Literatur

Poetische Stimme Israels

1990 zu Gast im Kulturzentrum der IKG: Jehuda Amichai Foto: IKG-Kulturzentrum/ Wolf S. Bruer

Literatur

Poetische Stimme Israels

Anlässlich seines 100. Geburtstags wurde im Lyrik Kabinett an den Dichter Jehuda Amichai erinnert

von Helen Richter  19.05.2024 09:53 Uhr

Im Lyrik Kabinett wurde kurz nach seinem 100. Geburtstag des »Jahrhundertdichters« Jehuda Amichai, wie ihn Gastgeber Holger Pils nannte, gedacht. Dazu hatte der Literaturwissenschaftler drei Kenner Amichais eingeladen: Efrat Gal-Ed, eine Spezialistin für Jiddische Literatur, die auch als Übersetzerin aus dem Hebräischen bekannt wurde, Thomas Sparr, der sich als Vermittler deutsch-jüdischer und israelischer Literatur in Deutschland verdient gemacht hat, und Ellen Presser, die 1983 mit dem Aufbau des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde begann und Amichai schon 1990 bei sich willkommen hieß.

Seit Gründung des Lyrik Kabinetts 1989 als Buchhandlung in der Herzog-Rudolf-Straße nahe dem einstigen Standort der orthodoxen Synagoge Ohel Jakob, deren Umzügen und Umwandlung in eine Stiftung durch die Mäzenin Ursula Haeusgen ist Presser dieser Institution freundschaftlich verbunden. Die Einladung zur Kooperation und Moderation im Gedenken an Jehuda Amichai nahm sie daher gern an.

Ihre erste Frage bezog sich auf Begegnungen. Bei Efrat Gal-Ed, in Tiberias geboren, geschah dies in den 70er-Jahren als Gymnasiastin in Ramat Aviv. Damals gehörten zehn Unterrichtsstunden pro Woche der Lektüre und Literatur-Analyse. Im Abitur wurde sie über ein Amichai-Gedicht, das auf Jom Kippur anspielt, befragt.

Das »El Male Rachamim« kennt in Israel jeder.

Ein anderes, »Gott voller Barmherzigkeit«, erläuterte sie. Das »El Male Rachamim«, 1686 erstmals in einem Gebetbuch mit Ritualen und Gebeten für Sterbende in Mantua erwähnt, kenne in Israel jeder.

Das Gedicht, in dem Amichai die Grundidee des Gebets gewissermaßen auf den Kopf stellt, gehörte zu den dreien, die Gal-Ed gemeinsam mit Christoph Meckel für das erste deutsch-israelische Dichtertreffen im Mai 1989 in Freiburg übersetzte: »Ich, der Rätsel lösen muß gegen seinen Willen, weiß: Wenn Gott nicht voll Erbarmen wäre, gäbe es Erbarmen in der Welt, nicht nur in ihm«. Efrat Gal-Ed hatte den Dichter 1986 in Israel besucht; drei Jahre später war er ihrer Einladung nach Deutschland gefolgt.

Thomas Sparr wiederum war während seiner Zeit an der Hebräischen Universität in Jerusalem nach einer Lesung des Dichters von diesem nach Hause eingeladen worden. Unvergesslich blieb ihm, mit welcher Wärme er, ein »Novize des Hebräischen«, damals empfangen wurde. Presser erinnerte, wie humorvoll und eindringlich Amichai archaische jüdische Motive mit einer – seiner – modernen Ausdrucksweise verband. Frieden sei nichts Sentimentales, der Anfang von Frieden bestünde darin, einander gegenseitig in Ruhe zu lassen. In der Vision von Wolf und Lamm, die nebeneinander überleben könnten, sei das entscheidende Wort »nebeneinander«.

Für Gal-Ed gehört Amichai zu einer Dichtergeneration, die Hebräisch als Ausdrucksmittel annahm, ihre Zerrissenheit sei jedoch existenziell geblieben. Aus Ludwig Pfeuffer, der 1935 aus Würzburg in Eretz Israel ankam, wurde 1948 Jehuda Amichai, was »Mein Volk lebt« bedeutet. Für Sparr wurde der Dichter zur poetischen Stimme Israels, übersetzt sogar ins Arabische.

Jehuda Amichai: »Offen – Verschlossen – Offen«. Gedichte. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 160 S., 25 €

Lesung

Ein zeitgenössisches Märchen

Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter stellte im Literaturhaus seinen neuen Roman »Stadt der Hunde« vor

von Luis Gruhler  16.06.2025

Urteil

Sicherungsverwahrung nach Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge

Der Mann hatte die Tat eingeräumt und von »Stimmen« berichtet, die ihn zu dem Brandanschlag aufgefordert hatten

von Jörg Nielsen  16.06.2025

Thüringen

Gebete im »Salon Goethe«

Rund 130 Menschen kamen zum Schabbaton der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin nach Weimar

 16.06.2025

Berlin

Unter die Haut

Der Künstler Gabriel Wolff malt, formt und tätowiert »jüdische Identität

von Alicia Rust  15.06.2025

Porträt der Woche

Zwischen den Welten

Ruth Peiser aus Berlin war Goldschmiedin, arbeitete bei einer Airline und jobbt nun in einer Boutique

von Gerhard Haase-Hindenberg  15.06.2025

Berlin

»Drastisch und unverhältnismäßig«

Die Jüdische Gemeinde erhöht die Gebühren ab September deutlich. Betroffene Eltern wehren sich mit einer Petition

von Christine Schmitt  12.06.2025

Hamburg

Kafka trifft auf die Realität in Tel Aviv

Ob Krimi, Drama oder Doku – die fünften Jüdischen Filmtage beleuchten hochaktuelle Themen

von Helmut Kuhn  12.06.2025

Weimar

Yiddish Summer blickt auf 25 Jahre Kulturvermittlung zurück

Zwischen dem 12. Juli und 17. August biete die internationale Sommerschule für jiddische Musik, Sprache und Kultur in Weimar diesmal insgesamt über 100 Programmbausteine an

von Matthias Thüsing  11.06.2025

Sachsen

Verdienstorden für Leipziger Küf Kaufmann

Seit vielen Jahren setze er sich für den interreligiösen Dialog und den interkulturellen Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein

 11.06.2025