Als Erster kam Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) auf die Idee, traumatisierte Kinder aus dem Gazastreifen und Israel aufzunehmen, die besonders schutzbedürftig sind. Unterstützung fand Onay bei Yazid Shammout, dem Vorsitzenden der palästinensischen Gemeinde Hannovers, Michael Fürst, dem Präsidenten des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, sowie dem Antisemitismusbeauftragten der rot-grünen niedersächsischen Landesregierung, Gerhard Wegner. Auch Düsseldorf, Bonn, Leipzig und Kiel haben mittlerweile signalisiert, sich anschließen zu wollen.
Onay erklärte auf einer Pressekonferenz, seine Stadt könne in einem ersten Schritt rund 20 Kinder, die dringend psychologische oder medizinische Hilfe benötigten, aufnehmen. Das Dezernat für Jugend, Kinder und Familien treffe dazu die entsprechenden Vorbereitungen. Er bat die Bundesregierung, diese Art der Hilfe zu ermöglichen, und forderte andere deutsche Städte auf, dem Beispiel der niedersächsischen Landeshauptstadt zu folgen.
»Wir stehen am Beginn einer Aktion, nicht an ihrem Ende«
Michael Fürst, Präsident des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden, unterstützt das Vorhaben des hannoverischen Oberbürgermeisters. Die ausdrückliche Voraussetzung sei, sagt Fürst, dass es nicht nur um Kinder aus dem Gazastreifen gehe, sondern auch um Kinder aus Israel, die einer Behandlung oder einer Unterstützung bedürfen. Für ihn ist es ein mittelfristig angelegtes Projekt, das ordentlich vorbereitet werden muss: »Wir stehen am Beginn einer Aktion, nicht an ihrem Ende. Wir wissen noch gar nicht, welche Voraussetzungen die Kinder mit sich bringen müssen, und kennen die Ausreisemöglichkeiten noch nicht, aber irgendwo muss man anfangen.«
Natürlich gebe es viele Probleme; eines könnte sein, dass die Hamas bei der Auswahl der Kinder mitreden will. »Wenn ich etwas verhindern will, muss ich so denken. Ich will aber nichts verhindern, ich will etwas erreichen. Und erreichen kann ich es nur mit gutem Willen«, so Fürst.
In Bonn will Onays Parteifreundin, die Oberbürgermeisterin Katja Dörner, seinem Beispiel folgen, und in Düsseldorf, der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens, griff Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) die Idee Onays auf. Gemeinsam mit Fabian Zachel (SPD) und Bürgermeisterin Clara Gerlach (Grüne) erklärte Keller die Bereitschaft, dass Düsseldorf so wie Hannover 20 Kinder aufnehmen werde – auch mehr seien möglich. Es habe bereits erste Gespräche mit der Jüdischen Gemeinde und dem Kreis der Düsseldorfer Muslime gegeben.
Bedenken zu dem Vorhaben
»Ja, die Stadt Düsseldorf hat bei der Gemeinde angerufen und mit dem Verwaltungsdirektor über ihren Plan, Kinder aus Gaza und Israel einzuladen, gesprochen und gefragt, was wir davon halten«, sagt Oded Horowitz, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Die Gemeinde habe dann ihre Bedenken zu dem Vorhaben geäußert. »Das hört sich natürlich toll an, ist aber schwer umzusetzen.«
Neben den Kindern müssten auch Begleitpersonen mitreisen.
Viele Fragen seien offen, wie beispielsweise die, ob die Kinder allein kommen, mit ihren Eltern oder mit Therapeuten. Welche Kinder kommen überhaupt? Kinder, die die Hilfe am nötigsten haben, auch Kinder von Hamas-Funktionären? Wer wählt sie aus? Vieles müsse geklärt werden, und die Idee klang für die Gemeinde mehr wie Aktionismus denn wie ein richtiger Plan. Die Stadt habe dann kurz darauf der Jüdischen Gemeinde mitgeteilt, dass sie den Plan umsetzen werde. »Wir halten das für keine gute Idee«, sagt Horowitz. »Ich kann das nicht verantworten.«
Die Düsseldorfer Gemeinde hat nach dem 7. Oktober 2023 eine Jugendgruppe und eine Fußballmannschaft aus Israel zu Besuch gehabt. »Wir haben uns um sie gekümmert, aber sie wurden nicht in Deutschland therapiert.« Was die Städte vorhätten, brauche eine längere Planung.
Horowitz weiß, wovon er spricht. Nachdem im Sommer 2024 eine Rakete der Hisbollah auf einem Fußballplatz auf den Golanhöhen elf Menschen getötet hatte, wollten er und seine Frau drusische Kinder nach Deutschland holen. »Wir haben mit Peter Maffay gesprochen, der zwei Zentren für traumatisierte Kinder betreibt und im vergangenen Jahr Laudator für Armin Laschet war, als dieser von der Gemeinde mit der Josef-Neuberger-Medaille ausgezeichnet wurde.«
Peter Maffay will den Kindern in einem seiner Zentren helfen
Der Sänger habe sofort zugesagt. »Er wird den Kindern in einem seiner Zentren helfen. Aber damit das seriös vorbereitet wird und sichergestellt werden kann, dass die Kinder tatsächlich die professionelle Unterstützung bekommen, die sie brauchen, werden sie erst in einem Jahr nach Deutschland kommen können.« Der Tatendrang sei so groß, dass kritische Aspekte ausgeblendet würden. »Wir haben bald Kommunalwahlen in NRW. Der Vorschlag mag jetzt gut klingen, aber erst lange nach der Wahl wird klar sein, ob er sich auch umsetzen lässt.«
Nicht nur das Bundesinnenministerium hat zurückhaltend auf die Ankündigung der Städte reagiert, Kinder aus dem Gazastreifen und Israel aufnehmen zu wollen. Auch Claudia Peppmüller vom Friedensdorf International, das schon häufig verletzte oder kranke Kinder aus Kriegsgebieten zur medizinischen Versorgung nach Deutschland geholt hat, ist skeptisch. Peppmüller sagte dem WDR, die Aufnahme von Kindern aus dem Gazastreifen sei grundsätzlich möglich, doch die Umsetzung werfe schwierige Fragen auf: »Es muss klar sein, welche Kinder überhaupt kommen sollen – und ob es vor Ort verlässliche Partner gibt, die eine solche Aktion koordinieren können.«
Neben den Kindern müssten auch Begleitpersonen mitreisen, was zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringe. »Wer übernimmt hier die Verantwortung für diese Menschen?«, fragt Peppmüller. Organisationen wie das Friedensdorf seien verpflichtet, sogenannte Garantieerklärungen zu unterzeichnen. Diese beinhalten nicht nur die Zusicherung der Versorgung, sondern auch die Gewährleistung der späteren Rückreise. »Das Ausreiseland muss zustimmen, dass die Kinder auch wieder zurückkehren dürfen.« Und im »Ausreiseland Gaza« regiert mit der Hamas eine Terrororganisation, mit der die Bundesregierung über solche Fragen Einvernehmen erzielen müsste.