Jubiläum

Reden über Bücher

Beim Empfang im Literaturhaus: Präsidentin Charlotte Knobloch, der Historiker Saul Friedländer und Gastgeberin Rachel Salamander (v.l.) Foto: Miryam Gümbel

Mit der Lesung aus dem Briefwechsel von Elias Canetti und Marie-Louise von Motesiczky Liebhaber ohne Adresse aus den Jahren 1942 bis 1992, erschienen im Hanser Verlag, beendete Rachel Salamander am Dienstag vergangener Woche die Wintervortragsreihe anlässlich des 30-jährigen Bestehens ihrer Literaturhandlung.

Die Malerin aus Wien, Schülerin von Max Beckmann am Frankfurter Städel, fand ebenso wie der spätere Literaturnobelpreisträger nach der Flucht aus Nazideutschland eine neue Heimat in London. Neben der Liebesgeschichte zwischen den beiden sind diese Briefe ein Stück Zeitgeschichte, und sie lassen das Heimischwerden der Geflüchteten in England lebendig werden.

ansprüche Mit dieser Veranstaltung ist Rachel Salamander einmal mehr ihren eigenen Ansprüchen an ihre Arbeit gerecht geworden. War es ihr beim 25-jährigen Jubiläum gelungen, große Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts wie Henry Kissinger auf die große Bühne des Prinzregententheaters zu holen, so war auch das abschließende Herbstprogramm zum 30-Jährigen wieder mit Highlights bestückt.

Das Motto diesmal lautete »Jahrhundertbriefe«, denn, so Rachel Salamander: »Wo verdichten sich Geist, Unmittelbarkeit und zeitgeschichtliche Sensibilität in so hohem Maße wie in einigen Briefwechseln deutschsprachiger Künstler und Intellektueller des 20. Jahrhunderts? In ihren Briefen zeigt sich das Raffinement einer Kultur des Briefwechsels in seiner letzten großen Blüte.« Da ließ sie Joseph Roth und Stefan Zweig zu Wort kommen, Werner und Elisabeth Heisenberg, Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer und zuletzt eben Elias Canetti und Marie-Louise von Motesiczky.

ironie Die Geburtstagsfeier wurde bei einem Abend im Literaturhaus in Anwesenheit von Saul Friedländer gekrönt. Er stellte im Winter im Literaturhaus sein bei C.H. Beck erschienenes Buch Franz Kafka vor. Als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Historiker porträtierte er Kafka, analysierte dessen einzigartige Ironie und sein Verhältnis zum Judentum.

Friedländer, immer wieder gern zu Gast bei den Veranstaltungen der Literaturhandlung, war im Anschluss daran dabei, als Rachel Salamander bei einem Empfang im Foyer des obersten Stockwerks des Literaturhauses von Freunden und Weggefährten anlässlich des 30-jährigen Bestehens ihres Unternehmens gefeiert wurde. Unter den Gratulanten waren auch Präsidentin Charlotte Knobloch und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude. Die Mitarbeiterinnen der Literaturhandlung überraschten ihre Chefin mit einer herzlichen Rede und einem riesigen Blumenstrauß.

Ude sprach über seine lange Verbindung zu Rachel Salamander und der Literaturhandlung, die schon vor seine Zeit als Oberbürgermeister zurückgeht. Er erinnerte an »das einzige Problem, das Rachel immer wieder begleitet«, nämlich »die Frage nach der Berufsbezeichnung«. Buchhändlerin sei dabei das »falscheste«. Bei Kulturveranstalterin stelle man sich heute eine Eventmanagerin vor. Man könne das Wirken von Rachel Salamander überhaupt nicht mit einer der vorhandenen Berufsbezeichnungen erklären. Ihre Arbeit habe viel dazu beigetragen, dass jüdisches Leben in der Form stattfinde, wie es sich heute in München zeigt. Entsprechend sei »die Stadt dir zu Dankbarkeit verpflichtet. Du hast eine Institution geschaffen«.

Schillerpreis Dass die Bedeutung der Arbeit von Rachel Salamander und ihre Anerkennung weit über München hinausgehen, hat sich gerade erst erneut bestätigt. Vor einer Woche wurde bekannt gegeben: »Der Schillerpreis der Stadt Marbach am Neckar wird 2013 an Rachel Salamander verliehen.« Präsidium, Vorstand und Geschäftsführung gratulieren.

»Rachel Salamander hat am Wiederaufbau des jüdischen intellektuellen Lebens in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend mitgewirkt«, begründet das Preisgericht seine Entscheidung, die unter dem Vorsitz von Bürgermeister Herbert Pötzsch zum Jahresende 2012 gefällt wurde. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird am 10. November 2013, dem 254. Geburtstag Friedrich Schillers, in einem Festakt in der Stadthalle Schillerhöhe überreicht.

In der Mitteilung heißt es weiter: »Das Preisgericht spricht Rachel Salamander Zivilcourage zu. Sie habe es sich seit Anfang der 80er-Jahre zur Lebensaufgabe gemacht, mit ihrer publizistischen Arbeit und dem Aufbau ihrer Buchhandlungen das Interesse und die Neugierde für das Judentum und die Literatur zum Judentum zu wecken und gleichzeitig den Zugang zur deutsch-jüdischen Kultur vor dem Holocaust zu erschließen. Damit habe sie im Sinne des Schillerschen Freiheitsgedankens, der zentrales Kriterium für die Preisvergabe ist, die Fähigkeit gezeigt, bewusst Grenzen und Gräben zu überwinden. Mit der Verleihung des Schillerpreises wolle man ein Zeichen der Anerkennung für die Arbeit von Rachel Salamander setzen.«

Berlin

Margot Friedländer: Levit kämpft bei Deutschem Filmpreis mit Tränen

Beim Deutschen Filmpreis nutzt Igor Levit die Bühne, um der verstorbenen Holocaust-Zeugin Margot Friedländer zu gedenken. Dabei muss der Starpianist mehrmals um Fassung ringen. Im Saal wird es still

 09.05.2025

Zentralrat der Juden

»Margot Friedländer war eine mutige und starke Frau«

Josef Schuster hat mit bewegenden Worten auf den Tod der Holocaust-Überlebenden reagiert

 09.05.2025

Porträt

Ein Jahrhundertleben

Tausende Schüler in Deutschland haben ihre Geschichte gehört, noch mit über 100 Jahren trat sie als Mahnerin auf. Margot Friedländer war als Holocaust-Zeitzeugin unermüdlich

von Verena Schmitt-Roschmann  09.05.2025

Nachruf

Trauer um Holocaust-Überlebende Margot Friedländer 

Mit fast 90 kehrte Margot Friedländer zurück nach Berlin, ins Land der Täter. Unermüdlich engagierte sich die Holocaust-Zeitzeugin für das Erinnern. Nun ist sie gestorben - ihre Worte bleiben

von Caroline Bock  09.05.2025

Interview

Yorai Feinberg: »Die Wassermelone ist das Symbol von Judenhassern«

Der Restaurantbesitzer über den Wassermelonen-Eklat, die Welle des Antisemitismus, die regelmäßig das »Feinberg’s« trifft und über Zeichen der Solidarität

von Imanuel Marcus  09.05.2025

Berlin

Verleihung von Bundesverdienstkreuz an Margot Friedländer verschoben

Erst vor einem Monat erhielt die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer den Preis des Westfälischen Friedens. Die Verleihung einer weiteren hohen Auszeichnung findet kurzfristig jedoch nicht statt

 09.05.2025

Interview

»Mir war himmelangst«

Die 96-Jährige Ruth Winkelmann überlebte die Novemberpogrome in Berlin. Bis heute geht sie in Schulen und spricht über ihr Schicksal - und darüber, was ihr den Glauben an die Menschheit zurückgegeben hat

von Nina Schmedding  09.05.2025 Aktualisiert

Urteil

Klage von jüdischem Erben gegen Sparkasse Hagen bleibt erfolglos

Der Großvater des Klägers hatte den Angaben zufolge 1932 ein Konto bei der Sparkasse in Hagen eröffnet und darauf Geld eingezahlt. Später floh er mit seiner Ehefrau in die Schweiz

 07.05.2025

Digitale Erinnerung

Neue App zeigt Deutschland-Karte mit Nazi-Verbrechen

Von 1933 bis 1945 haben die Nationalsozialisten Menschen enteignet, missbraucht, getötet. Die Untaten auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik versammelt eine neue App. Schon zum Start gibt es eine Erweiterungs-Idee

von Christopher Beschnitt  07.05.2025