Feiertage

Pessach per Post

Ding Dong, Ihr Pessachpaket: Wer nicht selbst in die Gemeinde kommen kann, bekommt Post. Foto: Thinkstock, Montage: Marco Limberg

Feiertage

Pessach per Post

Gemeindemitglieder erhalten Mazze, Wein oder Gurken – geschenkt oder zu reduzierten Preisen

von Christine Schmitt  19.03.2018 16:20 Uhr

Die Postleitzahlen machen den Unterschied, denn nach ihnen werden die Routen geplant, auf denen die Pessachpakete ausgeliefert werden: Denn mehr als 160 Menschen, die über 80 Jahre alt sind, bekommen Mazzot und Wein nach Hause geschickt – sofern sie nicht in der Lage sind, sie selbst abzuholen. Das gleiche Angebot gilt auch für Menschen mit Behinderung. »Wir müssen uns um die älteren Gemeindemitglieder kümmern«, sagt Alexander Mazo, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg.

Seit mehr als 13 Jahren übernimmt die Gemeinde die Kosten für zwei Packungen Mazze und eine Flasche Wein pro Person. Etwa 300 ältere Mitglieder nehmen das Angebot wahr. Grob geschätzt, kostet ein Paket 15 Euro.

»Das muss sein«, sagt Mazo. Es sei selbstverständlich, dass man hilft. »Wir wollen niemanden vergessen.« Und bei den Gemeindemitgliedern, die nicht mehr mobil sind, werden demnächst ehrenamtliche Helfer vor der Wohnungstür stehen und klingeln. Einige übernehmen die Besuche, andere sind Chauffeure. »Manchmal bekommen wir Dankesbriefe, einige kommen sogar persönlich vorbei, um sich zu bedanken«, erzählt Mazo.

Selbstkostenpreis Auch in Bielefeld wird an die älteren Gemeindemitglieder gedacht. »Jeder bekommt Mazze«, sagt Elena Egorov, Sozialarbeiterin in der Gemeinde. Wer mag, kann sich noch Saft, Wein und Kuchen oder Gefilte Fisch dazu bestellen, die zum Selbstkostenpreis angeboten werden. Die Älteren, die es nicht in die Synagoge schaffen, werden auch zu Hause beliefert. »Unsere Gemeinde hat weniger als 300 Mitglieder, und wir kennen uns alle.« Da dürfe keine Verbindung abreißen, nur weil einer zu schwach sei, um in die Gemeinde zu kommen.

Ehrenamtliche übernehmen auch in Bielefeld den Lieferservice. »Jeder besucht etwa fünf Familien, und andere helfen, indem sie als Fahrer bereitstehen.« Der Lieferservice endet selten an der Wohnungstür. Meistens werden die Besucher hereingebeten, um sich noch etwas zu unterhalten. »Da wird dann auch über die Familie, Krankheiten und das Leben gesprochen.« Und auch die älteren Leute im Krankenhaus oder im Seniorenheim werden zu Pessach besucht. In der Tasche haben die Besucher stets ein Päckchen Mazze.

geschenk »Die Alten und Kranken freuen sich über den Besuch«, sagt auch Verwaltungsleiterin Marina Ebel von der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund. Alle, die über 80 sind, bekommen ein Pessachgeschenk, meistens Mazze, Wein oder Kuchen. Mitglieder der Gruppe Bikur Cholim besuchen sie. Die meisten freuen sich gar nicht zuallererst über das Präsent, sondern vielmehr über die Aufmerksamkeit. Seit zehn Jahren gibt es Bikur Cholim.

Auch zu anderen Feiertagen besuchen die Gruppenmitglieder die etwa 200 Senioren, von denen einige noch zu Hause leben, viele allein sind oder in Alteneinrichtungen wohnen. »Aber für uns spielt das keine Rolle, wir denken an sie.«

»Dass wir Mazze kostenfrei weitergeben, können wir uns bei 2500 Mitgliedern nicht leisten«, sagt Eugenia Kreiner, Verwaltungsleiterin der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg. Aber sie verkaufen sie im koscheren Laden unter dem Einkaufswert, die Differenz bezahlt die Gemeinde. Und: Alle jüdischen Bewohner des Altersheimes – also rund 50 Personen – bekommen Mazze und eine Flasche Wein geschenkt.

freiwillige »Die Tonne Mazzemehl muss jeden Moment eintreffen.« Rabbiner Chaim Barkahn wartet bereits. Vor einiger Zeit hat der Düsseldorfer Rabbiner von Chabad Lubawitsch sie in Israel bestellt, und nun möchte er so schnell wie möglich das Mehl an die Gemeindemitglieder verteilen. Dabei helfen ihm Mitglieder, die sich ehrenamtlich für soziale Dienste einsetzen. Vor allem Senioren und Bedürftige mit entsprechendem Nachweis sollen bedacht werden und bekommen ein Kilo Mazze und eine Flasche Wein geschenkt.

Ebenso erhält jede Familie ein Kilo Mehl. Wer mehr benötigt, kann im koscheren Laden einkaufen. Finanziert wird diese Aktion über Spenden.

»Vor zwei Jahren hatten wir über eine Tonne Mehl in Israel bestellt, im vergangenen Jahr haben wir etwa 800 Kilo verbraucht«, erzählt der Rabbiner. »Es ist unsere Pflicht, andere zu unterstützen. Und am meisten sollte man sich um ältere Menschen kümmern.«

In Frankfurt erhalten nur die Senioren Pessachgeschenke, die auch auf Sozialhilfe angewiesen sind. Sie erhalten Gutscheine für zwei Kilo Mazze, Wein und Kuchen und können sich diese im koscheren Laden abholen. Jede Gemeinde hat eine eigene Tradition. Beispielsweise bietet die Jüdische Gemeinde zu Berlin seit Jahren Pessachpakete für ihre Mitglieder mit geringem Einkommen an. Mazze, Mehl, Wein und Kuchen wurden bisher meistens eingepackt. Wer nicht in die Gemeinde kommen kann, der schickt einen Angehörigen oder Freund. Dieser legt eine Vollmacht und den Ausweis vor. In der Vergangenheit wurden etwa 4000 Bedürftige versorgt.

Chabad Yehuda Teichtal, Rabbiner bei Chabad Lubawitsch Berlin, hat nach eigenen Angaben nun für 30.000 Euro Wein, Gurken, Mazza, Gefilte Fisch, Gemüse und Mazzemehl aus Israel geordert, um sie an sozial schwache Familien und ältere Juden zu verschenken.

Jedes Paket habe einen Wert von 30 Euro, sagt er. Im vergangenen Jahr nutzten 1000 Familien das Angebot. Ebenso fordert Teichtal jedes Jahr Interessierte auf, beim Verteilen zu helfen. Es sei eine uralte jüdische Tradition, Spenden an Fonds zu leisten, die dafür sorgen, dass auch wirklich jeder Mensch, der Not leidet, versorgt sei, sagt der Chabad-Rabbiner.

Schoko-Mazze »Jedes Gemeindemitglied, egal wie alt, erhält kostenlos ein Kilogramm Mehl, Kinder dürfen sich auch eine Packung Schoko-Mazze aussuchen«, berichtet Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle. Pessach-artikel, die die Gemeinde vorher bestellt hat, da es in Halle keinen koscheren Laden gibt, werden zum Einkaufspreis angeboten.

Ein junger Klassiker erfreut sich großer Beliebtheit: die Pessachpakete vom Zentralrat der Juden in Deutschland und der Zentralwohlfahrtsstelle. Hier haben Gemeindemit­glie­der zwischen 18 und 35 Jahren die Möglichkeit, Pessachpakete zum Selbstkostenpreis zu bestellen.

Mit acht Euro ist man beim Basispaket dabei, in dem sich Mazze, Mazzemehl, Kidduschwein, eine Dose israelische Salzgurken sowie eine Packung Osem-Mazzeball-Mix befinden. Wer sich eine Haggada dazu wünscht, kann sie für fünf Euro zusätzlich erstehen. Im vergangenen Jahr wurden 700 Pakete gepackt, in diesem wurden, wie der Zentralrat mitteilte, 1013 bestellt.

Und einige behalten diese Pakete nicht einmal für sich. »Viele jüngere Menschen bestellen sich das Paket und geben es an ihre Großeltern weiter«, wie ein Mitarbeiter einer jüdischen Gemeinde beobachtete.

Zusammenhalt

Kraft der Gemeinschaft

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern feierte das Fest der Freiheit im Geiste von Tradition und Herzlichkeit

von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman  03.05.2025

Porträt der Woche

Die Zeitzeugin

Assia Gorban überlebte die Schoa und berichtet heute an Schulen von ihrem Schicksal

von Christine Schmitt  03.05.2025

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  03.05.2025 Aktualisiert

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025

Berlin

Tage im Mai

Am Wochenende beginnt mit »Youth4Peace« ein Treffen von 80 jungen Erwachsenen aus 26 Ländern. Sie wollen über Frieden und Demokratie sprechen. Auch Gali und Yuval aus Israel sind dabei

von Katrin Richter  01.05.2025

Frankfurt

Zwischen den Generationen

2020 führten Jugendliche gemeinsam mit Überlebenden der Schoa ein »Zeitzeugentheater« auf. Nathaniel Knops Dokumentarfilm »Jetzt?« zeigt dessen Entstehung und feierte nun Premiere

von Eugen El  01.05.2025

Berlin

Für mehr Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025