Rezension

»Solide jüdisch erzogen«

Daniel Hoffmann erweist sich in seinem neuen Buch Heimat, bist du wieder mein als tiefsinniger Autor deutsch-jüdischer Literaturgeschichte. Hier justiert Hoffmann seinen Standpunkt als deutscher Jude und erhebt seinen Anspruch auf Teilhabe an der deutschen Kultur, in Gesellschaft und Religion. Heimat, bist du wieder mein ist eine exemplarische deutsch-jüdische Familiengeschichte. Der Autor berichtet über sein deutsch-jüdisches Leben in einer nichtjüdischen Umwelt – in Düsseldorf, wo er studiert und später sich als Germanist habilitiert hat.

Hoffmann kam 1959 zur Welt und wurde von klein auf ständiger Ohrenzeuge der väterlichen Erinnerungen an Auschwitz. So wurde das Post-Schoa-Trauma auf ihn übertragen. 25 Jahre lang war Paul Hoffmann Verwaltungschef der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, danach bis 1996 einige Jahre Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein.

Erziehung Auschwitz und die Funktion des Vaters in der jüdischen Administration prägten die Jugend des Sohnes. Für die Eltern stand unumstößlich fest: Sie wollten ihren Sohn jüdisch erziehen, wohl wissend, dass sie beständig von einem virulenten Antisemitismus umgeben waren. Das Ergebnis war, dass das Kind eine solide jüdische Erziehung erhielt. Es war eine Erziehung »vom alten Schlag«, die an jene aus der Vorkriegszeit anknüpfte, sollte sie Hoffmann später beschreiben.

Alles um ihn herum war jüdisch: Der Blick aus dem Fenster fiel auf die Synagoge und den Verwaltungtrakt von Jüdischer Gemeinde und des Jüdischen Landesverbands – die väterliche Arbeitsstätte. Im Parterre des Hauses war der Kindergarten untergebracht, und unter den Hoffmanns wohnte Gemeinderabbiner Lazar Lipschütz, gesegnet mit einer Engelsgeduld: Er beklagte sich nicht über das Toben und Lärmen der Kinder in der Wohnung über ihm.

Eine beeindruckende Persönlichkeit, der Hoffmann ein eigenes Kapitel widmet. Gelegentlich suchte der Rabbiner seine Mutter auf – für die Kinder das Zeichen, ruhig zu sein. Der Grund für Lipschütz’ Besuch war pragmatischer Natur: Der Rabbiner suchte den Rat von Hoffmanns Mutter, die seine Predigten auf Verständlichkeit hin prüfen und ihr zugleich die Gelegenheit für eine Mizwa geben sollte.

Korrekturen Er wollte seine rheinischen Gemeindemitglieder nicht mit seiner überbordenden Gelehrsamkeit überfordern. In den hinterlassenen Predigtmanuskripten, die Hoffmann nach dem Tod des Rabbiners zufielen, finden sich zahlreiche durchgestrichene Passagen, die von Lipschütz’ didaktischen Einlassungen zeugen und offenbar die »Korrekturen« von Hoffmanns Mutter berücksichtigen.

Mit der jüdischen Welt war Hoffmann also von klein auf vertraut. Seine Spielkameraden waren allesamt jüdisch und aktiv im Jugendzentrum. Erst mit der Einschulung wurde ihm bewusst, dass es außerhalb des jüdischen Kosmos auch eine nichtjüdische Welt gab. Problematisch war es, wenn zu Beginn des Unterrichts, wie damals üblich, das christliche Glaubensbekenntnis »Vaterunser« gebetet wurde. Dann blieb der jüdische Schüler stumm und fühlte ein deutliches Unbehagen.

Erinnerung Jüdisches Leben in Düsseldorf, das heißt seit 25 Jahren vorwiegend russisch geprägtes Judentum. Dass darüber Kultur und Kultus des deutschen Judentums nahezu verschwunden sind, nimmt Hoffmann ohne größeres Bedauern als »ganz natürlich« zur Kenntnis und räumt ein, dass er heute als deutscher Jude »aus dem Rahmen« falle. Doch weil es die Kultur der deutschen Juden verdiene, in ihrer »Eigenart« festgehalten zu werden, entschloss er sich, seine autobiografischen Erinnerungen zu schreiben, die ein Leben nachzeichnen, das von der jüdischen Religion ebenso wie von der Schoa bestimmt ist.

»Und mit den Deutschen – ja, das ist besonders kompliziert«, hatte sein Vater 1946 in einem Brief an seine in Amerika lebende Schwester geschrieben, nachdem er sich entschlossen hatte, endgültig in Deutschland zu bleiben. Dass es einzelne Menschen waren, die ihm sein »Hier-bleiben-Müssen« erträglich machten, beeinflusste das Selbstverständnis, das er von seiner jüdischen Existenz in Deutschland fortan haben sollte.

Für seinen Sohn Daniel stellte sich dieser Zweifel nicht mehr in solch existenzieller Wucht, auch wenn er so manches Mal mit den nichtjüdischen Deutschen hadert. Ein »freiwilliges Nischendasein«, das sein Vater lebte, brauchte der Sohn nicht länger zu führen.

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