Besuch

Mit 86 im Klassenzimmer

Wanderte mit 18 Jahren nach Australien aus: Beate Hammett Foto: Benyamin Reich

Besuch

Mit 86 im Klassenzimmer

Beate Hammett, die Tochter des Architekten Alexander Beer, zu Gast in Berlin

von Irmgard Berner  30.04.2012 15:52 Uhr

Ihre Augen strahlen, als sie das frisch renovierte Foyer der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule in der Auguststraße betritt: »Mein Vater hatte ein besonderes Gespür für junge Menschen«, sagt Beate Hammett. Die kleine zierliche Dame ist die einzige Tochter von Alexander Beer, dem Erbauer der ehemaligen Schule, die nun ein Kulturzentrum ist. »Nur schade, dass der Fahrstuhl nicht mehr da ist, ich bin als Kind so gerne damit gefahren.«

Noch etwas aufgeregt und umringt von Freunden und Vertretern der jüdischen Gemeinde, strahlt sie erleichtert. Denn kurz zuvor hatte die ältere Frau, elegant gekleidet im weißen Blazer und einem schwarzen Rollkragenpulli, vor dem Eingangstor eine berührende Rede gehalten. Mit leicht bebender Stimme hat sie ihrem Vater Alexander, dem Gemeinde-Baumeister, der 1944 in Theresienstadt ums Leben kam, zur Einweihung seiner Gedenktafel ihr ganz persönliches Denkmal gesetzt.

»Ich bin überwältigt«, fügt sie hinzu, »mit welch großem Interesse ich hier aufgenommen werde.« Im australischen Sydney, wo sie seit ihrem 18. Lebensjahr lebt, würde sich keiner für sie interessieren. Aber die Menschen hier gingen sensibler mit der jüdischen Vergangenheit um.

Kindertransport Als Beate Beer wurde sie 1929 in Berlin geboren. Gerade noch vor Kriegsausbruch schickten ihre Eltern sie Ende 1939 auf den vorletzten Kindertransport Richtung England. Das hat ihr wohl das Leben gerettet. »Genau an Hitlers Geburtstag war ich auf dem Schiff über den Ärmelkanal«, erinnert sie sich. Berlin wollte sie eigentlich nicht mehr wiedersehen.

Aber 1997 entschloss sie sich doch – auf Einladung des Berliner Senats –, mit dem Besucherprogramm für entkommene jüdische Bürger ihre Geburtsstadt zu besuchen. Betreut hat sie damals die ehrenamtliche Mitarbeiterin Erika Falkenreck. Bis heute verbindet die beiden eine herzliche Freundschaft, zudem hat sich die Berlinerin sehr für die Gedenktafel eingesetzt.

»Das Einzige, was ich sofort wiedererkannte, waren die großen würfelförmigen Uhren in den Straßen«, lacht Beate Hammett. Das elegante Teehaus am Zoologischen Garten, das sie samstags immer mit ihrem Vater besuchte, war einem Fastfoodlokal gewichen. »Mein Vater wäre entsetzt gewesen ob des vielen Plastiks dort.«

Beate Hammett wuchs behütet in einem wohlhabenden Haushalt auf, im Blumeshof 15, nahe dem Landwehrkanal in Tiergarten, in einem Gebäude, das der Jüdischen Gemeinde gehörte und später völlig ausgelöscht wurde. Sie zeigt ein Foto, auf dem Alexander Beer, gut gekleidet, froh und zuversichtlich in die Kamera blickt: »Er ist auf Ferien in Südtirol. Es wurde kurz vor meiner Geburt im Mai 1929 aufgenommen. Ich war ein spätes Kind. Ein Wunder, denn mein Vater war bereits Mitte 50, meine Mutter 20 Jahre jünger. Sie liebte es, alle Feste zu feiern, die da waren.«

Aroma Trotz der guten Stellung Alexander Beers in der jüdischen Gemeinde führte die Familie kein besonders jüdisches Leben. »Wir hatten keine Mesusa, die Schriftkapsel am Türpfosten, und ab und an roch man schon mal das köstliche Aroma von Schinken und Wurst«, erinnert sich Hammett. Dennoch war es ihrem Vater wichtig, sich zum Schabbat in der Synagoge zu zeigen: »Besonders in dem prächtigen Bethaus in der Prinzregentenstraße, die er als die Krönung seiner baulichen Errungenschaften betrachtete.«

Umso schrecklicher war es, als diese am 9. November 1938 in der sogenanntenReichskristallnacht angezündet und komplett zerstört wurde. »Ich sah am nächsten Morgen die Rauchschwaden aus ihren Ruinen aufsteigen.« Und noch demütigender war, dass ihr Vater gezwungen wurde, die Trümmer mit wegzuräumen.

Dieses einschneidende Ereignis bewog ihre inzwischen an Krebs erkrankte Mutter dazu, die kleine Beate außer Landes zu schicken. Sie nahm Kontakt zu einer englischen, christlichen Pflegefamilie auf und stimmte sogar einer Taufe zu, was Vater und Tochter schockierte. »Dazu kam es aber nie.«

Friedrichstrasse »Wie die meisten Kindertransportkinder erwartete ich eine aufregende Abenteuerfahrt und dachte, Weihnachten wäre ich wieder zu Hause.« Ihre Mutter brachte sie zum Bahnhof Friedrichstraße. »Ich verstand nie, warum mein Vater nicht da war. Ich hatte Schwierigkeiten, in den Waggon zu steigen, weil ich zu klein war für die hohen Stufen.« Ihre Mutter half ihr, obwohl dies strengstens untersagt war. Und da erblickte sie auch ihren Vater in der Menge. Tränen standen in den Augen der Mutter. Es war das letzte Mal, dass sie ihre Eltern sah.

Hammetts neues Leben in England bescherte ihr einen Kulturschock und drei Brüder. »Meine Ziehmutter war überaus streng, ich hatte sogar Angst vor ihr«, erzählt sie. »Heute bewundere ich sie sehr. Kaum jemand versteht mehr, welche Risiken sie auf sich aufbürdete, ein jüdisches Mädchen aufzunehmen.« Der Briefkontakt zu ihren Eltern schlief nach und nach ein. »Wir wuchsen auf schmerzhafte Weise auseinander. Ich wurde immer britischer.« Kurz nach dem Krieg erfuhr sie vom Tod der Eltern. Ihre Mutter war 1941 an Krebs gestorben. Ihr Vater wurde 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet.

Mit 18 wanderte der lebensfrohe Teenager nach Australien aus. Auch diesen Kulturschock bewältigte sie. 1962 heiratete sie, bekam zwei Kinder und schwärmt: »Ich würde nicht mal dran denken, woanders zu leben!« Die verspätete Ehre für ihren Vater war Beate Hammett so wichtig, dass sie kurz nach einer Operation diese lange Reise unternommen hat. Damit kann sie nun ein Kapitel aus ihrem Leben abschließen.

Gedenken

Neues Denkmal für jüdische Häftlinge in Gedenkstätte Ravensbrück

Etwa 20.000 Jüdinnen und Juden sind im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg inhaftiert gewesen. Die heutige Gedenkstätte hat nun ein neues Denkmal enthüllt - im Beisein von Überlebenden

von Daniel Zander  06.11.2025

Ehrung

»Wir Nichtjuden sind in der Pflicht«

Am Mittwochabend wurde Karoline Preisler mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

 06.11.2025 Aktualisiert

Reaktionen

Zohran Mamdanis Sieg spaltet die jüdische Gemeinschaft

Während ein Drittel der New Yorker Juden den neuen Bürgermeister gewählt hat, haben andere Angst, dass dessen Antizionismus ihre Sicherheit gefährdet

 06.11.2025

Hamburg

Viel mehr als Klezmer

In der Hansestadt haben die zweiten Jüdischen Kulturtage begonnen. Bis Mitte Dezember erwartet die Besucher ein breit gefächertes Programm – inklusive einer jiddisch-hebräischen Oper

von Heike Linde-Lembke  06.11.2025

Düsseldorf

»Eine Stimme, wo andere schwiegen«

Die Gemeinde zeichnet Wolfgang Rolshoven mit der Josef-Neuberger-Medaille aus

von Stefan Laurin  06.11.2025

Berlin

Andacht für Margot Friedländer: »Du lebst weiter«

Sie war Holocaustüberlebende, Berliner Ehrenbürgerin und eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Gestern wäre Margot Friedländer 104 Jahre alt geworden. An ihrem Grab erinnern Freunde und Bekannte an sie

von Andreas Heimann  06.11.2025

Laudatio

»Wie hält man so etwas aus?«

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hielt die Laudatio auf Karoline Preisler anlässlich der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises in Berlin. Eine Dokumentation

von Julia Klöckner  05.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Berlin

Davidstern-Gemälde an East Side Gallery beschmiert

Der Tatverdächtige konnte gefasst werden. Bei der Begehung seines Wohnhauses fand die Polizei mehrere Hakenkreuze

 05.11.2025