Hohe Feiertage

Nicht ohne meine Kinder

Betreuung statt Langweile: Viele Eltern wünschen sich Alternativen in der Gemeinde während der Festtags-Gottesdienste für ihren sich langweilenden Nachwuchs. Foto: Marco Limberg

Kinder in der Synagoge, da geht es oft etwas lauter und unruhiger zu. Besonders zu den Hohen Feiertagen. Denn dann nehmen viele Eltern gerne ihren Nachwuchs mit. Und das sorgt häufig nicht nur für einen erhöhten Lärmpegel, sondern manchmal auch für Stress statt Besinnlichkeit.

Es sei eine schwierige Situation, sagt Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky. »Wir wollen, dass so viele Kinder wie möglich in den Gottesdienst kommen, aber wir müssen auch darauf achten, dass der Gottesdienst nicht gestört wird«, erklärt der Düsseldorfer. Eine Gratwanderung. »Sollte ein Kind wirklich stören, können wir es nicht zurechtweisen oder aus der Synagoge schicken – denn es sind unsere Kinder! Die wollen wir nicht verprellen.«

Alter Der Rabbiner sieht deshalb die Eltern in der Pflicht, auch während des Gottesdienstes ein Auge auf die Kleinen zu haben. Das funktioniere, wenn die Kinder alt genug seien, schon recht gut. Im Alter von sechs Jahren könne man sie schon problemlos zum Gottesdienst mitnehmen, meint Vernikovsky. »Da kann sich zum Beispiel der Vater mit dem Sohn zusammensetzen, mit ihm beten oder wenigstens das Gebetsbuch durchblättern und erklären, was gerade passiert.«

Gar nicht gefällt dem Rabbiner, dass manche sich nicht kümmern und die Synagoge damit zum Spielplatz wird. »Ich habe das Gefühl, dass manche Eltern kein Problem damit haben, wenn sich ihre Kinder während des Gottesdienstes austoben. Sie bringen sie mit und lassen sie dann einfach herumlaufen. Dann ist das ein Problem«, erzählt der Rabbiner. Mitarbeiter der Gemeinde oder des Rabbinats stünden dann vor der schweren Aufgabe, für Ruhe zu sorgen, ohne Unmut bei den Eltern hervorzurufen.

Betreuung Für die Hohen Feiertage bietet die Düsseldorfer Gemeinde eine Kinderbetreuung während der Gottesdienste an. Das freut den Rabbiner, doch er wünscht sich mehr. »Es wäre schön, wenn man die Kinder nicht nur beaufsichtigen, sondern auch inhaltlich an den Gottesdienst heranführen würde. Sie sollen auf ihrem Niveau lernen, nur Babysitten finde ich nicht ideal.« Im Rahmen seiner Möglichkeiten würde er das auch immer wieder selbst versuchen, wenn Kinder in der Synagoge sind. »Ich gehe auf sie zu, bringe sie nach vorne, gebe ihnen Gebetsbücher und Informationen zum Gottesdienst.«

Problem In der Halacha, erklärt Rabbiner Vernikovsky, werde ausgeführt, dass man Kleinkinder gar nicht in die Synagoge mitnehmen solle. »Babys oder Kinder unter drei oder vier Jahren verstehen doch wirklich nicht, worum es geht.« Doch könne man das gar nicht so streng auslegen, denn da stünde man wieder vor dem grundsätzlichen Problem. »Wir müssen uns ja darum sorgen, dass die Kinder überhaupt in die Synagoge kommen.«

Die Heidelbergerin Tanja Behr kann sich noch gut daran erinnern, wie es ihr als Kind ergangen ist. »Ich fand es immer sehr gemütlich da«, sagt die 35-Jährige. Ihre Kinder nahm sie selbst sehr früh schon mit zu den Gottesdiensten, auch an den Hohen Feiertagen. »Ich hatte nie den Eindruck, dass sie stören. Aber nach einer gewissen Zeit machen sie natürlich Unsinn. Als mein mittlerer Sohn drei Jahre alt war, fing er zum Beispiel damit an, von der Frauenempore zusammengeknüllte Papiertaschentücher zu werfen«, erzählt die Mutter. Gezielt hat er dabei auf die Siddurim, was die Herren an den Gebetsbüchern »nicht so witzig fanden«, gibt sie zu. »Aber insgesamt hatte ich den Eindruck, dass man sich über die Kinder gefreut hat.«

Während der langen Gottesdienste könne man aber auch für ein bisschen Abwechslung sorgen, indem man mit den Kindern ins Jugendzentrum geht oder draußen spielt. Wenn das Schofar geblasen wird, geht es dann schnell wieder in die Synagoge. »Im Prinzip finde ich es wichtig, die Kinder mitzunehmen. Schon wegen der Musik«, betont Behr. »Die Melodien der Lieder prägen sich ein und werden den Kindern vertraut. Was sie dann später daraus machen, das ist eine andere Sache. Aber sie sollen sich heimisch fühlen in der Synagoge. Und das geht nur, wenn sie auch ab und zu da sind.«

Beteiligung Davon ist auch Judith Neuwald-Tasbach überzeugt. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen wurde, wie es in der Nachkriegsgeneration üblich gewesen sei, als Kind immer in die Synagoge mitgenommen. »Heute ist das nicht mehr so. Man denkt nicht daran, dass es etwas Großes im jüdischen Leben ist, von klein auf alles mitzuerleben.« Das müsse man den Eltern nun erst wieder vermitteln und deshalb so viele Kinder wie möglich in den Gottesdienst locken. »Ich war auch ein etwas lebhaftes Kind«, erzählt Judith Neuwald-Tasbach lachend. »Wenn es zu viel wurde, durfte ich raus, mein Vater hat dann immer genickt, und ich bin in den Vorraum gegangen, wo wir uns Geschichten erzählt oder Verstecken gespielt haben. Aber wenn ich zu lange draußen geblieben bin, gab es auch einen bösen Blick.«

Dass Kinder im Detail sicher nicht alles verstehen könnten, was während eines Gottesdienstes passiert, sei gar nicht schlimm. Allein schon durch die Atmosphäre, die gerade während der Hohen Feiertage in der Synagoge zu spüren sei, würde den Kindern vermittelt, worum es in der Religion geht. Ein wenig Respekt solle man diesem Ort schon entgegenbringen, doch mucksmäuschenstill müsse in der Synagoge niemand sein.

Im Alter von etwa zwei Jahren hat Julia Blüm ihre heute sechsjährige Tochter erstmals zum Gottesdienst mitgenommen. Das jüngere Kind ist nun auch zwei Jahre und war bereits in der Synagoge. An Purim oder Simchat Tora ist es für die Düsseldorferin selbstverständlich, ihre Kinder mitzunehmen. »Dann sind sie verkleidet, sie bekommen Süßigkeiten, sie können spielen und treffen auch ihre Erzieherinnen.« Und an Rosch Haschana sollen die Töchter von Julia Blüm unbedingt hören, wie das Schofar geblasen wird.

Entwicklung »Maximal zehn Minuten halten sie es aus, hören zu und gucken sich um«, sagt Blüm. »Interessanter ist für sie, was drum herum geschieht, wenn andere Kinder da sind und vor der Synagoge spielen. Letztes Jahr hat mich meine ältere Tochter gefragt, warum sie mitkommen muss, obwohl eine ihrer Freundinnen gar nicht da ist. Aber ich merke auch, dass die Kinder von Jahr zu Jahr länger in der Synagoge bleiben können.«

Julia Blüm versucht, an Rosch Haschana und Jom Kippur selbst auch an den längeren Gottesdiensten teilzunehmen. »Mit den Kindern muss man dann schauen, ob sie zu Hause bleiben können und jemand auf sie aufpasst, oder ob sie zu den Großeltern kommen.« Dass die Kleinen die Synagoge peu à peu kennenlernen, sei in den ersten Jahren schließlich schon ausreichend. »Sie beten ja auch ein bisschen. Aber wichtiger ist, dass sie sich an die Synagoge gewöhnen und damit etwas Positives verbinden.«

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