ZWST

Schwierig, aber machbar

Auch für junge Menschen mit Behinderungen ist es eine wichtige Erfahrung, in einer Gruppe über Gefühle und Zweifel zu sprechen. Foto: Getty Images

Sie sind nicht einfach – die Jahre zwischen 13 und 19. Für Kinder nicht, für Eltern nicht, und irgendwie sind alle froh, wenn die Pubertät irgendwie glimpflich vorbeigeht. »Abenteuer Pubertät – Eine Herausforderung für die Familie« lautete daher der Titel einer Tagung, die am vergangenen Sonntag im Frankfurter Sigmund-Freud-Institut stattfand.

Das Jüdische Psychotherapeutische Beratungszentrum (JBZ) und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) luden zu Vorträgen und Workshops rund um ein Thema ein, das vielleicht weniger Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit findet als andere: Wie schwierig ist die ohnehin schon komplizierte Zeit der Pubertät für junge Menschen mit Behinderungen, deren Angehörige und Betreuer?

Susi Ajnwojner vom JBZ und Dinah Kohan begrüßten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen vor Ort und online. Ja, die Pubertät sei ein schwieriges Thema, erklärten sie, zumal bei Eltern und Erwachsenen Erinnerungen an die eigene Jugend hochkämen, an Scham, Identitätssuche, Zerrissensein, körperliche Veränderungen und viele, viele Fragen.

Unabhängigkeit Silke Pless, Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Gießen, schilderte die »Entwicklungsaufgaben«, die in der Pubertät anstehen. Dazu gehört nicht nur, Unabhängigkeit von den Eltern zu erreichen und die Vorbereitung auf Beruf und Karriere, sondern auch die Entwicklung von Werten und sozialer Verantwortung.

Pubertät bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen ist viel zu häufig noch ein Tabuthema.

Diplom-Psychologe Matthias Heitmann von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik am Frankfurter »Clementine Kinderhospital« sowie Oberärztin Marin Tenorth der dortigen Abteilung für Neuropädiatrie sprachen anschließend in ihrem Impulsvortrag »Psychische Folgen von körperlicher Beeinträchtigung in der Pubertät« über konkrete Fälle aus der Praxis.

»Pubertät wird als zweiseitig erlebt«, sagen sie, »einmal ist da derjenige, der hinaus muss in die Welt, und dann sind da die Eltern, die gehen lassen müssen.« Und was passiert, wenn Eltern sich komplett verweigern? »Dann kommen die Jugendlichen auch nicht zu uns«, konstatieren sie, »der Erfolg ist zur Hälfte davon abhängig, dass die Eltern eine Umstellungsbereitschaft haben.«

entwicklungsbedingungen Für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sowie deren Familien und Betreuer ist die Pubertät viel zu häufig noch ein Tabuthema. Dazu kommt, dass Menschen mit Behinderungen oft als Kinder gesehen werden, also als Menschen, bei denen »Sexualität gar nicht« mitgedacht werde, wie Svenja Heck, Professorin für Behinderten- und Heilpädagogik und Studiendekanin am Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt, erklärte. Sie beschäftigt sich bereits seit Jahren mit der Frage, welches die Entwicklungsbedingungen für Jugendliche mit und ohne Behinderungen sind.

Grundsätzlich gebe es »bei Behinderten keine andere Pubertät, sondern andere Möglichkeitsräume«, stellte sie fest. Und das, was für Pubertierende ohnehin ein »riesiges Thema ist, nämlich Abgrenzung und Raum für Intimität«, sei für Menschen mit Behinderungen ganz besonders schwierig.

»Aber wie ist das, wenn man den eigenen Körper nur über andere erlebt, weil man gepflegt werden muss, und gar nicht selbst bestimmen kann, wer diese Pflege übernimmt?«, fragte Svenja Heck. »Wie geht dann Abgrenzung, wenn Vater, Mutter, andere Bezugspersonen in den intimen Raum eindringen, wo ist dann der Raum für Begehren und sexuelle Wahrnehmungen?«

Intimsphäre Dass behinderte Menschen ein Recht auf Intimsphäre haben, sei ein Gedanke, der sich auch in Institutionen noch nicht flächendeckend durchgesetzt habe. Für junge Menschen mit Behinderungen sei es eine ganz wesentliche Erfahrung, in einer Gruppe über ihre Gefühle, Ängste, Zweifel zu sprechen. »Zu merken, das geht nicht nur mir so, war sehr wichtig für sie. Und auch schön, denn sie haben dann angefangen, sich gegenseitig Komplimente zu machen und sich darin zu bestärken, nicht nur alles immer mit sich selbst auszumachen.«

Während der Pubertät wird der Umgang mit Gleichaltrigen zum wichtigen Erfahrungsraum, in dem man sich austesten und abgrenzen kann, in dem man Kommunikationsmuster erprobt und sich gegen Erwachsene verbündet.

Junge Menschen mit Behinderungen haben häufig aber nur in der Schule oder in Werkstätten Kontakt zueinander, vor allem, wenn sie noch zu Hause leben. Eine gute Lösung sind Gruppentreffen, aber geistig behinderte Jugendliche sind oft darauf angewiesen, dass sie jemand begleitet, weil sie nicht so gut allein in der Stadt unterwegs sein können, erklärt Svenja Heck.

Sozialverhalten und Selbstbewusstsein müssen in der Gruppe geübt werden.

Und sie berichtet, wie sie einmal auf Wunsch bei einem Partnervermittlungs-Treffen dabei war: »Alle haben sich auf mich konzentriert, weil niemand eine Idee hatte, wie Kennenlernen geht«, schildert sie die Situation. Auch Telefonnummern auszutauschen oder ein neues Treffen zu vereinbaren, war den jungen Menschen nicht in den Sinn gekommen. Sozialverhalten und Selbstbewusstsein müssen eben geübt werden, und wie bei allen Jugendlichen geht das am besten in der Peergroup.

Privates Sexualität wird in aller Regel als etwas Persönliches, Intimes, Privates gesehen. Fachkräften in Betreuungseinrichtungen geht das meistens nicht anders, entsprechend fühlen sie sich überfordert, wenn sie mit der Sexualität junger behinderter Menschen konfrontiert werden. »Es fällt ihnen schwer, damit umzugehen«, sagte Svenja Heck. »Sie fühlen sich alleingelassen, weil das in der Ausbildung kein Thema ist.«

Auch Eltern fühlen sich meistens beim Thema Aufklärung alleingelassen, eine oft gestellte Frage laute beispielsweise: Wie kann ich meine Tochter vor Missbrauch schützen und sie dennoch bei der Partnersuche unterstützen? Im Bereich geistiger Behinderung gebe es eine hohe Dunkelziffer von sexuellem Missbrauch – Aufklärung und der Auftrag, den jungen Menschen klarzumachen, dass sie ein Recht haben, Nein zu sagen, seien daher ganz wichtig.

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