsende

Denn ein fester Punkt im Programm von »Youth4Peace«, das von Organisationen der internationalen Jugendarbeit wie Con­Act – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch oder dem Bundesjugendring durchgeführt wird, ist das offizielle Gedenken im Deutschen Bundestag zu 80 Jahre Kriegsende und ein Treffen mit dem designierten Bundeskanzler Friedrich Merz.

Für Gali und Yuval ist es besonders, an diesem Tag in Berlin zu sein, »als Jüdin«, sagt Gali. Yuval sieht dem Tag mit etwas gemischten Gefühlen entgegen. »Am 8. Mai in Berlin zu sein, da schwingt auch ein wenig Traurigkeit mit. Aber die Hoffnung, mit so vielen Menschen dort zu sein, die danach streben, dass so etwas nie wieder passiert, macht mich auch ein bisschen positiv gestimmt für die Zukunft.«

Überhaupt ist diese Woche für junge Erwachsene aus beispielsweise Albanien, Frankreich, Israel, Japan, Norwegen, der Ukraine gut gefüllt mit Workshops zu Themen wie Demokratie oder Gedenken, mit Kunst-Aktivitäten, Gedenkstättenbesuchen, Zeitzeugengesprächen und auch freier Zeit zum Reflektieren und für Begegnung.

Die Erwartungen an das Programm sind hoch

Erfahren haben Yuval und Gali von Youth4Peace über die Arbeit und über die Organisatoren des Schüleraustauschs. Die Erwartungen der beiden an das Programm sind hoch, und sie sehen die Chancen eines solchen Austauschs: »Ich glaube auf jeden Fall an die Möglichkeit einer einheitlicheren, vielfältigeren Art von kultureller, globaler Zukunft für andere Länder«, sagt Yuval.

Er denke, dass er während der Workshops und durch die Zusammenarbeit mit so vielen ebenfalls jungen Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern »eine Menge über Demokratie und darüber, wie man sie nutzen kann«, lernen wird.

Als junge Jüdin am 8. Mai in Berlin zu sein, ist für Gali sehr besonders.

Für Gali ist es eine »großartige Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, über Demokratie zu sprechen, über unser Leben in Israel im Moment, von dem jeder in den Nachrichten hört«. Es sei jedoch etwas vollkommen anderes, wenn man im Ausland darüber spricht.

Dass es auch Stereotype gegenüber Israel geben könne, das weiß Yuval, aber aus seinen Erfahrungen von anderen Treffen dieser Art hatte er mitgenommen, dass die Teilnehmer immer sehr aufgeschlossen sind. »Ich gehe mit der Erwartung und Hoffnung in diese Woche, dass die anderen so offen sind, dass sie meine Geschichte hören wollen – auch wenn sie vielleicht schon ihre Schlüsse gezogen haben.« Auch Gali setzt auf den Respekt untereinander: »Ich für meinen Teil gehe mit einer großen Offenheit in dieses Treffen. Ich möchte zuhören, reden, erklären, wie es bei uns ist.«

Durch Begegnungen Vorurteile abbauen

Es geht darum, durch Begegnungen Vorurteile abzubauen: »In den vergangenen 80 Jahren ist Europa auch durch Jugendbegegnungen näher zusammengerückt, ganz nach dem Motto: Wer sich kennt, bekriegt sich nicht. Doch anhaltende Kriege verdeutlichen: Austausch ist wichtiger denn je«, heißt es in der Erklärung von Youth4Peace. Für Gali und Yuval stehen alle diese Stichworte im Zentrum ihres Berlin-Besuchs. Gerade auch am 8. Mai.

Beide erinnern sich gern an die Zeit zurück, als sie Austauschschüler waren. Gali, die in Haifa aufwuchs, lernte so Bremen kennen, und einige Schüler aus der Hansestadt reisten mit ihr nach Haifa. »Ich traf in Deutschland auf einen komplett anderen Lebensstil, und ich möchte sehen, wie es sich jetzt, so viele Jahre nach meinem Austausch, anfühlt, wieder nach Deutschland zu kommen. Ich bin ja auch älter geworden, lebe in einer anderen Stadt – in einer anderen Zeit.«

In Israel sei immer alles stressig, in Deutschland ist es doch eher ruhiger, »vieles ist einfach Alltag«, sagt Gali. Davon möchte sie etwas wieder mit nach Hause nehmen. »Israel ist im Krieg. Gerade war Jom Haschoa, es gab Gedenksirenen, aber viele zucken auch bei diesen Sirenen zusammen, weil sie denken, es sei ein Alarm.«

Yuvals Schüleraustausch liegt noch nicht so lange zurück, er stimmt aber Gali zu, wenn es um die Angespanntheit in Israel geht. An junge Erwachsene in Europa würden zwar hohe Erwartungen gestellt, aber sie hätten auch ein wenig mehr Raum, Dinge für sich selbst herauszufinden.«
Fast eine Woche bleiben die beiden in Berlin, Yuval liebt Volleyball, Gali fährt gern Skateboard. Und neben allen ernsten politischen Themen bleibt dafür sicherlich auch ein wenig Zeit zum Entspannen an der Spree.

Jom Haschoa

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