Nachruf

»Sein jüdisches Feuer wird nie verglühen«

Jossi Avidor sel. A. Foto: Jüdische Gemeinde Düsseldorf

Nachruf

»Sein jüdisches Feuer wird nie verglühen«

Zum Tod von Jossi Avidor, der plötzlich und völlig unerwartet im Alter von 48 Jahren in Düsseldorf verstorben ist

von Daniel Padan, Michael Rubinstein  27.05.2021 12:39 Uhr

Jossi war ein Kind unserer Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. 1972 hier geboren, ging er mit uns in den Gemeindekindergarten. Noch Jahrzehnte später haben wir uns gemeinsam gerne an diese Zeit unter der Leitung von »Tante Edith« erinnert.

Nach dem Kindergarten folgte der wöchentliche Besuch des Religionsunterrichts, und sonntags stand das Jugendzentrum an. Geprägt von seiner Mutter und seinen Großeltern, die ihm als einziges Kind und Enkelkind ein von Jüdischkeit geprägtes Zuhause schenkten, war für Jossi schon von klein auf das Judentum und das jüdische Leben ein zentraler Teil seines Lebens.

MITTENDRIN Es war daher nur allzu folgerichtig, dass Jossi in der Mitte der 80er-Jahre begann, sich im Siegfried-Klein-Jugendzentrum als Madrich zu engagieren – als Teil einer goldenen Generation unserer Gemeindegeschichte. In unserer Grundschule hängt ein großes Foto aus dieser Zeit. Rabbiner Abraham Hochwald sel. A. in unserer Synagoge, umringt von einer Vielzahl jüdischer Kinder. Jossi mittendrin. Eher schüchtern und zurückhaltend steht er da auf diesem Foto.

Jossi war ein Mensch, der mit seiner ruhigen Art andere Menschen für sich, vor allem für die jüdische Sache, gewinnen konnte.

Dieser Eindruck entsprach auch dem Menschen Jossi, wenn man ihm zum ersten Mal begegnete. Er war kein Draufgänger, kein Showman, keiner, der gerne auf der großen Bühne stand oder sich selbst in den Mittelpunkt stellen musste. Er war im besten Sinne des Wortes ein bescheidener Mensch in seinem Auftreten und in seinen Ansprüchen an das Leben.

Jedoch war er gleichzeitig, wiederum im positiven Sinn, ein Überzeugungstäter. Ein Mensch, der mit seiner ruhigen Art andere Menschen für sich, vor allem für die jüdische Sache gewinnen konnte.

Wir waren ein eingeschworener Haufen – Jossi, Dani, Dani, Leonie und ich. Gemeinsam in einer Klasse während unserer Zeit auf dem Gymnasium. In Freistunden bei Jossi zu Hause, er wohnte genau gegenüber. Er hatte den Computer, den wir anderen noch nicht hatten. Fußball-Manager war das Spiel unserer Wahl, in Zeiten, als es noch kein Smartphone oder Internet gab.

Es waren wundervolle Jahre mit ihm in einer fast unbeschwerten Jugend, die uns alle prägten.

Nachmittags dann im Jugendzentrum, meistens spielten wir Tischtennis. Sonntags dann als Madrichim im Team von Rabbiner Michael Goldberger sel. A. Letztens hatte ich noch auf meinem Handy das Bild betrachtet, auf dem wir in Wien zusammen müde auf einer Parkbank sitzen. Die Madrichim-Reise in die Schweiz, wo wir spontan einen hohen Berg herunter wanderten und alle nachher Blasen an den Füßen hatten, bleibt unvergessen.

WIRKEN Es waren wundervolle Jahre einer fast unbeschwerten Jugend, die uns alle prägten. Und aus Jossi den Menschen formten, von denen es bis heute innerhalb unserer jüdischen Gemeinschaft nur wenige gibt. Sein Wirken für jüdische Kinder und Jugendliche war einzigartig in seiner Generation. Retrospektiv könnte man zu dem Schluss kommen: Ws war Jossis Antrieb, der jüdischen Gemeinschaft etwas von dem zurückgeben zu wollen, was er von ihr erhalten hatte.

Generationen von jungen Menschen sind von Jossi geprägt worden.

Neben seiner Tätigkeit für unser Jugendzentrum fing Jossi an, auf die Machanot der ZWST zu fahren. Darüber hinaus engagierte er sich im Jüdischen Studentenverband Nordrhein und im Bund Jüdischer Studenten Deutschland (BJSD).

Auch überregional engagierte er sich in der politischen Arbeit, führte Aufklärungsarbeit in Schulen durch und organisierte Demonstrationen mit. Immer mit vollem Herzen und Durchsetzungsvermögen, jedoch mit wohltuender Ruhe und unaufgeregter Stimme.

LIEBE Die jüdische Jugendarbeit war ihm ein besonderes Herzensanliegen. Generationen von jungen Menschen sind von ihm geprägt worden. Die Leitlinien dieser Arbeit tragen bis heute seine Handschrift. Er hat die Jugendarbeit in den Gemeinden und bei der ZWST mit zu dem gemacht, was sie heute ist: ein Entstehungsort für Freundschaften, der Liebe zu Israel, ein Netzwerk, eine jüdische Gemeinschaft!

Auch seine Frau Dana hat er auf Machane kennen und lieben gelernt. Das Jugendheim in Bad Sobernheim war sein zweites Zuhause geworden. Ein Meilenstein seines Einsatzes für die Kinder und Jugendlichen in den Jugendzentren, auf Ferienlagern und in der Aus- und Fortbildung angehender Madrichim.

Der plötzliche Schicksalsschlag vor sechs Jahren riss ihn aus dem bisherigen Leben und fesselte ihn an den Rollstuhl.

Er hat zwei Generationen von Chanichim und Madrichim in Deutschland herangezogen, ausgebildet und geprägt. Jeder, der in den letzten 25 Jahren in der Jugendarbeit in Deutschland und in den jüdischen Gemeinden tätig war, kannte Jossi.

STOLZ Aus seiner Berufung wurde im Laufe der Jahre ein Beruf. Als erster Jugendreferent des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein gründete er als Zusammenschluss der örtlichen Jugendzentren Esch – zu Deutsch: Feuer. Jahrelang leistete er dort Unglaubliches für die jüdische Kinder- und Jugendarbeit, insbesondere für die kleineren Gemeinden.

Bis heute profitieren diese Gemeinden in vielfältiger Weise davon. Und in Absprache mit Jossi wurde in den letzten Jahren aus Esch JewEsch – das jüdische Feuer. Den ersten Auftritt als Landesverband bei der Jewrovision haben wir dann ihm gewidmet. Und Jossi war stolz, glücklich und gerührt.

Ein Satz war besonders bezeichnend für ihn: »Ich mache alles mit einem Lachen«, sagte Jossi öfters.

Jossi hatte stets den Blick für das große Ganze, ohne den Einzelnen dabei zu aus den Augen zu verlieren. Denn genau darum ging es ihm: um das Individuum, um die persönlichen Belange der einzelnen Kinder und Jugendliche. Sein Wirken als jüdischer Mensch galt dem Wohl anderer jüdischen Menschen. Man konnte ihn immer um Rat fragen, er war für einen da. Wohl auch deshalb entschloss er sich, den Beruf als Heilpraktiker für Psychotherapie zu ergreifen. Ein folgerichtiger Werdegang.

EMOTIONEN Bis zu seinem plötzlichen Schicksalsschlag vor sechs Jahren, der ihn aus dem bisherigen Leben riss und an den Rollstuhl fesselte, war er mit Herz und Seele in der jüdischen Welt aktiv. Danach fiel es ihm immer schwerer, am täglichen Gemeindeleben teilzunehmen.

Er war jedoch ein immer willkommener Gast an Schabbat, den jüdischen Feiertagen und in der Synagoge. Ihm dann den Tallit anzuziehen, was er nicht mehr allein konnte, war Ehre für jeden von uns, aber auch ein trauriger Moment zugleich vor dem Hintergrund der vielen gemeinsamen Erlebnisse.

Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Mutter Rena, seinen Angehörigen und vor allem seinen beiden kleinen Kindern, die jetzt ohne Ihren Vater aufwachsen müssen.

Er hinterlässt uns ein großes Vermächtnis und einen wichtigen Auftrag.

Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf und die jüdische Gemeinschaft in Deutschland verliert mit Jossi Avidor nicht nur eine herausragende Führungspersönlichkeit, sondern vor allem ein Vorbild mit sozialem Gewissen und jüdischer Seele.

UNTERSTÜTZUNG Er hinterlässt uns ein großes Vermächtnis und einen wichtigen Auftrag: Weiterhin da zu sein für diejenigen in unserer Gemeinschaft, die unsere besondere Unterstützung brauchen.

Ein Satz war besonders bezeichnend für ihn: »Ich mache alles mit einem Lachen«, sagte Jossi öfters. Wir Freundinnen, Freunde und Weggefährten können über ihn sagen: »Er war a MENTSCH!«

Der Autor ist Direktor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

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