Solidarität

»Sie haben uns ihr Heim und ihre Herzen geöffnet«

Sie waren als Touristen nach Deutschland gekommen, reisten geschäftlich, besuchten Konferenzen. Und jetzt steht Shlomit Taʼasa auf den Champs-Élysées in Paris und schüttelt den Kopf: »Es ist sehr schön hier. Aber wir wollen alle nur nach Hause, so schnell wie möglich. Ich vermisse meine Kinder! Eigentlich waren wir nur für ein verlängertes Wochenende nach Köln gekommen«, sagt die Frau aus Jerusalem.

Zusammen mit 13 weiteren Personen aus zwei Generationen und drei Familien, Nachkommen der Kölner Familie Sink, war Shlomit Taʼasa zur Verlegung von Stolpersteinen angereist – vor dem Haus, in dem ihre Großmutter Mirel, deren Bruder Pinchas sowie die Kinder Oskar (Joshua), Regina (Rebecca), Margot und Adolf einst lebten. Am Sonntag vorvergangener Woche sollten alle von Frankfurt aus wieder zurückfliegen – doch dann kam alles anders.

Rund 150.000 Israelis saßen im Ausland fest

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hatte Israel erste Angriffe auf iranisches Gebiet geflogen. Seither herrscht Krieg. Der reguläre Flugbetrieb nach Israel kam zum Erliegen. Rund 150.000 Israelis saßen einer Schätzung der israelischen Regierung nach im Ausland fest – und hatten vorerst kaum eine Chance, nach Hause zurückzukehren.

Gillit Kroul, Smadar Mor und Naphtaly Shem Tov besuchten in Köln die Konferenz der »International Federation for Theatre Research«. Sie sollten ebenso am 15. Juni von Frankfurt aus zurückfliegen. Mor ist Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Tel Aviv (TAU), Shem Tov unterrichtet am Department for Literature, Language and Arts der Open University of Israel, Gillit Kroul ist Doktorandin an der TAU. Sie kamen – wie Shlomit Taʼasa – auch nicht aus Frankfurt weg. »Wir haben uns ein Hotel in Sachsenhausen gebucht und suchten nach Leuten, die uns helfen würden«, sagt Gillit. »Ich bin selbst Aktivistin, und über mein Netzwerk fand ich schnell zu Eliya.«

Um die Gestrandeten in Frankfurt kümmern sich seither die Organisation »Zusammen Frankfurt« und der Dachverband »Israeli Community Europe«. »Wir wollen Israelis, die wegen des Krieges nicht nach Hause fliegen können, schnelle Hilfe anbieten«, sagt Managerin Eliya Kraus im Gespräch mit dieser Zeitung. Konkret heißt das: Man bietet Unterstützung bei der Unterbringung, der Organisation der Arbeit, der Kinderbetreuung. Viele ältere Menschen brauchen zudem Medikamente und ärztliche Betreuung.

In Wiesbaden gestrandet

Tatjana (72) und Irina (78) sind mit ihren Ehemännern in Wiesbaden gestrandet. Eigentlich wollten sie nur ein paar Tage die Stadt erkunden, aber nun verhindert der Krieg, dass die beiden Paare wieder in ihre Heimat fliegen. »Wir hatten uns ein schönes Besichtigungsprogramm erstellt, waren fröhlich und genossen die Tage«, sagt Tatjana. Doch dann kam der Schock. »Wir wollten gleich zurück«, so Irina.

Tatjana lebt in Zichron Jaʼakov, Irina in Rischon LeZion. Aber die gebuchten Flüge waren gestrichen. Vorvergangenen Montag haben sie die Jüdische Gemeinde Wiesbaden kontaktiert, denn ihnen wurde klar, dass sie sich nicht auf unbestimmte Zeit Hotelzimmer leisten können. »Wir hofften auf Hilfe«, sagen sie unisono. Und die erhielten und erhalten sie auch. »Wir haben ihnen ein Quartier organisiert, in dem sie so lange bleiben dürfen, wie es nötig ist«, sagt Steve Landau, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden.

Auch Shlomit Taʼasa und ihre Verwandten reisten trotz abgesagter Flüge sofort nach Frankfurt. Zwei Familienmitglieder waren aus Kanada gekommen und konnten zurück. »Wir anderen waren gestrandet«, erzählt Shlomit. Doch sie hatten Glück. »Die israelische Community und die Jüdische Gemeinde halfen uns sehr. Ein Mitglied buchte uns sieben Zimmer in seinem eigenen Hotel, das war sehr großzügig, man konnte ja nicht wissen, wie lange das dauern würde.« Und da die Familien nur einen kurzen Aufenthalt geplant hatten, fehlte es praktisch an allem.

Da die Familien nur einen kurzen Aufenthalt geplant hatten, fehlt es praktisch an allem.

Shlomit und ihrer Reisegruppe sowie Gillit Kroul und Kollegen mangelte es in Frankfurt unterdessen an nichts. »Wir wurden in die Gemeinde eingeladen und lernten Israelis kennen, die sich in der gleichen Situation befinden. Wir bekommen alles, was wir brauchen, von der Unterkunft über Essen oder Wäsche waschen bis zur Medizin. Wir sind so dankbar! Die Familien haben ihr Heim und ihre Herzen für uns geöffnet«, sagt Gillit. So entschlossen sich die drei, dass es klüger sei, bis auf Weiteres in Frankfurt zu bleiben: »Hier haben wir jede Unterstützung. Und es wurde gesagt, dass EL AL mit etwas Glück Ende der Woche auch Flüge aus Frankfurt bereitstellen könnte. Selbst wenn wir dann nach Paris müssen, bleiben wir so lange, weil wir uns in dieser Gemeinschaft sicher fühlen.«

Gillit lebt in der kleinen Stadt Jokneʼam in der Nähe von Haifa. »Zum Glück gibt es dort weniger Alarm.« Ihr Mann und die beiden Kinder – Zwillinge in der neunten Klasse – haben einen Sicherheitsraum in der Wohnung. »Gerade beginnen ihre Sommerferien, aber sie können kaum raus, sie spielen Playstation und Computer Games.«

»Wir wollen zurück, auch wenn es gefährlich ist«

Smadar Mor lebt in Tel Aviv. Bei einem der jüngsten Raketenangriffe wurde ihre Straße getroffen. »Viele Häuser, Geschäfte und Supermärkte sind zerstört«, berichtet Gillit, »sämtliche Fenster sind geborsten.« Naphtalys Familie in Raʼanana sei dagegen in relativer Sicherheit. »Wir telefonieren täglich und schauen die Nachrichten von zu Hause. Wir sind alle Eltern und sehr besorgt. Bei jedem Alarm melden wir uns. Es ist sehr schwer, das von hier aus beobachten zu müssen. Wir wollen zurück, auch wenn es gefährlich ist.«

»Die Gemeinde gab uns Computer, Kleidung, warme Mahlzeiten lud uns zum Schabbatessen und in die Synagoge ein«, sagt Shlomit Taʼasa. »Es war so berührend. Eliya Kraus kümmerte sich um einen Arzt, der uns Rezepte für zur Neige gehende Medikamente ausstellte.« Eine Woche blieben die Familien in Frankfurt. »Das war keine einfache Erfahrung, aber wir fühlten uns fast wie zu Hause.«

In Israel leben sie über das ganze Land verstreut, von den Golanhöhen über Jerusalem, Tel Aviv bis zum Kibbuz Kwuzat Yavne. »Meine Kinder sind 11, 13, 16 und 18. Es geht ihnen gut, aber es ist schwer, von ihnen getrennt zu sein«, sagt Shlomit. »Meine Schwester hat ein anderthalbjähriges Baby zu Hause. Und eine Rakete schlug in der Nähe des Hauses von Oskars Sohn ein. Auch seine Wohnung hat etwas abbekommen«, berichtet Shlomit aus Paris.

Flüge von Paris, Rom oder Athen

Ende vergangener Woche hieß es, EL AL würde Flüge von Paris, Rom oder Athen ermöglichen. Shlomit und zwei weitere Familienmitglieder entschieden sich für Paris. Am Sonntagabend kamen sie an. »Wir haben ein Zimmer über Airbnb für zwei Nächte und suchen noch ein Hotel. Aber es ist alles sehr teuer. Die Jüdische Gemeinde hier hilft uns, aber sie sind nicht so gut organisiert wie in Frankfurt. Es sind jetzt sehr viele Israelis in Paris. Wir alle wissen nicht, wie es weitergeht.«

Sechs Familienmitglieder warten in Rom auf mögliche Flüge. Vier hatten sich für Athen entschieden. Sie flogen mit einer Maschine ins jordanische Akaba und gelangten mit dem Bus nach Israel. »Die Regierung rät davon ab«, sagt Shlomit, trotzdem seien bereits mehr als 10.000 Israelis über Jordanien nach Israel gelangt. »Eigentlich wollten wir sicher mit EL AL fliegen, aber jetzt überlegen wir, vielleicht auch über Athen nach Jordanien zu fliegen, wir wissen es noch nicht.«

In Jerusalem ist ihr Mann bei den Kindern. Beinahe täglich müssen sie in den Schutzraum. »Ich habe ihnen Geschenke versprochen. Aber das interessiert sie nicht. Sie wollen nur noch, dass ich nach Hause komme«, sagt Shlomit. Und Gillit Kroul bringt es auf den Punkt: »Alle Israelis, egal ob in Zypern, Athen, Paris oder hier, wollen nur nach Hause. Wir beten, dass der Krieg bald endet und die Geiseln nach Hause kommen.«

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