Porträt der Woche

»Noch klappt nicht alles«

Gal Ben Moshe möchte sein Restaurant zum besten in ganz Berlin machen

von Benjamin Moscovici  16.07.2013 09:38 Uhr

Will seinen Gästen ein kulinarisches Erlebnis bieten und etwas Neues vom Essen erzählen: Gal Ben Moshe (27) Foto: Stephan Pramme

Gal Ben Moshe möchte sein Restaurant zum besten in ganz Berlin machen

von Benjamin Moscovici  16.07.2013 09:38 Uhr

Ich will Geschichten erzählen. Dafür hätte ich Schriftsteller oder Künstler werden können, aber das Schicksal hat mich zum Koch gemacht. Mit 15 Jahren habe ich angefangen: als Fischputzer in einer stinkenden Fabrik. Kein besonders romantischer oder verheißungsvoller Berufseinstieg.

Erst später habe ich begonnen zu kochen, meine Leidenschaft entdeckt und angefangen, bei Spitzenköchen zu lernen. Dabei habe ich gesehen, dass ein Essen mehr als die Summe seiner Inhaltsstoffe ist. Ein gutes Essen ist ein Kunstwerk. Ich will meinen Gästen ein Erlebnis bieten, ihnen etwas Neues über Essen zeigen.

Alles, von den Tellern und dem Interieur des Restaurants, dem Personal und dem Ambiente, von der Küche bis zu den Toiletten gehört zu einem Konzept. Ich will etwas Besonderes machen und trotzdem das Essen selbst in den Mittelpunkt stellen. Ich will die äußeren Reize auf das reine Geschmackserlebnis reduzieren.

Warum mache ich mein Rührei morgens immer auf die gleiche Art und nie anders? Die Frage nach dem Warum ist für mich zentral. Im Leben wie beim Kochen. Ich glaube nicht an Talente. Fleiß und Neugierde sind die entscheidenden Zutaten zum Erfolg. Und diese Neugierde will ich auf meine Gäste übertragen. Wir haben keine Showküche, aber unsere Küche ist offen, sodass jeder, der zwischendurch mal auf Toilette muss, einen Blick hineinwerfen kann.

atmosphäre Ein Restaurant sollte für mich lebendig sein. Ich glaube, die Atmosphäre von einem Abendessen in meiner Familie hat mich inspiriert. Trotzdem ist meine Küche nicht koscher. Wir haben sogar samstags offen. Ich versuche, die Stimmung, die ich bei Familienessen immer geliebt habe, auch hier entstehen zu lassen.

In den meisten deutschen Gourmetrestaurants geht es ziemlich steif zu. Ich mag es etwas lockerer und will neben dem Kochen auch Zeit mit unseren Gästen verbringen, ihnen die Hintergründe und Zusammenhänge unserer Gerichte erklären und auf ihre Wünsche eingehen. Ich würde mich auch freuen, wenn sich mal jemand zum Essen zu uns in die Küche setzen würde. Jeder, der sehen will, wie wir sein Essen zubereiten, ist in der Küche herzlich willkommen.

Mit »GLASS«, meinem neuen Restaurant, verwirkliche ich mir einen Traum. Ich wollte schon seit Langem ein Restaurant in Berlin aufmachen. In der Stadt herrscht zurzeit ein extrem dynamischer Geist. Auch kulinarisch ist Berlin enorm vielseitig. Die Haute Cuisine mischt sich hier mit den verschiedensten internationalen Spezialitäten. Außerdem lebt inzwischen fast meine ganze Familie hier. Meine Mutter und mein großer Bruder sind schon vor Jahren nach Berlin gezogen.

Aufgaben Mein Tag beginnt morgens um acht Uhr. Nach dem Frühstück gehe ich ins Restaurant und nehme den Vormittag über die Lieferungen an. Um zwölf Uhr kommt die Küchenbelegschaft, um mit den Vorbereitungen anzufangen. Ich nehme mir dann etwa bis vier Uhr Zeit, um die administrativen Aufgaben zu erledigen, die ein Restaurant mit sich bringt. Bis sieben Uhr stehe ich dann mit den anderen in der Küche. Sobald die Gäste kommen, bin ich überall. Ich will, dass alles perfekt ist. Erst gegen Mitternacht fällt der Druck von uns. Bei diesem Rhythmus bleibt kaum Zeit für andere Dinge. Aber dieses Opfer bringe ich gern. Nur meinen Hund führe ich jeden Tag zweimal aus. Darauf achte ich.

Ich will, dass »GLASS« das beste Restaurant in Berlin wird. Vielleicht sogar in ganz Deutschland. So ein Ziel erfordert viel Kraft und Kreativität, aber vor allem Planung und Vorbereitung. Ein halbes Jahr habe ich nach dem perfekten Ort in der Stadt gesucht. Dann musste ich mein Team zusammenstellen. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe. Es geht dabei nicht nur um die Fachkompetenz der einzelnen Leute, sondern auch darum, aus den verschiedenen Qualitäten und Charakteren das Beste herauszuholen und sie zu einem Team zu formen. Unter Zeitdruck muss jeder Handgriff sitzen. Jeder muss wissen, was seine Aufgabe ist.

Unsere Küche ist wie ein Ring organisiert. Außen bereitet jeder die verschiedenen Zutaten eines Gerichts vor und stellt sie dann in die Mitte auf den zentralen Tisch. Dort werden die Zutaten zu einem Gericht kombiniert und auf den Tellern angerichtet. Das ist ein Zusammenspiel, das sekundengenau funktionieren muss.

Bevor wir in die Küche gegangen sind, haben wir uns wochenlang getroffen, um zu trainieren und Ideen auszuprobieren. Obwohl meine Mitarbeiter ganz verschiedener Herkunft sind, sind wir inzwischen durch unsere Arbeit zu einem eingespielten Team geworden. Trotzdem klappt noch nicht alles. Bis zur Perfektion ist es noch ein weiter Weg. Aber ich bin sicher, wir werden es schaffen. Obwohl manche von uns Hebräisch, andere Spanisch, Italienisch, Englisch oder Deutsch sprechen, verstehen wir uns immer. Denn letzten Endes sprechen wir alle dieselbe Sprache: Leidenschaft fürs Essen.

Fast Food Ich liebe gutes Essen. Aber das heißt nicht, dass ich kein normales Essen mehr genießen kann. Hin und wieder sind ein Döner oder eine Tiefkühlpizza etwas Herrliches. Selbst zu McDonald’s gehe ich manchmal. Essen muss nicht teuer oder besonders ausgefallen sein, damit es gut ist. In Jaffa gibt es ein kleines Hummus-Restaurant. Als ich noch in Israel lebte, habe ich fast jeden Tag da gegessen.

Hummus ist ein simples Gericht. Aber der, den man bei Abu Hassan bekommt, ist eine Reise wert. Die Eltern meiner Frau leben in Israel. Bevor sie uns neulich besuchen kamen, habe ich sie angefleht, mir drei Kilo Hummus von Abu Hassan mitzubringen. Nach der langen Reise war es zwar nicht mehr dasselbe, aber immer noch Weltklasse. Ich glaube, Abu Hassan vermisse ich mehr als alles andere in Israel.

Dafür, dass ich gerade mein eigenes Restaurant aufgemacht habe, bin ich mit 27 Jahren noch ziemlich jung. Aber ich glaube, hier geht es nicht um Alter, sondern um Reife, Entschlossenheit und Willen. Genauso war es auch, als meine Frau und ich vor zwei Jahren geheiratet haben. Der Rabbi meinte, wir seien das jüngste säkulare Paar, das er jemals getraut habe. Aber ich bin sicher, es war die richtige Entscheidung. Wozu soll man warten, wenn man sich in seiner Entscheidung sicher ist?

Obwohl ich nicht religiös bin, war es mir wichtig, eine richtige jüdische Hochzeit zu feiern. Es hatte etwas sehr Mystisches, am Morgen danach aufzuwachen und zu spüren, dass sich irgendetwas in mir über Nacht verändert hatte. Ich glaube, die Tänze und Gesänge, die Riten und Segnungen sind etwas sehr Mächtiges und Kraftvolles. Deshalb will ich auch, dass unsere Söhne irgendwann beschnitten werden und unsere Kinder später ihre Bar- oder Batmizwa haben.

kultur Meine Frau beschäftigt sich noch intensiver mit Religion. Gerade schreibt sie an ihrer Doktorarbeit über islamische Theologie. Ich glaube, es ist wichtig, all die vielen Parallelen zwischen Judentum und Islam nicht zu vergessen. Dabei ist es interessant, dass es Juden waren, die die moderne Islamwissenschaft begründet haben. Viele von ihnen haben versucht, über diesen Umweg ihrer eigenen Religion und Kultur näherzukommen. Ich glaube, jeder muss sich von seiner Religion so viel nehmen, wie ihm zu diesem Zeitpunkt angenehm ist. Denn das, was du mitnimmst, zählt.

Ich glaube, es gibt bestimmte Werte und Vorstellungen im Judentum, die nicht vergessen werden sollten. Man kommt ganz gut durchs Leben, wenn man sich konsequent an drei Gebote hält: Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, und du sollst Vater und Mutter ehren.

Die jüdische Philosophie begleitet mich auch beim Kochen. Ein Rabbiner hat mir irgendwann erzählt, dass das Fleisch von gequälten Tieren nicht koscher sei. Ich weiß nicht, ob das theologisch korrekt ist, aber ich denke, es entspricht zumindest dem Geist, der hinter den Speisevorschriften steht. Und es passt zu meiner Vorstellung von gutem Essen.

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