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Interreligiöser Dialog: Wo sich jüdische und nichtjüdische Vertreter begegnen – eine Bestandsaufnahme

von Liva Haensel  28.03.2011 18:40 Uhr

Seit 2009 arbeitet ein Projekt daran, auch auf dem Tempelhofer Feld einen Ort der Begegnung der Religionen zu schaffen. Foto: Frank Albinus

Interreligiöser Dialog: Wo sich jüdische und nichtjüdische Vertreter begegnen – eine Bestandsaufnahme

von Liva Haensel  28.03.2011 18:40 Uhr

Montagabend, alle 14 Tage, macht sich Andreas Nachama, Rabbiner und Leiter der Stiftung Topografie des Terrors, auf in Richtung Martin-Niemöller-Haus in Berlin-Dahlem. Dort warten meist um die 15 Interessierte auf ihn – mit Pfarrerin Marion Gardei von der dortigen Evangelischen Kirchengemeinde.

Der »Theologische Arbeitskreis«, an dem jüdische und christliche Gemeindemitglieder teilnehmen, rückt gerade die Psalmen ins Rampenlicht. Der Jude und die Christin rezipieren aus ihrer Sicht denselben Text auf derselben Grundlage: der hebräischen Bibel. »Anschließend bei den Diskussionen gibt es manchmal ganz unterschiedliche Sichtweisen«, sagt Nachama.

Der Rabbiner beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit interreligiösen Fragen, auch in sehr praktischem Sinne: In den von seiner Gemeinde Sukkat Schalom am Hüttenweg genutzten Räumlichkeiten sind insgesamt fünf Konfessionen versammelt, die sich dort zu unterschiedlichen Zeiten treffen, darunter Katholiken, Baptisten und Protestanten. Vergangenes Jahr habe man gemeinsam mit den Protestanten im Pfarrgarten der St. Annenkirche das Feuer an Lag Baomer entzündet.

»Da der Feiertag dieses Jahr wieder auf einen Sonntag fällt, können wir das wiederholen«, sagt Nachama. Von einem Dialog der Religionen auf höchster Ebene hält er nicht allzu viel: »Der intelligentere Dialog ist der, der mit Nachhaltigkeit arbeitet.« Sprich: Begegnungsprojekte auf gemeindlicher Ebene, die überschaubar und zeitlich umsetzbar sind.

Personal Doch das ist leichter gesagt als getan. Die Jüdische Gemeinde hat derzeit laut eigener Auskunft 11.200 Mitglieder und vier Rabbiner. Die Zahlen stehen beispielsweise der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, der größten Religionsgemeinschaft Berlins, mit 672.000 Mitgliedern und rund 800 angestellten Pfarrern gegenüber. Um einen aktiven Dialog zwischen den Religionen zu führen, braucht man aber Personal.

»Wir haben dafür schlichtweg zu wenig Kapazitäten«, sagt die Gemeindevorsitzende Lala Süsskind. Dabei brauche Berlin »mehr als einen Dialog nur mit Christen«. Süsskind sagt, sie möchte sich mit Menschen verstehen, ein Dialog sei extrem wichtig. Allerdings müsse »halachisch alles in Ordnung sein«.

Rabbinerin Gesa Ederberg bedauert, dass sie bei einer 60-Stunden-Woche kaum dazu komme, Einladungen von interessierten Christen und Muslimen anzunehmen. Vergangenes Jahr gab Ederberg in der Ahmadiyya-Gemeinde in Pankow-Heinersdorf eine Einführung in das Judentum und ging danach noch auf die Person Moses ein – auf Wunsch der Muslime. Das sei eine tolle Veranstaltung gewesen.

Senat Keine Zeit also für Gespräche mit anderen Religionen? Der Berliner Senat möchte das ändern. Zu seiner Auftaktveranstaltung »Berliner Dialog der Religionen« fanden am 17. Januar immerhin knapp 300 Vertreter und Akteure von Religionsgemeinschaften und interreligiösen Projektinitiativen für ein paar Stunden ihren Weg ins Rote Rathaus, darunter auch vier Vertreter der Jüdischen Gemeinde. Das Ziel sei es, Kontakte und vor allem Kenntnisse über die Existenz der jeweils anderen auszuweiten, sagt Hartmut Rhein.

Der Senat wolle dafür den Raum geben »ohne zu steuern«. Rhein, Beauftragter für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften des Senats, beobachtete vor zwei Jahren, als er mit seiner Tätigkeit begann, dass in der Stadt zwar eine riesige Menge an kleineren Dialoggruppen existierte, diese sich aber untereinander oft nicht kannten. Jetzt gibt es eine Broschüre, in der 50 interreligiös aktive Gruppen erwähnt werden – »und das sind längst nicht alle in Berlin«.

Wie viele Dialogprojekte es tatsächlich in der Hauptstadt gibt, weiß niemand, es gibt keine verlässliche Zahl. Das liegt auch daran, dass viele nicht institutionalisiert sind. Ob sich muslimische und christliche Frauen in Moabiter Teestuben treffen oder wann der christlich-jüdische Shalom-Chor in Steglitz synagogale Musik einstudiert, erfahren Interessierte oft nur durch Mundpropaganda.

Projekt Der »Berliner Dialog« soll bis Jahresende noch einmal an drei Terminen stattfinden. Parallel dazu könnte sich in Tempelhof ein grünes Kleinod für Religionen ausbreiten. Dort arbeitet seit 2009 ein Projekt daran, den ehemaligen Flughafen, der vorläufig »Tempelhofer Freiheit« heißt, nicht nur städtebaulich zu entwickeln, sondern dabei auch religiösen und konfessionslosen Menschen weiten Raum für Begegnungen zu geben. Als Vorbild dient das »Multifaith Centre« im englischen Derby, sagt Martin Pallgen, der Kommunikationsleiter des Projekts.

In dem Architekturjuwel in Derby treffen sich Menschen unterschiedlichster Couleur, jeder darf kommen und reden, niemand hat die Macht. Ein Zentrum ohne Führung. Das soll nun auch in Berlin möglich sein, sagt Pallgen. Noch gebe es kein bauliches Konzept und auch keine Idee, wer das finanziere, aber die Begeisterung ist da. Vor allem hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das Projekt unter ihre Fittiche genommen, das Leitbild »Interreligiöser Dialog« ist eins von insgesamt sechs festgesetzten Leitbildern für die Nutzung des ehemaligen Flugfeldes.

Und es soll auch Konfessionslose ansprechen, sagt Pallgen, während er über die 270 Quadratmeter große Fläche spaziert, in deren östlichem Teil sich das denkmalgeschützte Flughafengebäude wie eine riesige graue Raupe durch die Landschaft zieht.

Monotheismus Auch die jüdische Gemeinde, nicht weit der Tempelhofer Freiheit mit ihrer Synagoge am Fraenkelufer vertreten, möchte neben benachbarten Katholiken sowie Hindus und Buddhisten mit dabei sein. Kürzlich lud sie daher zu einer Informationsveranstaltung in die Oranienburger Straße ein, zu der Vertreter der Kirchen und des Islam kamen. Doch die treffen sich nicht nur dort, sondern künftig auch andernorts in Berlin-Mitte. Es soll ein Begegnungshaus für die drei abrahamitischen Weltreligionen entstehen.

»Das steht Berlin gut zu Gesicht, jeder soll seine eigene Betstube haben«, sagt Lala Süsskind. Doch warum beschränkt sich der Dialog der Religionen oftmals nur auf Muslime, Juden und Christen? »Der Monotheismus kann eine Konfliktregion darstellen«, warnt der Theologe Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). Eißler befasst sich wissenschaftlich mit dem Islam und anderen nichtchristlichen Religionen sowie dem interreligiösen Dialog.

Dass das Begegnungshaus sich ausschließlich auf Islam, Judentum und Christentum konzentriere, findet er schade. »Durch die Kenntnis voneinander gewinnt man eine höhere Gelassenheit«, sagt er in Bezug auf Dialogprojekte.

Insgesamt hat Eißler beobachtet, dass das Interesse Andersgläubiger am Islam gestiegen ist, ohne allerdings eine solidarische Gemeinschaft mit ihm zu entwickeln. Gleichzeitig politisiere sich der Islam mit islamistischen Tendenzen. »Beides ist bedauerlich und führt zu Polarisierungen«, so Eißler. »Und wir stellen fest, dass unter jungen muslimischen Männern ein islamistischer Antisemitismus wächst.« Hier bestehe dringender Handlungsbedarf.

Das könnte die Aufgabe eines Sonderbeauftragten für interreligiösen Dialog sein, den sich Rabbinerin Ederberg so sehr wünscht. Mit ihm könnten jüdische Gemeindeglieder zukünftig über den »tief sitzenden Antizionismus« in arabischen Ländern, wie er auf der Startseite der Jüdischen Gemeinde genannt wird, diskutieren. Der Dialog werde durch den Nahostkonflikt beeinträchtigt, meint auch Rabbiner Adreas Nachama.

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