Jubiläum

Mehr als Einwanderung

Jakob Horowitz war 16, als er ins damalige Palästina kam. Der polnische Jude hatte die Schoa überlebt und war nun Teil der ersten Gruppe Minderjähriger, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs legal in das Gebiet einreisen durfte, auf dem zwei Jahre später der Staat Israel entstehen sollte.

»Wer hätte meinen Vater aufnehmen können, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht schon die Kinder- und Jugend-Aliyah gegeben hätte?«, fragt Pava Raibstein, die seit über 25 Jahren als Geschäftsführerin des Deutschen Komitees der Kinder- und Jugend-Aliyah die Arbeit des Hilfswerks unterstützt. Dieses wurde vor 90 Jahren, am 30. Januar 1933, dem Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten, ins Leben gerufen, um jüdische Heranwachsende vor der Verfolgung zu retten – und hat in den Jahrzehnten danach immer wieder neue Aufgaben gefunden.

Kibbuz Schon 1932 ahnte die Berlinerin Recha Freier, dass es für Jüdinnen und Juden in Deutschland bald keine Zukunft mehr geben könnte. Vor allem für die Kinder, dachte sich die Frau eines Rabbiners, müsse schnell ein Weg gefunden werden, sie ins sichere Palästina zu bringen, das damals unter Verwaltung der Briten stand.

Daher gründete Freier die Kinder- und Jugend-Aliyah, über die bereits im Februar 1934 die ersten jungen Juden in den Kibbuz Ein Harod gebracht werden konnten. Vor und während des Krieges konnte so vielen Tausend Kindern das Leben gerettet werden. Dabei brach Freier, die sich 1940 selbst nach Palästina retten konnte, wenn nötig auch Gesetze.

Die Organisation ist heute ein bedeutendes Kinderhilfswerk in Israel.

Nach der Niederlage der Nazis brachte die Jugend-Aliyah schließlich zahlreiche verwaiste und traumatisierte Kinder nach Palästina, damit sie sich am Aufbau eines jüdischen Staates beteiligen und eine neue Heimat finden konnten. Darunter war zum Beispiel der spätere Oberrabbiner Israels, Meir Lau, und natürlich der junge Jakob Horowitz.

»Ich bin unglaublich beeindruckt von dem, was diese praktische und tüchtige Rabbinerfrau aufgebaut hat«, erzählt heute seine Tochter, die sowohl in Deutschland als auch in Israel aufgewachsen ist. »Sie hatte ja nicht ahnen können, dass sie den Grundstein für so etwas Großes gelegt hat.«

staatsgründung Auch nach der Staatsgründung Israels 1948 und der Übernahme aller Fragen rund um die Einwanderung durch die Jewish Agency for Israel kam der Jugend-Aliyah eine wichtige Rolle zu: die Betreuung und Beschulung von Kindern und Jugendlichen in schwierigen Situationen.

Oft waren und sind das Neueinwanderer, wie in der Vergangenheit etwa aus den nordafrikanischen Ländern oder aus Äthiopien und heute erneut aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, vor allem der Ukraine. Zu den Schützlingen der Organisation zählten nach und nach jedoch nicht mehr nur die Olim, sondern alle israelischen Heranwachsenden, die nicht in ihren eigenen Familien aufwachsen können.

Heute ist die Kinder- und Jugend-Aliyah ein bedeutendes Hilfswerk, das nach eigenen Angaben 22.000 Minderjährige in 216 Einrichtungen, darunter mehrere Jugenddörfer mit jeweils mehreren Hundert Bewohnern, beherbergt und ausbildet.

Austausch In Deutschland wurde 1952 das Deutsche Komitee der Kinder- und Jugend-Aliyah gegründet. »Wir ergänzen, unterstützen und bereichern die Arbeit der Organisation«, beschreibt Geschäftsführerin Raibstein die Aufgaben des Komitees, das ein eigenständiger gemeinnütziger Verein ist. In Israel fördert es Bildungs- und Freizeitprogramme der Jugenddörfer oder unterstützt diese bei Neuanschaffungen und Renovierungen.

»Durch unsere Arbeit entstehen sehr viele Kontakte«

Pava Raibstein, Geschäftsführerin des Deutschen Komitees der Kinder- und Jugend-Aliyah

Ein weiteres seiner Kernanliegen ist der deutsch-israelische Jugendaustausch. »Durch unsere Arbeit entstehen sehr viele Kontakte«, berichtet Raibstein. »Viele Deutsche haben noch nie zuvor einen Juden, geschweige denn einen Israeli gesehen.«

Das Komitee organisiert eine ganze Reihe an Begegnungsprojekten. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Im vergangenen Jahr lernten in Kiel deutsche Schüler zusammen mit Jugendlichen aus Ramat Hadassah rudern und segeln, und 2018 kamen beduinische Mädchen aus einem weiteren Jugenddorf nach Frankfurt am Main, um an einer Projektwoche zum Thema »Girls’ Empowerment« teilzunehmen.

Ein weiteres Projekt des Komitees sind die zahlreichen Kooperationen, die es zwischen den Einrichtungen der Jugend-Aliyah und verschiedenen beruflichen Ausbildern aus Deutschland vermittelt hat. Regelmäßig besuchen junge Israelis deutsche Betriebe, etwa im Bereich Elektro- oder Kfz-Technik. »Die deutsche Berufsausbildung hat weltweit einen guten Ruf«, meint Raibstein. In Israel werde dagegen das Praktische in der Bildung vernachlässigt. »Wenn die israelischen Jugendlichen hierherkommen, sehen sie Schüler, die stolz sind, ihren Beruf zu lernen.«

Jubiläum Für das 90-jährige Gründungsjubiläum der Kinder- und Jugend-Aliyah, das in diesem Jahr begangen wird, hat das Deutsche Komitee einiges vor: Ein Symposium in der Jüdischen Akademie in Frankfurt am Main ist ebenso geplant wie eine deutsch-israelische Fahrradtour durch beide Länder sowie ein gemeinsames Konzert der jungen Orchester der Bayerischen Philharmonie und der Kinder- und Jugend-Aliyah.

Raibstein glaubt, dass solche Begegnungen viel bewegen, »was Politiker von oben nicht erreichen können«. Sie blickt mit Stolz und Faszination auf die lange und bewegte Geschichte der Kinder- und Jugend-Aliyah. Diese Organisation mit ihrer Arbeit unterstützen zu können, erachte sie als Privileg.

Mehr Informationen unter www.kiju-aliyah.de

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  03.07.2025

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert

Interview

Das hilft wirklich gegen zu viel Hitze und Sonne

Yael Adler über die Frage, wie wir uns am besten schützen können und was wir im Sommer von den Israelis lernen können

von Philipp Peyman Engel  02.07.2025 Aktualisiert

Bayern

Als Rassist und Antisemit im Polizeidienst? Möglich ist es …

Der Verwaltungsgerichtshof München hat geurteilt, dass Beamte sich im privaten Rahmen verfassungsfeindlich äußern dürfen, ohne deswegen mit Konsequenzen rechnen zu müssen

von Michael Thaidigsmann  01.07.2025

München

Gedenken in schwerer Zeit

Die Stadt erinnerte an jüdische Opfer des NS-Regimes. Die Angehörigen aus Israel konnten wegen des Krieges nicht anreisen

von Luis Gruhler  01.07.2025