Porträt der Woche

Mit Leib und Seele

Laura Goldfarb ist Schauspielerin und fand als Sexual- und Paartherapeutin eine neue Berufung

von Christine Schmitt  19.03.2023 07:56 Uhr

»Mit am wichtigsten ist mir meine Arbeit«: Laura Goldfarb (39) aus Berlin Foto: Chris Hartung

Laura Goldfarb ist Schauspielerin und fand als Sexual- und Paartherapeutin eine neue Berufung

von Christine Schmitt  19.03.2023 07:56 Uhr

Ich wusste nicht mehr, wer ich war. Meine geplanten 80 Vorstellungen fielen aus, die Theatervorhänge blieben unten – und ich hatte so viel Energie, die irgendwo hinwollte. Doch die Pandemie hatte mich im Griff. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mit Leib und Seele Schauspielerin und Regisseurin und stand vor Corona jedes Wochenende auf der Bühne. Nun musste ich überlegen, wohin ich meinen Schaffensdrang richten sollte.

Das Zwischenmenschliche hat mich in der Theaterarbeit immer besonders interessiert. Theater lebt von Emotionen und Authentizität. Die schönsten Momente finden nicht nur auf der Bühne statt, sondern auch nach den Vorstellungen, wenn man mit dem Publikum ins Gespräch kommt. Da entsteht ein ganz besonderer Austausch, der viel mehr als Small Talk ist.

kindheit Auch in meiner Kindheit gingen die Emotionen hin und her, bei jeder Mahlzeit wurde gelacht und geweint. Meine Eltern liebten sich innig und standen doch immer kurz vor der Trennung. So hat mein Weg mich fast zwangsläufig dazu geführt, Paartherapeutin zu werden. Ich frage mich oft, warum die Menschen zusammenbleiben und was eigentlich Liebe ist. Was können sie sich geben? Wie kann man einander tragen? Nun habe ich zusätzlich noch eine Ausbildung als Sexualtherapeutin begonnen. Diese neuen Tätigkeiten haben mir geholfen, ein zweites, erfülltes Berufsleben zu haben.

Bereits als Kinder waren meine Zwillingsschwester und ich häufig hinter der Bühne. Unsere Mutter war Tänzerin im Ensemble von Pina Bausch. Logisch, dass wir beide auch unbedingt Tänzerinnen werden wollten. An der Folkwang Universität der Künste in Essen haben wir Bühnentanz und Schauspiel studiert.

Die Profis in unserem Umfeld bemitleideten uns – sie wussten, dass eine harte Zeit auf uns zukam. Natürlich wurde es sehr anstrengend, aber es gab beim Tanzen Momente, da konnte ich alles um mich herum vergessen und ganz in der Bewegung und Musik aufgehen. Was gibt es Besseres? Das tägliche Training kann auch süchtig machen – und ich war es. Mein Körper hatte sich an die vielen Stunden Sport gewöhnt. Ich fühlte mich wie ein Tiger in einem Käfig, wenn ich nicht trainieren konnte.

Tanz Meine Schwester und ich waren zwei Jahre Teil einer internationalen Tanztruppe in Rotterdam, doch wir haben uns immer mehr dem Schauspiel zugewandt. Als Schauspielerin fand ich ein Engagement nach dem anderen. So spielte ich klassische Rollen im Zerbrochenen Krug, in Jedermann oder in Shakespeare-Aufführungen, zuletzt war ich in Kafkas Ein Käfig ging einen Vogel suchen am Deutschen Theater Berlin zu sehen.

Unsere eigenen Inszenierungen führten uns an zahlreiche Bühnen, wir haben beispielsweise die Dreigroschenoper in Trier, den Simplicissimus in Bamberg oder den Jedermann in Bad Gandersheim inszeniert. Stücke, die mein Mann Tobias Goldfarb geschrieben hat, haben wir gemeinsam inszeniert, mit eigenen Musikern, Bühnenbildnerinnen und Choreografen gearbeitet. Es war eine intensive und aufregende Zeit.

Das Tourneeleben konnte auf Dauer keine Option mehr sein.

Wir tourten mit unserer Tochter, die heute acht Jahre alt ist, dem gleichaltrigen Sohn meiner Schwester und einem Au-pair-Mädchen aus Brasilien durch ganz Deutschland. Wir erlebten aber auch, wie unterschiedlich die Prioritäten sind: Als meine Tochter bei einer Tournee krank wurde und mit einer Lungenentzündung auf die Intensivstation musste, verbrachten wir im Krankenhaus eine schlaflose Nacht neben ihrem Bett auf dem Boden.

tourneeleben Am nächsten Morgen ärgerte sich eine Schauspielerin bei der Probe maßlos über eine kleine Änderung im Text. Uns wurde klar, dass das Tourneeleben auf Dauer keine Option sein konnte. Von da an wurde Berlin unsere Basisstation. Und nur noch am Wochenende sollte es Verpflichtungen geben. Dafür wählten wir auch einen anderen Schwerpunkt, wir traten und treten als Kabarett- und Comedy-Duo »Die Goldfarb-Zwillinge« auf, was ich sehr liebe.

Als wir gerade begannen, richtig durchzustarten, kam Corona. Alles brach weg, mein Vater starb, und ich musste mich erst aus diesem Loch herausziehen. Letztlich hat es sich als Segen erwiesen, denn ich habe meine zweite Berufung gefunden – nun bin ich auch Paartherapeutin mit Leib und Seele.

Mit meiner Schwester stehe ich inzwischen auch wieder auf der Bühne. Unser ganzes Leben waren wir zusammen, wir wohnten in Prenzlauer Berg Tür an Tür, wir haben immer zusammengearbeitet und verstehen uns blind. Doch durch Corona hat sich auch ihr Leben umgekrempelt. Sie wird nun nach Essen zurückziehen und dort als Lehrerin an unserer alten Schule arbeiten. Auf der Bühne und emotional bleiben wir aber verbunden.

bauernhaus Das Haus meiner Eltern ist ein renoviertes Bauernhaus in einem Naturschutzgebiet, und ich bin damit aufgewachsen, dass unsere Tür immer offenstand. Meine Eltern feierten gern und oft. Zu den jüdischen Festen luden sie zig Menschen ein. Wir hatten nie viel Geld, aber was machte das schon? Alles war intensiv. Selbst das Putzen wurde genossen, meine Eltern hörten dabei mit offenen Fenstern Opern, bis die Nachbarn kamen und die Musik selbst leise gedreht haben.

Ich bin gern in der Natur, liebe das Theater, die Musik und gute Gespräche. Am wichtigsten ist mir allerdings die Arbeit, und ich frage mich, ob das vielleicht in der Geschichte meiner Familie liegt. Meine Bobe war die Tochter eines Rabbiners, mein Sede schuftete in Riwne, das heute in der Ukraine, damals aber in Polen lag und Rowne hieß, für Josef von Rowne, den reichsten Mann im Schtetl.

Meine Großeltern waren wie Romeo und Julia, sie wanderten wegen ihrer verbotenen Liebe aus, noch bevor die Wehrmacht Riwne überfiel und dort eines der größten Massaker unter der jüdischen Bevölkerung beging, die es je gegeben hat. Meine Großeltern wollten in die USA, landeten aber in Argentinien. Dort fingen sie bei null an, ohne die Sprache zu sprechen, ohne Geld.

pampa Mein Sede hat geschuftet wie zehn Männer, er ist über die Pampa geritten, hat wilde Pferde gezähmt, auf abgelegenen Haciendas Stoffe verkauft, schließlich das größte Busunternehmen von Buenos Aires gegründet und seinen Schwur wahr gemacht: reicher als Josef von Rowne zu werden. Die Kehrseite seines Fleißes war sein Geiz. Auch, als die Familie von bitterer Armut zu einem bescheidenen Reichtum gekommen war, war alles, was über das Nötigste hinausging, »kleinige Luxus« und somit verboten. Als Mädchen hatte meine Mutter kein eigenes Bett.

Meine Bobe war sehr einfühlsam, deswegen verschwieg ihr die Familie, dass all ihre Verwandten und Freunde in Europa von den Nazis umgebracht worden waren. Als sie es doch durch einen Brief erfuhr, erlitt sie einen Schock und verlor den Großteil ihres Gedächtnisses. Sie erholte sich nie von diesem Trauma und starb mit 60 Jahren.

Mit 18 ging meine Mutter nach New York, wo sie in die Künstlerszene eintauchte.

Meine Familie zog von Buenos Aires nach Mendoza, wo meine Mutter trotz aller Umstände eine glückliche Kindheit verbrachte. Mit 18 ging sie nach New York, wo sie in die Künstlerszene eintauchte. Durch Zufall sah sie das Tanztheaterstück Der grüne Tisch, und sie wusste, dass der Tanz ihre Bestimmung war. Gegen alle Widerstände schaffte sie es, mit einem Stipendium nach Deutschland zu gelangen und in das Tanzensemble von Pina Bausch zu kommen. Ihrer Familie verriet sie nicht, dass sie in das Land der Mörder gegangen war. Um Briefe zu schicken, fuhr sie über die Grenze und schickte Umschläge mit niederländischen Briefmarken. Als sie meinen Vater, einen nichtjüdischen Deutschen, kennenlernte, behauptete sie, er sei ein Findelkind, niemand wüsste, woher er stammte.

namensänderung Später sind mein Vater und die Familie meiner Mutter ein Herz und eine Seele geworden. Als ich geheiratet habe, wollte ich, dass der Name meiner jüdischen Mutter weitergeführt wird. Also habe ich meinen Nachnamen offiziell ändern lassen, was ein ganz schöner Akt ist. Mein Mann hat meinen Nachnamen angenommen – und meine Zwillingsschwester ebenfalls. Ich weiß, dass mein Vater, der die Familie geliebt hat, sich darüber gefreut hätte.

In langen Interviews mit meiner Mutter habe ich die Geschichte meiner Familie erforscht und ein Genogramm erstellt. Ich denke in letzter Zeit viel darüber nach, wie sehr das Schicksal einer Familie das eigene Leben bestimmt, wie sehr die große Weltgeschichte und das ganz Private miteinander verwoben sind. Vielleicht stammt auch eine gewisse Melancholie, die ich in mir habe, von meiner Familie. Auf jeden Fall sind wir alle sehr emotional. Wir lachen und weinen viel, wir reden, wir tanzen, wir grübeln, oft alles zugleich. Vielleicht ist das das Jüdische, das Polnisch-Ukrainische oder das Argentinische in mir. Wahrscheinlich alles zugleich.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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