Rosch Haschana

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Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

Für Levi sind Grußkarten zu Rosch Haschana keine unwichtige Angelegenheit: »Ich verschicke einige und bekomme wenige.« Gerade ältere Menschen senden dem Jiddistik-Studenten (amerikanische) Grußkarten oder selbst geschossene Fotos von Äpfeln oder Honig. Das rührt den 25-jährigen Düsseldorfer, wegen des Aufwandes von Umschlag und Briefmarke, besonders. An enge Freunde schreibt er längere Briefe, vielleicht noch mit einem beigefügten Gedicht. Ansonsten benutzt er unkonventionelle elektronische Postkarten oder Facebook.

»Traditionelle Karten verschicke ich im Familien- und Freundeskreis kaum noch«, sagt auch die in Mannheim als Religionslehrerin tätige Tamara Guggenheim, »E-Cards sind viel praktischer.« Natürlich seien selbst gemachte Karten am schönsten. »Als meine Kinder klein waren, haben wir natürlich auch selbst welche gebastelt.«

Link Allerdings könne man auch im Zeitalter von Internet und Computer kreativ werden, »und zum Beispiel ein Familienfoto mit persönlich gehaltenen Grüßen verschicken oder vielleicht sogar mit einem Link zu einem selbst gedrehten Video«. Solche selbst erstellten digitalen Neujahrswünsche seien ganz einfach herzustellen, findet Guggenheim, »dazu muss man nicht viel Ahnung von Technik haben«, und lacht: »Sonst würde ich das ja auch nicht machen können.«

Diesen digitalen Trend haben viele erkannt. Das populäre Online-Magazin Tablet hat eine ganze Reihe von Online-Postkarten mit Wortspielen wie »You’re Shofar Away – Come Home For The Holidays!«. Levi mag das sarkastischere Angebot von someecards mehr: Hier findet man auch »Happy Holidays from a total goy!« oder »Just a reminder not to schedule any JDates on Rosh Hashanah«. Etwas traditioneller sind die Postkarten von haGalil mit Granatäpfeln, verschiedenen Synagogen oder auch Theodor Herzl als Motiv. Der Schweizer Judaika-Versand Books & Bagels bietet auch gedruckte Karten zum Kauf an.

design Das größte Angebot hat vermutlich The Jerusalem Collection. Hier kann man aus vier verschiedenen Design-Sets wählen: Neben stilisierten Apfelbäumen und Friedenstauben aus der »Modern Collection« gibt es auch frühe Fotografien aus Jerusalem, traditionelle osteuropäischen Schtetl-Gemälde und eine ganze Reihe von Rembrandt-Bildern mit biblischen Szenen. Der Versand verspricht Qualität in Handarbeit, auch im kostensparenden 25er-Pack.

Im nicht explizit jüdischen Internet findet man dagegen schwerer das Richtige. Die auf Postkarten spezialisierten Versandhändler Postkartenparadies oder Kartenkaufrausch haben nichts für den Anlass oder für andere jüdische Feiertage. Allein Cafepress hat zahlreiche Motive, einzeln und/oder als Zehnerpackung – aber wohl nur, weil die Firma international tätig ist und auch selbst gemachte Entwürfe von Nutzern anbietet.

Großstädtern stehen zum Glück andere Angebote zur Verfügung. Der Shop des Jüdischen Museums Berlin hat das ganze Jahr über einige Postkarten zu allen Feiertagen im Angebot. Vor allem deutsche Besucher, sowohl jüdisch als auch nichtjüdisch, kaufen die Karten. Für Besucher aus dem Ausland ist meist der deutsche Text auf den Karten hinderlich.

In der Berliner Filiale der Literaturhandlung ist das Angebot ähnlich, weil man bei den gleichen Händlern und Künstlern bestellt. Die Motive reichen von Granatäpfeln im Pop-Art-Design und russischer Märchenbuch-Optik hin zu jemenitischen Illustrationen und Retro-Bildern aus den 20ern. Die Literaturhandlung bezieht von Künstlern aus Berlin und der Schweiz, auch aus Israel, industriell gefertigte sind »Made in China«. Einige Karten haben nur hebräischen oder englischen Text, damit sie ins Ausland verschickt werden können. Auf dem Shuk Ha’Carmel bei den Jüdischen Kulturtagen waren die Karten schon sehr gefragt.

Nachfrage Sehr beliebt sind dabei vor allem die Karten des Turnowsky-Verlages aus Israel. Auch die Bielefelderin Anke Julie Martin bevorzugt sie wegen ihrer schlichten und edlen Gestaltung, die sie an ihre Kindheit erinnern: »Die schönste Karte schenkten mir mein Großeltern, als ich etwa sechs Jahre alt war. Heimlich. Alles Jüdische wurde hier in Deutschland nicht nach außen gezeigt, meine Mutter war streng dagegen. Es blieb also ein Geheimnis zwischen mir und meinen Großeltern, wie auch das gemeinsame Chanukka-Kerzenanzünden im Keller oder das Latkes-Essen oder Schabbatfeiern hinter verschlossenen Türen und Fenstern.«

Die Karte der Großeltern hat sie als kleines Mädchen sehr beeindruckt, denn Martin weiß noch heute, wie sie aussah: »Sie war cremefarben mit einer blauen Friedenstaube, verziert mit silbernen Ranken.« Als klassische Kartenschreiberin würde sie sich heute allerdings nicht bezeichnen. »Ich werde dieses Jahr drei Karten verschicken.«

Kreativität Wer keinen Judaika-Laden in der Nähe hat oder künstlerisch begabt ist, kann auch selbst Karten gestalten. Die Mutter von Jonathan denkt darüber das ganze Jahr nach, erzählt er. Weil sie sehr weltlich ist und Weihnachten mag, verschickt sie im Dezember bis zu 20 selbst gebastelte Grüße an nichtjüdische Freunde. Bei jüdischen Feiertagen ist der Bedarf kleiner, deswegen gibt sie sich dann besonders viel Mühe.

Gerade überlegt sie, wo sie ein billiges, aber nicht zu aufdringliches Parfüm mit Honigaroma finden kann, um damit die Karten zu bestäuben. Mit getrockneten Granatapfelkernen als Verzierung hat sie nicht so gute Erfahrungen gemacht. Der 24 Jahre alte Philosophie-Student Jonathan lebt zwar nur 15 Minuten von ihr entfernt und sieht sie zweimal pro Woche, eine Karte bekommt er trotzdem.

Nach einem Jahr in Israel kann auch Honigaroma die angehende Architektin Lena nicht beeindrucken. Sie war begeistert, dass es für jeden Anlass die passende Karte gibt, »selbst Snoopy und Woodstock, die ein gutes Ende des Wehrdienstes wünschen«. An genaue Motive zum neuen Jahr kann sie sich nicht mehr erinnern – sie ist sich aber sicher, »dass es so ausgefallene Karten in Deutschland nicht gibt«.

Tradition Dass auch die skurrilsten Motive Tradition haben, kann man im Internet sehen. Das Center for Jewish History in New York hat Fotos von großen Teilen ihrer Judaika-Sammlung ins Netz gestellt. So zeigt eine aufstellbare Grußkarte von circa 1910 einen blonden Jungen in kurzen Hosen, mit einer Kiste Veilchen auf der Schulter und einem Schild, auf dem in Hebräisch ein »Gutes Neues Jahr« gewünscht wird.

Eine andere Karte zeigt Kaiser Franz Josef und wurde von Österreich nach Newark, New Jersey, geschickt. Gerade in dieser Gegend der USA wurden so viele Grußkarten verschickt, dass der New Yorker Postmeister John J. Kiely 1926 die Bevölkerung öffentlich daran erinnern musste, »die korrekt adressierten und frankierten nicht nach dem 6. September aufzugeben«, um eine rechtzeitige Lieferung zu ermöglichen und auch »die zahlreichen Postangestellten jüdischen Glaubens während der Feiertage somit zu entlasten«.

Julia ist das alles egal. Sie hat noch nie eine Karte zu Rosch Haschana verschickt und bekommt auch keine, obwohl die 26-Jährige in Leipzig als Designerin arbeitet. »Ich telefoniere viel mit meinen Verwandten und rufe dann lieber an. Das ist persönlicher, finde ich. Extra Post schicken, ohne etwas zu schenken oder geschenkt zu bekommen, ist komisch.«

Mobil »Digital kann auch von Herzen kommen«, sagt der Duisburger Oleg Tartakowski. Er schreibe »im Grunde gar keine Karten mehr«, sondern setze ganz und gar auf Technik. »Ich schreibe meine Neujahrsgrüße per Handy, im Vorfeld kann ich eine Gruppennachricht zum Beispiel an meine Freunde verfassen, alles vorbereiten und muss dann nur noch auf ›Senden‹ klicken, wenn es so weit ist.« Mit modernen Messenger-Programmen sei es überdies möglich, Icons, also kleine Bildchen, in eine Textnachricht einzufügen, »und so die Grüße zu Rosch Haschana zum Beispiel mit einem Apfel oder Granatapfel oder einem Honigtöpfchen zu verzieren«.

Traditionelle Karten, so Tartakowski, der als Arzt in einer Duisburger Kinderklinik arbeitet und bis vor einem Jahr ehrenamtlich als Jugendzentrumsleiter in seiner Stadt tätig war, seien mittlerweile eher bei offiziellen Institutionen verbreitet. »Die Gemeinden beglückwünschen sich damit zum Beispiel gegenseitig, und natürlich werden auch die Neujahrsgrüße der Landesverbände als richtige Karten zum Anfassen verschickt.«

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