Dresden

»Sichtbarer werden«

»Nun möchte ich etwas zurückgeben«: Ekaterina Kulakova (55) ist Pianistin und unterrichtet als Musikpädagogin. Geboren wurde sie in Uljanowsk. Seit 2005 lebt sie in Deutschland. Foto: picture alliance/dpa

Frau Kulakova, Sie sind vergangene Woche zur neuen Vorsitzenden des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden gewählt worden und haben viele neue Ideen. Welche sind das?
Wir haben wirklich viele Ideen und schon mehrere Schwerpunkte in unserer Arbeit. Das betrifft unter anderem die Jugendarbeit sowie die Arbeit mit jungen Erwachsenen bis etwa 30 Jahren. Wir wollen diese jungen Leute stärker einbinden. Wie wir das machen, darüber wollen wir zuerst mit ihnen diskutieren. Sie haben ein Recht darauf, mitzuentscheiden, und das ist ein langer Prozess. Das zweite Problem betrifft die Kinder. Leider sind unsere Kinder manchmal absolut schutzlos in der Schule, ohne unsere Überwachung und Kontrolle. Und was dort in der Schule passiert, ist jeweils von der Schulleitung, von den Lehrern abhängig. Das bedeutet, wir wollen die Mitarbeiter der Schulen sensibilisieren, was gar nicht so einfach ist. Einen weiteren Schwerpunkt sehe ich in unserer jetzigen und vielleicht auch künftigen politischen Situation im Land. Einfach so ruhig dazusitzen und zu warten, bis uns jemand irgendwann einlädt und uns etwas fragt, geht heute nicht mehr. Wir müssen uns sichtbarer machen, Kontakte aufbauen und entwickeln.

Wie stellen Sie sich das konkret vor?
Ich bin seit zwei Jahren Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. In dieser Zeit habe ich es geschafft, mit einigen Parteien einen regelmäßigen Austausch aufzubauen. Das bedeutet, ich bin jetzt Ansprechpartnerin der Jüdischen Gemeinde für mehrere Politiker. Sie kommen zu uns und stellen uns Fragen zu Politik und Wirtschaft, interessieren sich für unsere Meinung. Das ist wichtig, und das ist wertvoll für uns. Es bedeutet, dass wir in letzter Zeit eine bessere Kommunikation mit der Stadt Dresden und mit dem Land Sachsen haben.

In Sachsen ging die AfD bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr als stärkste Kraft hervor. Wie wollen Sie dem begegnen?
Wir versuchen, andere Parteien zu unterstützen, mit denen wir in gutem Kontakt stehen und wo wir sehen, dass eine Zusammenarbeit fruchtbar sein kann. In diesen zwei Jahren waren wir sehr aktiv mit der CDU und der SPD im Gespräch. Schon drei Tage nach den Massakern am 7. Oktober 2023 kamen Abgeordnete von CDU und SPD zu uns in die Gemeinde, die wissen wollten, wie es uns geht, und die sich Sorgen machten. Das ist schon ein Grund für eine weitere Zusammenarbeit.

Wie blicken Sie auf die Zeit mit Nora Goldenbogen zurück, die den Verband von 2017 bis zu ihrem Tod im November 2024 geleitet und geprägt hat?
Frau Goldenbogen hatte einen starken Charakter und gleichzeitig eine große Empathie und Menschenverständnis. Die Arbeit mit Nora war immer von Warmherzigkeit gekennzeichnet und produktiv. Sie war Historikerin und eine wirklich kluge Frau mit umfangreichem Wissen. Politische Prozesse in Deutschland verstand sie sehr gut. Sie war immer offen, und sie konnte ihre Meinung gut äußern. Deswegen waren die Positionen des Landesverbandes immer sehr klar.

Sie folgen Nora Goldenbogen zum zweiten Mal in ein Amt. Wie groß sind ihre Fußstapfen?
In der Gemeinde hatte ich im Vorstand seit 2009 gearbeitet. All diese Jahre habe ich von Nora viel gelernt. Leider bin ich noch nicht so lang im Landesverband, erst sechs Jahre. Und jetzt kommt eine größere Verantwortung auf mich zu – unsere Gemeinden in Sachsen zählen insgesamt mehr als 2000 Mitglieder. Ich muss vorsichtig sein, und leider kann ich keinen Rat mehr von Nora bekommen. Ich freue mich daher sehr, dass Küf Kaufmann, der Vorsitzende der Leipziger jüdischen Gemeinde, bereit ist, als stellvertretender Vorsitzender mich noch einige Zeit im Landesverband zu begleiten. Er hat wirklich eine langjährige Erfahrung.

Welche Akzente möchten Sie vor allem in der Jugendarbeit setzen?
Ich merke, dass die junge Generation in Dresden stark am Gemeindeleben interessiert ist und gern über ihre Bedürfnisse spricht. Das wird auch in ganz Sachsen nicht anders sein. Wir sollten die Jugendlichen mehr unterstützen. Das ist oft nicht nur mit Finanzierung verbunden, es ist aber vor allem ein Problem der Finanzierung. Hinzu kommen auch junge Juden aus der Ukraine, die erst seit dem russischen Angriffskrieg bei uns sind und unsere Unterstützung brauchen. Sie wollen studieren, sie lernen die Sprache. Wir helfen ihnen. Aber zuerst suchen wir das Gespräch mit diesen Jugendlichen. Sie brauchen unsere Achtsamkeit.

Stichwort Finanzierung: Als Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden ist es Ihnen gelungen, erhebliche Gelder für kulturelle Veranstaltungen freizumachen. Inwieweit ist das jetzt auch ein Vorbild für Ihre Arbeit in ganz Sachsen?
Es gibt verschiedene Projekte in der Gemeinde und im Landesverband. Wie das weitergeht, werden wir sehen. Unser befreundeter Verein Jüdische Kammer-Philharmonie ist seit mehreren Jahren äußerst aktiv. Das Ensemble gibt Konzerte in Schulen, begleitet Podiumsdiskussionen. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit. Und unser Landesverband ist jetzt ganz aktiv mit der Vorbereitung des Jüdischen Jahres 2026 beschäftigt. Da wird unser Landesverband 100 Jahre alt. Im kommenden Dezember, mit Chanukka, beginnt das »Jahr der jüdischen Kultur« über jüdisches Leben in Sachsen. Das Projekt heißt »Tacheles«. Da sind alle drei Gemeinden involviert. Was wichtig ist: Alle Vereine, nicht nur jüdische, haben die Möglichkeit, in diesem Rahmen finanzielle Unterstützung zu bekommen. Die Projekte sollen sich nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land, in den Dörfern entwickeln. Das muss etwas Mobiles sein, damit wir uns in ganz Sachsen zeigen, nicht nur in Chemnitz, Leipzig und Dresden. Ich denke, das ist auch Bildungsarbeit für alle Bürger Sachsens.

Mit der Vorsitzenden des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden sprach Helmut Kuhn.

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