Krav Maga

»Sich trauen, einem eine reinzuzimmern«

Die Wände, der Boden – alles ist schwarz gehalten. Eine Farbe, die eher furchterregend als einladend ist. Also genau richtig für das, was in dem Trainingsraum in Berlin-Wilmersdorf gleich beginnen soll: ein Krav-Maga-Kurs. Jene Verteidigungstechnik, die auf Imrich Lichtenfeld zurückgeht, einen slowakischen Juden, der in den 30er-Jahren in seinem Heimatland antisemitischen Angriffen ausgesetzt war. In Straßenkämpfen erprobte er Angriffstechniken, die er später in Israel zur Perfektion brachte. Ende der 40er-Jahre fing er an, Soldaten darin auszubilden.

In dem dunkel gehaltenen Erdgeschossraum stehen an jenem Freitagvormittag allerdings keine Soldaten. Es sind Frauen und Männer, Studenten und Angestellte, die lernen wollen, sich im Notfall richtig zu verteidigen. Steffi, 37 Jahre alt, ist eine von ihnen. Sie ist etwa 1,65 Meter groß, zierlich, hat ein offenes Lächeln. Sie ist heute meine Trainingspartnerin. Ich bin ein völliger Neuling auf dem Gebiet. Ich habe weder Erfahrungen im Judo noch im Taekwondo oder Karate. Ab und zu gehe ich in ein Fitnessstudio, mache Ausdauerübungen auf einem Crosstrainer. Das ist es eigentlich schon.

Steffi arbeitet im Qualitätsmanagement und hat zwei Kinder. Seit fast einem Jahr geht sie regelmäßig zum Krav Maga. Ihr ist bisher noch nie etwas auf der Straße passiert, sagt sie. Aber sie möchte für den Fall der Fälle vorbereitet sein.

angriff Zuerst stehen ein paar Aufwärmübungen an: Seilspringen, Sit-ups, Sprints von einer Seite des Raumes zur anderen. Dann stehe ich Steffi auf Augenhöhe gegenüber. Wir sollen uns – so schnell es geht – an die Schulter und in den Bauchbereich schlagen. Es sei »eine leichte Sparring-Übung«, wir können es fürs Erste bei »leichten Schlägen« belassen, sagt Trainer Oliver Hoffmann, oder Olli, wie sie ihn hier alle nennen.

Meine Partnerin reagiert schnell. Ich bin anfänglich überfordert, kann mich nicht sofort koordinieren. Dann sagt sie: »Gut, das war schon gut.« So richtig wohl fühle ich mich in meiner Rolle als Angreiferin aber noch nicht. Das sei völlig normal, meint Olli. Die Hemmungen würden seine Krav-Maga-Schüler rasch ablegen. »Der Erfolg macht sich schnell bemerkbar.« Dass der Mensch in einer Angriffssituation oft zuerst erstarrt, sei eine übliche Verhaltensweise. »Das trainieren wir hier aber ab«, versichert er. Was das heißt, lerne ich kurze Zeit später.

Wir stellen eine Umklammerungsszene nach: Ich stehe hinter Steffi, klammere mich von hinten um ihren Oberkörper. Ihre Aufgabe besteht darin, sich aus dieser bedrängenden Situation zu befreien. In Windeseile habe ich ihren Ellenbogen im Gesicht, dann kommt ein Schlag mit der Hand gegen das Kinn. Würde sie ihre ganze Kraft einsetzen, läge ich nun auf dem Boden, wahrscheinlich mit Nasenbluten oder Ähnlichem. Ich habe Respekt vor dieser Frau.

Nun bin ich an der Reihe. Ich habe Ollis Worte im Ohr: »Man muss sich trauen, einem eine reinzuzimmern!« Na gut. Nach mehreren Versuchen bekomme ich meinen Körper etwas schneller koordiniert. Die Drehbewegung beim »Ellenbogen-ins-Gesicht-Hauen« sitzt einigermaßen.

alltag Olli hat seine Krav-Maga-Ausbildung in Israel absolviert. Seit 1997 sind er und sein Partner Linir Mizrahi in Berlin als Trainer unterwegs. Das Angebot ihrer »Combat & Counterterrorism School« richtet sich an Erwachsene, Kinder und Jugendliche, die sich im Alltag sicher und im Notfall kampfbereit fühlen wollen.

Das Hauptaugenmerk der beiden Lehrer liegt allerdings auf Menschen, die die Verteidigungstechnik aus beruflichen Gründen benötigen, zum Beispiel Polizisten, Rettungs- oder Sicherheitsdienste. Der Trainingsraum sei für die unterschiedlichsten Übungen ausgelegt, erklärt Olli. »Wir haben eine Rauchanlage, Pyrotechnik, können extreme Lärmsituationen nachstellen. Wir können unter sehr realistischen Bedingungen trainieren.« Das Treffen schneller und richtiger Entscheidungen unter extremem Stress – das lerne man bei ihm.

Steffi und ich machen die nächste Übung. Wir stellen eine Würgesituation nach. Ich stehe hinter ihr, packe sie am Hals. Steffi dreht sich in meine Richtung, haut mir ihren Arm ins Gesicht, zieht an meinen Haaren, sodass ich zu Boden gehe. Dann folgen einige Tritte in den Oberkörper – und sie rennt davon. Das Ganze dauert nur wenige Sekunden.

Handlungshoheit Um sich erfolgreich zu verteidigen, sei Schnelligkeit das A und O, sagt Olli. »Man kann nur gewinnen, wenn man selbst angreift und extrem aggressiv agiert, das heißt, dem Angreifer die Handlungshoheit nimmt«, bekräftigt Olli.

Zum Abschluss geht Steffi mit Isa in den Bodenkampf. »Das ist eine super Aggressions- und Kraftausdauerübung«, erläutert Olli. Gerade im Frauentraining sei die Übung ein wichtiges Element, denn sie stelle eine potenzielle Vergewaltigungsszene dar. Die beiden Frauen wälzen sich auf der Matte, ziehen sich gegenseitig an den Haaren, drücken einander ihre Ellenbogen und Hände ins Gesicht. Nach einigen Minuten stehen sie auf, sind außer Atem und grinsen sich an. »Das hat echt wieder Spaß gemacht«, sagt Isa.

Die 24-Jährige arbeitet in einem Hotel und ist deshalb häufig abends in der Stadt unterwegs. Oft erinnert sie sich dann an eine Situation mit einem alkoholisierten Hundehalter, der sie fast geschlagen hätte, wären ihr nicht zwei Männer zur Hilfe gekommen. »Ich war in dem Moment wie erstarrt. Das hat mir im Nachhinein Angst gemacht«, sagt Isa. Dank Krav-Maga-Training sei sie viel selbstsicherer geworden. »Ich würde heute ganz anders reagieren«, sagt sie bestimmt.

muskelkater Solche Sätze hört Olli gern. Angriff sei die beste Verteidigung, findet er. Immer mehr Frauen würden diese Selbstverteidigungstechnik heute lernen wollen. Er sagt auch, dass Krav Maga nicht mit Sport zu verwechseln sei. Denn es gebe »keine Wettkämpfe, keine Regeln«. Allerdings müsse man im Training aufeinander Rücksicht nehmen. Falls aber doch etwas schiefgeht, steht eine komplette Erste-Hilfe-Ausrüstung bereit.

Was ich an diesem Tag mit nach Hause nehme, ist neben einigen hilfreichen Verteidigungstricks, die ich zu Hause gleich ausprobiere, ein heftiger Muskelkater von den Aufwärmübungen. Von blauen Flecken bin ich dank Steffis Rücksicht verschont geblieben.

Leer

Späte Würdigung

Der Schoa-Überlebende Albrecht Weinberg ist nun Ehrenbürger der Stadt

von Christine Schmitt  28.09.2023

Stuttgart

»Wir sind die Mehrheit«

Einsatz für die Demokratie – Anat Feinberg und Anton Maegerle erhalten die Oppenheimer-Medaille

von Brigitte Jähnigen  28.09.2023

Ukraine

Hilfe durch Teilhabe

Als Partner von IsraAID Germany spielen die jüdischen Gemeinden eine zentrale Rolle. Ein Interview

von Imanuel Marcus  28.09.2023

Sukkot

Hör mal, wer da hämmert

Überall werden Laubhütten errichtet – und hinter jeder verbirgt sich eine eigene Geschichte

von Christine Schmitt, Elke Wittich  28.09.2023

Interview

»Ich kenne nichts Vergleichbares«

Ansgar Brinkmann über die Maccabiah, seine neue Aufgabe als Makkabi-Nationaltrainer und alte Legenden

von Helmut Kuhn  27.09.2023

Bornplatzsynagoge

Hamburg gibt Jüdischer Gemeinde Grundstück zurück

Gemeindechef: Der heutige Tag zeigt, dass Unrecht nicht siegt und das jüdische Hamburg eine Zukunft hat

 27.09.2023

Berlin

Herausragendes Engagement

Bürgermeister Kai Wegner ehrt Petra und Franz Michalski mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik

 27.09.2023

Halle

Gedenken am Jahrestag des Anschlags auf Synagoge

Es soll eine Schweigeminute geben - sowie ein Gebet für die Opfer

 27.09.2023

Hamburg

Scheinbare Gegensätze verbinden

Wie jüdische Biografien in der Reihe »Bridging the Gap« in Kunst umgesetzt werden

von Heike Linde-Lembke  27.09.2023