Ehrung

Mut und Mitgefühl

Übergabe der Urkunden im Roten Rathaus Foto: Rolf Walter

Die Mandelkerns konnten überleben. Henriette und Moritz hatten während der Schoa Glück, denn zwei Ehepaare aus Berlin und Brandenburg nahmen jeweils einen von ihnen auf. Dafür wurden Anna und Bruno Schwartze sowie Helene und Friedrich Hübner bereits 2018 posthum von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Va­shem als »Gerechte unter den Völkern« geehrt.

Nun wurden im Roten Rathaus in einer Feierstunde den Angehörigen die Medaillen und die Urkunden überreicht. Am Ende stellten sich alle 28 Verwandten der drei Familien – denn auch die Nachfahren von Mandelkerns waren gekommen – für ein Gruppenfoto auf. »Durch die Recherchen zu diesen Familien­geschichten sind auch wir zusammengewachsen«, sagt Daniel Mann-Segal, Neffe der Mandelkerns.

Pflicht Cornelia Ewald, Urenkeltochter der Schwartzes, berichtete, sie habe bis vor ein paar Jahren gar nichts davon gewusst, dass ihre Urgroßeltern Moritz Mandelkern in einer Dachkammer versteckt hatten. Sie sei nicht sicher, ob sich die beiden als Helden gesehen hätten. Gundela Suter, Enkeltochter der Hübners und selbst schon Urgroßmutter, ergänzte, ihr Großvater habe es schlicht als seine Pflicht empfunden, Menschen zu helfen. Er war sehr religiös. Auch ihre Großmutter sei immer hilfsbereit gewesen. Ihre Hoffnung sei, dass es nie wieder Rassendiskriminierung und Kriege gebe. »Leider sieht die gegenwärtige Lage ganz anders aus. Die Hoffnung bleibt aber bestehen.«

Als es in der Torstraße bei den Mandelkerns 1942 an die Tür hämmerte, öffnete das Paar nicht. Nazis wollten den Schneider und seine Frau Henriette abholen, wie zuvor schon ihren Sohn Siegfried, der 1939 mit gerade einmal 15 Jahren im KZ Sachsenhausen inhaftiert und 1940 nach Polen deportiert worden war. Wahrscheinlich wurde er in Auschwitz ermordet. Die Nachbarn der Mandelkerns, Anna und Bruno Schwartze, boten ihre Hilfe an, konnten aber nur eine Person aufnehmen. Das Paar entschied sich, dass Moritz in der winzigen Dachbodenkammer, ohne Heizung und Licht, versteckt werden sollte. Das Ehepaar Schwartze versorgte ihn 18 Monate lang mit Lebensmitteln.

Seine Frau Henriette konnte auf dem Bauernhof von Friedrich und Helene Hübner in Groß Schönebeck unterkommen. Gundela Suter erinnert sich, dass ihre Mutter berichtet hatte, dass Tante Henny schnell in den Stall gehen musste, wenn jemand kam. »Keiner wusste, wie lange es dauern würde«, sagte Sandra Witte von der Israelischen Botschaft. Als Berlin bombardiert wurde, musste Moritz im Versteck ausharren. Schließlich wurde auch dieses Haus getroffen, und er konnte gerade noch entkommen und seine Wunden unter falschem Namen im Krankenhaus behandeln lassen. Dann schlug er sich 1944 nach Groß Schönebeck zu seiner Frau durch. Dort blieben beide, bis sie am 25. April 1945 befreit wurden.

Urkunden Im Roten Rathaus überreichte der israelische Botschafter Ron Prosor die Yad-Vashem-Urkunden an Schwartzes Enkeltochter Anne-Margret Schmid sowie Hübners Enkelin Gundela Suter. Bürgermeisterin Bettina Jarasch (Grüne), die Berlins Senatschefin Franziska Giffey (SPD) vertrat, übergab die Medaillen. Sie nannte die Geehrten »Menschen, die der Grausamkeit der Nazis und der Gleichgültigkeit breiter Bevölkerungsschichten ihre Humanität, Hilfsbereitschaft und ihren Mut entgegengesetzt haben«. Sie sei für jeden dankbar, der Mut zum Widerstand im Nationalsozialismus aufgebracht habe.

»Indem wir dem Beispiel der mutigen Männer und Frauen folgen, machen wir die Welt zu einem besseren Ort. Das ist das Vermächtnis, das uns Bruno und Anne Schwartze und Friedrich und Helene Hübner hinterlassen haben«, so Ron Prosor. »Die Verleihung zeigt uns, dass es selbst in Berlin, wo auch mein Vater geboren wurde, Menschen gab, die für das Gute gekämpft und Menschlichkeit und Mitgefühl nicht vergessen haben.« Die Mandelkerns engagierten sich später in Deutschland in einem Vertriebenenlager und taten alles für den Sohn der Schwartzes, als dessen Eltern verstorben waren. Auch er hieß Bruno. Schließlich emigrierte das Paar nach Israel.

Seit 1963 werden mit der Ehrung »Gerechte unter den Völkern« Menschen bedacht, die in der Zeit des Holocaust Juden gerettet haben. 641 Personen aus Deutschland tragen diesen Titel.

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