Köln

Sorgen in der Roonstraße

Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht demonstrierten Kölner am 5. Januar gegen sexuelle Gewalt. Foto: dpa

Die Vorfälle der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof waren in den vergangenen Tagen großes Gesprächsthema in der Synagogen-Gemeinde Köln. Besonders unter den Frauen. »Alle eint das Gefühl der Verunsicherung«, beschreibt Ruth Schulhof-Walter die Situation. Sie ist freie Mitarbeiterin der Gemeinde und hat aufgrund ihrer Arbeit zu zahlreichen Frauen verschiedener Altersstufen Kontakt.

»Wir Frauen fragen uns, ob wir noch unbehelligt in die Stadt kommen können, nicht nur zu Silvester und Karneval, sondern auch im Alltag.« Schulhof-Walter hat in vielen Gesprächen den Eindruck bekommen, dass das Gefühl der Bedrohung, wenn man als Frau an einer Gruppe von arabischen jungen Männern vorbeigehe, bei ihren Geschlechtsgenossinnen sehr präsent ist. Und das nicht erst seit den Ereignissen zum Jahreswechsel, sondern bereits seit dem Sommer. »Viele Frauen beschreiben und kennen das Gefühl der Unsicherheit, das Gefühl der Bedrohung in solchen Situationen, und zwar in verschiedensten Stadtteilen, nicht nur in der Kölner Innenstadt.«

Zu tatsächlichen Übergriffen sei es dabei nicht gekommen. Aber die Sorgen würden schon länger bestehen, genauer: seitdem die Zahl der Flüchtlinge zugenommen hat. Er sei aber wichtig, nicht alle Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen, betont Schulhof-Walter. Sie spreche von jungen, durchtrainierten Männern, die, in Kleingruppen zusammenstehend, einer Frau, die alleine die Straße entlanggehe, Angst einflößten.

Frauenbild Viele jüdische Frauen seien bereits in Israel gewesen und hätten dort Erfahrungen mit dem Auftreten arabischer Männer gemacht. »Wir wissen, dass diese mit einem Frauenbild nach Deutschland kommen, das nicht unbedingt kompatibel ist mit dem, wie wir hier leben«, bringt sie es auf den Punkt. Nach den Vorfällen der Silvesternacht sei das Gefühl der Unsicherheit bei Frauen allgemein präsenter. »Uns jüdische Frauen überrascht es nicht. Wir hatten die Sorgen schon früher.«

Natürlich seien diese nach Silvester noch verstärkt worden. Eine Kollegin beispielsweise, die auf der anderen Rheinseite wohnt, habe ihr von unterschwelligen Ängsten bei Bahnfahrten erzählt. Sie habe sich nun in einem Waffengeschäft Pfefferspray gekauft. Viele Frauen benutzten den Bahnhof regelmäßig, sie selbst habe ihn diese Woche gemieden.

Die Verunsicherung vonseiten der Frauen, aber auch von Männern ist dem Vorstand der Synagogen-Gemeinde sehr präsent. Ihm sind – bereits in den vergangenen Monaten – zahlreiche Befürchtungen zugetragen worden. Michael Rado, Vorstandsvorsitzender der Gemeinde, verweist dabei auf eine spezielle Situation. So plant die Stadt seit September, direkt gegenüber der Synagoge in der Roonstraße in frei stehenden Containern elternlose minderjährige Flüchtlinge unterzubringen. Zuvor hatten die Container Kindergärten, die renoviert werden mussten, als Ausweichquartier gedient.

Verunsicherung »Viele Mitglieder meiner Gemeinde haben Befürchtungen, dass, wenn dort Jugendliche aus Syrien oder dem Irak kommen – also aus Ländern, in denen der Hass auf Israel und der Hass auf Juden eine über Jahrzehnte laufende Tradition hat –, dass diese Jugendlichen sie angreifen und verletzen«, erzählt Michael Rado. Die unmittelbare Nähe zur Synagoge habe eine Brisanz, Besucher seien deutlich als Juden erkennbar. Die Messerangriffe auf Passanten in Israel durch arabische Jugendliche seien gerade in den Wochen, in denen die neuen Unterkünfte geplant wurden, immer wieder Thema in der Presse gewesen und hätten auch die Gemeindemitglieder stark verunsichert.

Der Vorstand nahm daraufhin bereits nach Bekanntwerden der Pläne im Herbst Kontakt mit der Stadt Köln und der Polizei auf. Bei einem Treffen habe man vonseiten der Gemeinde deutlich gemacht, dass man für die Hilfe für Flüchtlinge volles Verständnis habe – »weil wir die Elendssituation der jüdischen Flüchtlinge während der Zeit des Nationalsozialismus kennen«, erklärt Vorstandsmitglied Rado.

Wohncontainer Man habe bei diesem Treffen deutlich die enormen Befürchtungen der Gemeindemitglieder in punkto Sicherheit dargelegt, jedoch ohne unmittelbare Konsequenzen. Polizei und Jugendamt seien der Ansicht gewesen, dass kein großes Problem entstehen würde. Das Jugendamt habe jedoch eingeräumt, dass man bei der Planung nicht bedacht habe, dass die Container direkt gegenüber der Synagoge aufgestellt werden würden. Bis zum Jahresende wurden die Container zunächst umgebaut.

Notquartiere In den nächsten Tagen sollen nun die ersten Jugendlichen einziehen, erfuhr jetzt der Gemeindevorstand. Die Bauaufsicht hat die Unterkunftsmöglichkeit als Notquartier für minderjährige Flüchtlinge abgenommen. Insgesamt sollen zwölf Jugendliche dort untergebracht werden. Nach den Ereignissen der Silvesternacht seien Mitglieder aus der Gemeindevertretung erneut mit ihren Befürchtungen an den Vorstand herangetreten, so Michael Rado.

Er hat Verständnis für die jetzt zweifache Verunsicherung – Frauen sind nicht nur gefährdet, weil sie Juden sind, sondern auch, weil sie als Frauen angegriffen werden. Aktuell seien es überwiegend die Frauen der Gemeinde, die sich beim Vorstand mit Befürchtungen melden würden. »Aber auch Ehemänner fragen, wie sie denn ruhig bleiben sollen, wenn ihre Frau die Kindern morgens in den Vor-Kindergarten bringt, der im Synagogengebäude ist«, zitiert Michael Rado einen besorgten Familienvater.

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