Porträt der Woche

Rückkehr zum Glauben

Max Jankowsky war Industriekaufmann und fand dank seiner Frau wieder zur Religion

von Gerhard Haase-Hindenberg  12.03.2023 10:05 Uhr

»Ich war immer der Feuerwehrmann für alles Mögliche«: Max Jankowsky (73) lebt in Berlin. Foto: Stephan Pramme

Max Jankowsky war Industriekaufmann und fand dank seiner Frau wieder zur Religion

von Gerhard Haase-Hindenberg  12.03.2023 10:05 Uhr

Mein Vater wurde in Danzig geboren, lebte aber später mit seiner Familie in Warschau. Ein Bruder und zwei Schwestern konnten rechtzeitig vor den Nazis nach Frankreich fliehen, von dort aus ging es für sie weiter nach Australien.

Mein Vater wurde zusammen mit seiner jüngeren Schwester aus dem Warschauer Ghetto nach Treblinka deportiert, wo die Schwester ermordet wurde. Einigen Häftlingen war es während des Aufstandes im August 1943 gelungen, aus dem Vernichtungslager zu entkommen. Die meisten wurden wieder gefangen. Mein Vater aber gehörte zu denen, die es geschafft hatten, sich zu den polnischen Partisanen durchzuschlagen.

Bald darauf kam er zur Roten Armee. Er war damals Kommunist, und in Schlesien wurde er zum Stadtkommandanten eines kleinen Ortes ernannt.

Realität Wie er mir sagte, habe er schnell mitbekommen, wie der Kommunismus in der Realität aussah. Die Offiziere hätten alles gehabt, das einfache Volk nichts. Das passte für ihn nicht zusammen. Dann sollte er in seinem Ort Schwarzhändler verhaften lassen. Dabei stellte sich heraus, dass das überwiegend überlebende Juden waren. Schließlich hat er alle freigelassen und ist selbst desertiert.

Gemeinsam mit meiner Mutter, die er in jenem schlesischen Ort kennengelernt hatte, schlug er sich in den amerikanischen Sektor durch. Im Jahr 1949 kam ich in Regensburg zur Welt. Kurz zuvor war meine Mutter bei einem Münchner Rabbiner zum Judentum konvertiert. Im Jahr nach meiner Geburt sind meine Eltern mit mir nach Berlin gezogen.

AUSSENSTEHENDER An der Grundschule gab es auch andere jüdische Kinder, was schon dadurch auffiel, dass wir an keinem christlichen Religionsunterricht teilnahmen. Wir trafen uns im Gemeindezentrum in der Fasanenstraße, wo wir in jüdischer Religion unterrichtet wurden.
Die anderen in meiner Religionsklasse waren teilweise miteinander verwandt oder deren Eltern waren beruflich verbandelt. Wenn man da als Außenstehender nicht über goldene Löffel verfügte, hatte man einen schweren Stand. Die boxten in einer anderen Gewichtsklasse, haben zusammen Lokale besucht. Das war für mich gar nicht erschwinglich. Aber wenn man nichts hatte, stand man draußen, und ich hatte keine Lust, denen hinterherzurennen. Nach meiner Barmizwa habe ich mir als Jugendlicher dann gesagt, wenn die anderen nichts von mir wissen wollen, will ich auch von denen nichts wissen.

Nach meiner Barmizwa habe ich mich vom Judentum entfernt.

Damals hat mich das vom Judentum emotional entfernt. Eine Weile machte ich noch bei der Zionistischen Jugend mit, wo mir schon eher ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt wurde. Letztlich aber arbeitete man dort darauf hin, junge Juden zur Auswanderung nach Israel zu bewegen. Das war nun gar nicht mein Ding. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt noch nie in Israel gewesen und kannte dort auch niemanden. Später bin ich einmal dorthin gereist, weil mein Vater unbedingt hinwollte. Das ist jetzt fast 50 Jahre her, aber ein Heimatgefühl, wie das andere Juden oft empfinden, hat sich bei mir trotz aller Sympathie für das Land nicht eingestellt.

Nach dem Abitur habe ich eine Lehre als Industriekaufmann bei AEG absolviert. Danach habe ich in der unternehmenseigenen Stromrichter-Fabrik angefangen. Neben dem Kaufmännischen habe ich mich immer auch für die Produkte interessiert. Stromrichter beispielsweise sind Geräte, die aus Gleichstrom Wechselstrom machen oder umgekehrt. Ich habe innerbetrieblich von dem Bildungsangebot mitgenommen, was ich kriegen konnte.

Irgendwann wollte ich mich einmal in einem anderen Unternehmen umsehen. Das war zum kaufmännischen Leiter durchgesickert, und der hat mich zu sich bestellt. Er bat mich, meinen Entschluss zu überdenken, und fragte mich: »Was halten Sie denn von Forschungsvorhaben?« Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was das ist. Man erklärte mir, dass man beispielsweise auf dem Gebiet der Bahntechnik anwendungsbezogene Forschung betreibe und dafür öffentliche Gelder bekomme. Ich würde diese beantragen und müsste die Kontrolle darüber ausüben, was mit diesen Geldern passiert. Das hörte sich interessant an.

Ich sagte zu, und mir wurde ein neuer Kollege vorgestellt. Der erzählte mir, nach welchen Vorschriften das vonstattengeht. Als ich ihn fragte, wie groß die Abteilung denn sei, sagte er: »Jetzt sind wir schon zu zweit. Ach übrigens: Ich habe seit zwei Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. In sechs Wochen bin ich dann mal für zwei Monate weg. Sehen Sie zu, dass Sie bis dahin lernen, den Laden allein am Laufen zu halten.« Das war der berühmte Sprung ins kalte Wasser.

Experte Ich will mich jetzt nicht selbst loben, aber nach drei Jahren galt ich als Experte für Forschungsvorhaben. Und das hat sich später durch mein ganzes Berufsleben gezogen. Ich war immer der Feuerwehrmann für alles Mögliche. Wenn es irgendwo brannte oder die AEG mal wieder irgendwelche Projektgruppen gebildet hatte, wandte man sich an mich. Zum Beispiel, als die Magnetschwebebahn ins Portfolio des Unternehmens kam – von einer Zweipersonen-Klitsche in Starnberg, die das entwickelt hatte. Nun musste ein Manager her, und der war dann wieder einmal ich, auch wenn dieses Projekt am Ende beerdigt werden musste.

Beim Transrapid war ich für die AEG in der Planungsgesellschaft mit verschiedenen Partnern der Kaufmann. Dafür saß ich dreieinhalb Jahre in München und später in Berlin bei Transrapid International als einer der Hauptabteilungsleiter. Wenn ich heute auf mein Berufsleben zurückblicke, war es eigentlich immer dann am schönsten, wenn ich ins kalte Wasser geworfen wurde. Das war zwar im Moment unangenehm und hat mich manch schlaflose Nacht gekostet, aber andererseits haben mich neue Herausforderungen auch immer gereizt.

Negative Erfahrungen mit Antisemitismus habe ich selbst nur einmal gemacht. Allerdings wussten die meisten meiner Mitarbeiter auch nicht, dass ich Jude bin. Das wusste auch der nicht, der sich bei mir über eine jüdische Kollegin beschwerte. Dabei erwähnte er, dass schon seine Eltern »sehr schlechte Erfahrungen mit Juden gemacht« hätten. Na, der hat dann ein paar passende Ansagen von mir bekommen. Jedenfalls merkte er schnell, dass er bei mir an der falschen Adresse ist. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich selbst auch Jude bin, weil ich dachte, dass ich besser meine schützende Hand über die jüdische Mitarbeiterin halten kann, wenn man es von mir nicht weiß. Sie aber wusste es natürlich.

Tradition Als ich meine erste Frau heiratete, war mein Vater verärgert, dass sie keine Jüdin war. Immerhin konnte ich verhindern, dass unsere beiden wunderbaren Kinder getauft wurden. Nach acht Jahren haben wir uns scheiden lassen. Nach weiteren drei Jahren habe ich meine jetzige Frau kennengelernt. Sie war auch keine Jüdin, und der Vater war wieder verärgert. Er war selbst zwar auch nur ein Feiertags-Jude, aber eine gewisse Tradition lag ihm schon am Herzen. Und dann passierte das Merkwürdige.

Plötzlich hat meine Frau sehr viel Interesse am Judentum gezeigt und erklärt, konvertieren zu wollen. Das passierte nicht auf mein Drängen hin, ich habe ihr im Gegenteil sogar davon abgeraten. Aber nein, sie ging in die Synagoge Pestalozzistraße und hat Rabbiner Stein angesprochen. Das musste sie sogar mehrere Male tun, denn offenbar wollte er ihre Ernsthaftigkeit prüfen. Dann hat er ihr erklärt, dass sie erst einmal Unterricht nehmen müsse. Den bekam sie auch und wurde nach einer Weile formell ins Judentum aufgenommen.

Auch ihre damals schon erwachsene Tochter aus einer früheren Ehe, die ich wie meine eigenen Kinder als Tochter betrachte, hatte konvertieren wollen. Sie machte damals allerdings eine Lehre im Hotelfach und wegen der wechselnden Dienste in verschiedenen Abteilungen war ihr der regelmäßige Besuch des Giur-Kurses nicht möglich. Sie lebt und arbeitet heute in Spanien. Wann immer sie uns in Berlin besucht, besteht sie darauf, uns zur Synagoge zu begleiten.

Kurioserweise war es meine Frau, die mich auch emotional wieder zum Judentum zurückgeführt hat. Sie war es auch, die jüdische Traditionen in unserem Haushalt eingeführt hat, also das Kerzenzünden und die Einhaltung des Schabbats, aber auch der Feiertage. Vor der Corona-Pandemie waren wir jeden Freitag in der Synagoge. So ein eifriger Synagogengänger war ich mein ganzes Leben nicht. Insofern habe ich meine neue Hinwendung zum Judentum wirklich ihr zu verdanken.

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