Jubiläum

Masal tow, Saarbrigge!

Den Corona-Schutzregeln entsprechend sind es nur wenige Menschen, die sich am vergangenen Sonntagmittag zum Festgottesdienst anlässlich des 75. Jahrestages der Gründung der Synagogengemeinde Saar versammeln können. Dennoch, live dabei sein konnten dank der Übertragung des Gottesdienstes im Saarländischen Rundfunk (SR) viele Menschen.

Schon die erste Synagoge in Saarbrücken war der ganze Stolz der jüdischen Saarländer gewesen. Erbaut wurde sie nach Plänen des Saarbrücker Architekten Friedrich Mertz, als Vorbild sollen unter anderem die Große Synagoge in Florenz sowie die Neue Synagoge in Berlin gedient haben.

»Die erste nach dem Krieg erbaute Synagoge in der Bundesrepublik.«

Ricarda Kunger

Während der deutschlandweiten Pogrome am 9. November 1938 wurde die Saarbrücker Synagoge zunächst verwüstet und anschließend in Brand gesteckt. Jüdische Männer, die von SS-Leuten aus ihren Wohnungen geholt worden waren, wurden gezwungen, vor dem Gebäude zu tanzen und hebräische Lieder zu singen. Einen Tag später wurden die meisten von ihnen ins Konzentrationslager Dachau gebracht.

Die Saarbrücker Synagoge, auf die die Saarbrücker Juden so stolz gewesen waren, brannte völlig nieder, die Feuerwehr der Stadt verhinderte lediglich, dass das Feuer auf die umliegenden Gebäude übergriff.

Neugründung Am 2. Juni 1946 wurde die jüdische Kultusgemeinde von zurückkehrenden Juden neu gegründet. »Wer baut, will bleiben«, sagt die Gemeindevorsitzende Ricarda Kunger in ihrer Rede beim Festgottesdienst.

Nur fünf Jahre später konnte die Synagoge, in der dieser Festakt stattfindet, eingeweiht werden. Nachempfunden war sie dem im November 1938 zerstörten Gebäude. »Und sie war die erste nach dem Krieg erbaute Synagoge in der Bundesrepublik«, erklärt Kunger. »Nicht nur das religiöse, sondern auch das gesellschaftliche Leben fand in der Gemeinde statt.«

Die zurückgekehrten Juden hatten Grauenvolles erlebt, entsprechend seien sie zunächst vorsichtig und zurückhaltend im Umgang mit ihren nichtjüdischen Nachbarn gewesen. »Man wollte lieber wachsam bleiben, denn man wusste schließlich nicht, ob ein Gesprächspartner nicht vielleicht ein Mittäter der Naziverbrechen oder ein aktiver NS-Anhänger war«, beschreibt Kunger die Haltung der Saarbrücker Juden. Im Lauf der Zeit sei ihre Zuversicht jedoch gewachsen, »mehr und mehr nahm man am öffentlichen Leben teil, zu den Konzerten wurden auch nichtjüdische Mitbürger eingeladen, erste Führungen durch die Synagoge fanden statt«.

Gesellschaft Vor 76 Jahren habe sich das vermutlich niemand vorstellen können, stellt die Gemeindevorsitzende fest, aber »heute können wir mit Recht sagen: Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft!«.

Ricarda Kunger kommt aber auch auf das zu sprechen, worüber sich derzeit viele Juden in Deutschland Sorgen machten: »Der wiederaufkeimende Antisemitismus ist mitten in unserer Gesellschaft angekommen«, sagt sie und erwähnt nicht nur den wenige Tage zuvor erfolgten »Angriff radikaler Islamisten auf die Synagoge in Bonn«, sondern auch »rechts- und linksradikale Gruppen, die ihrem Judenhass freien Lauf lassen«. Die demokratische Gesellschaft tue sich bedauerlicherweise »noch 76 Jahre nach dem Holocaust schwer, sich dieses Antisemitismus zu erwehren«. Das Internet mache es Judenhassern leicht, Indoktrination werde dort »strategisch organisiert durch zunächst nicht sofort erkennbare niedrigschwellige Botschaften«. Straftaten müssten konsequent verfolgt werden, zudem müsse Antisemitismus »auch durch zu schaffende aktive Gegenangebote bekämpft werden«.


Der Synagogenbau ist »ein einzigartiger Vertrauensbeweis«.

Ministerpräsident Tobias Hans

Alle Menschen, egal welcher Herkunft und welcher Religion, sollten »hier frei leben können, dies ist Garant für ein liebens- und lebenswertes Saarland und die Zukunft der Gemeinde«, fügte Kunger hinzu.

Urkunde Man feiere heute ein dreifaches Jubiläum, sagt Tobias Hans, Ministerpräsident des Saarlandes: »Vor 700 Jahren wurde jüdisches Leben an der Saar zum ersten Mal urkundlich erwähnt, vor 75 Jahren wurde die Saarbrücker Synagogengemeinde neu gegründet und vor 70 Jahren die neue Synagoge eingeweiht.«

Und er betont die Dankbarkeit, dass es im Saarland »nach den Schrecken der Schoa und all dem himmelschreienden Unrecht« wieder jüdisches Leben gibt.

Der Bau der neuen Synagoge sei »ein einzigartiger Vertrauensbeweis gewesen, trotz aller Skepsis«. Es sei »ein buntes, fröhliches, kulturell wie religiös erfülltes Leben in der Synagoge entstanden, ein selbstverständliches Hiersein«.

Dass der SR den Festgottesdienst live übertrage, sei ebenfalls ein Zeichen, wie wichtig das jüdische Leben im Saarland sei. Was Ministerpräsident Hans zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte: 800.000 Zuschauer haben diese Übertragung laut den veröffentlichten Einschaltquoten live gesehen.

Die Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen nennt Hans »unerträglich« und betont: »Auch wenn es bei uns im Saarland nicht zu solchen Vorfällen gekommen ist, ist es unerträglich zu sehen, dass in Deutschland offen Antisemitismus zur Schau getragen wird.« Wer das Existenzrecht Israels attackiere, wer Antisemitismus, Hass, Gewalt propagiere, »der greift nicht nur unsere jüdischen Mitbürger an, sondern greift uns alle persönlich an, der greift mich als Christ an, und diese Botschaft muss man auch noch einmal senden: Für diese antisemitischen Vorgänge ist in unserer Gesellschaft kein Platz.«

Der Präsident des saarländischen Landtags, Stephan Toscani, spricht ein Gebet »im Namen unseres Landes, seiner Regierung und seines Parlaments«. Es ist eine Bitte um Liebe, Kameradschaft, Frieden und Freundschaft statt Hass, Neid und Streit, »für alle Völker und Glaubensgemeinschaften, die in unserem Land wohnen«.

Herzen Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, spricht ein Gebet für Israel. »Gib Frieden dem Land und ungetrübte Freude allen seinen Bewohnern. Vereinige unsere Herzen in Liebe und Achtung vor deinem Namen und segne auch diese Gemeinde mit Gesundheit, Eintracht und Frieden«, heißt es darin unter anderem. Auch Roland Rixecker, Beauftragter für das jüdische Leben und den Kampf gegen Antisemitismus im Saarland, spricht ein Gebet, nämlich das für die Gemeinde.

Es werden Gebete für den Landtag, für Israel und für die Gemeinde gesprochen.

Uwe Conradt, Oberbürgermeister von Saarbrücken, blickt in seiner Rede nicht nur auf diejenigen zurück, die die Gemeinde neu gründeten, wie er sagt. Er spricht Stereotype und Vorurteile an, »die seit Jahrhunderten immer wieder neu den Nährboden« für Antisemitismus bilden, »weil sie immer wieder wiederholt werden«. Eine demokratische, offene Gesellschaft müsse daher immer an der Seite derjenigen stehen, die für die Grundwerte stehen. »Für uns in der Bundesrepublik ist damit auch immer das Existenzrecht Israels verbunden«, betont er, »wir stehen fest an der Seite der Synagogengemeinde und des Staates Israel«.

Die Aufzeichnung der Feststunde können Sie in der SR-Mediathek hier sehen.

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