ZWST

Machane inklusive

Nathan* liebt geordnete Verhältnisse. Geregelte, strukturierte und vertraute Abläufe, auf die er sich idealerweise schon morgens einstellen kann, sind für den Zehnjährigen wichtig. Im Kindergarten fiel er manchmal durch sein Verhalten auf, in der Schule wurde dann bei ihm das Asperger-Syndrom, eine leichtere Variante von Autismus, diagnostiziert. S

chon kleinste plötzliche Veränderungen im Tagesablauf können mitunter unerwartete Reaktionen bei Nathan auslösen. Das sei typisch für Menschen mit dieser Art von Entwicklungsstörung, erklärt Nathans Mutter Rivka*. Deshalb reagiert Nathan oft anders, als man es vielleicht von einem Zehnjährigen erwartet. Ab und zu wirkt er von seinem Verhalten her viel jünger. Ebenso braucht er im Alltag mehr Unterstützung.

Reisen In der Schule hat er aufgrund seines manchmal ungewöhnlichen Verhaltens keine länger dauernden Freundschaften und wird eher selten zu Geburtstagsfeiern eingeladen, erzählt seine Mutter. Im Alltag – und erst recht in den Ferien – können jedoch die gewohnten Strukturen nicht immer aufrechterhalten werden.

In diesem Sommer wird der Zehnjährige auf ein Machane der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) in Bad Sobernheim fahren. Er freut sich schon sehr. Ihm wird ein Madrich zur Seite stehen. Aaron Mayer soll Nathan während der zweiwöchigen Sommerfreizeit dabei helfen, in seiner Alltagsroutine zu bleiben – dank der neuen ZWST-Initiative »Integrative Machanot – ein inklusives Projekt«.

Der Vorschlag hatte Aaron begeistert. Als er gefragt wurde, ob er sich vorstellen kann, Nathan zu betreuen, sagte er sofort zu. Aaron lebt in Mannheim, rund 240 Kilomenter von Nathan entfernt. Der 17-Jährige ist in der Gemeinde aktiv und Madrich im Jugendzentrum. Mit Nathans Eltern steht er bereits regelmäßig in Kontakt. Demnächst wollen die beiden Jungen auch mal skypen.

EMG-Machane Die ZWST bietet üblicherweise im Sommer mehrere Machanot an: Die Acht- bis Elfjährigen fahren nach Bad Sobernheim, die Älteren nach Italien und – in diesem Jahr etwas ganz Besonderes – zu den European Maccabi Games (EMG) nach Liebenwalde bei Berlin. Nathan kennt Bad Sobernheim schon aus dem vergangenen Jahr, das Max-Willner-Heim ist ihm vertraut. Das hilft.

Im vergangenen Jahr hatte Nathan dort sofort Anschluss gefunden. »Am Ende des Machane hat er sogar von seinem Taschengeld Getränke und etwas zum Naschen gekauft und seine neuen Freunde zu einer selbst organisierten Party eingeladen«, erzählt Nathans Mutter stolz. »Am besten ist es, ihm den Tagesablauf aufzuschreiben, denn er kann sich schlecht etwas merken«, gibt sie dem Madrich per Telefon mit auf den Weg.

Doch das weiß Aaron längst. Er hat sich intensiv mit Nathans Störung beschäftigt. Im Rahmen des Projekts, das die ZWST im Frühjahr ins Leben gerufen hat, wurde Aaron professionell geschult.

Die ZWST will gezielt Voraussetzungen dafür schaffen, dass behinderte Kinder an ihren Sommerfreizeiten teilnehmen können. »Sie gehören auch zu uns«, versichert Dinah Kohan, Koordinationsleiterin des ZWST-Projekts »Menschen mit Behinderung«. Und daher war es für sie gar keine Frage: »Natürlich kommt Nathan mit«, sagte sie spontan.

ansprechpartner Nathan ist der zweite Junge, der trotz seiner Störung in dieser Gruppe der Acht- bis Elfjährigen mitfahren kann. Im vergangenen Sommer war er auch der Einzige. Mit dem Freiburger Jugendzentrumsleiter David Weiß habe sie einen kompetenten Mitstreiter gewonnen, erzählt Kohan. Er ist Ansprechpartner für die Gemeinden, die das ZWST-Angebot in Anspruch nehmen wollen, und knüpft die Fäden zwischen Gemeinden, Familien und Betreuern – so wie im Fall von Nathan und Aaron.

David kennt die beiden gut. Daher war der 17-jährige Mannheimer für David Weiß von Anfang an erste Wahl. »Ich bin mir sicher, dass er zu Nathan eine gute Beziehung aufbauen wird«, sagt er. Im vergangenen Jahr betreute er Nathan in Bad Sobernheim selbst. »Nathan ist ein lebhafter Junge, der schnell mit Menschen in Kontakt kommt«, weiß der Freiburger. In der Ferienfreizeit gab es aber auch immer wieder Situationen, die er nicht mehr unter Kontrolle zu haben glaubte. So konnte es mitunter passieren, dass Nathan andere Kinder beleidigte – die beschwerten sich dann bei David. Da half manchmal nur eines: »Wenn ich spürte, dass bei Nathan etwas schiefzulaufen drohte, habe ich ihn aus der Gruppe genommen«, erinnert sich der Betreuer.

Netzwerk » Indem alle zusammenarbeiten, können wir Nathan optimal betreuen«, betont Dinah Kohan. Dass alle weit voneinander entfernt leben, ist für die ZWST-Mitarbeiterin kein Problem: Projektleiter David Weiß ist mittlerweile gut vernetzt. Jetzt geht es darum, dieses Angebot in den Gemeinden auch bekannt zu machen.

So will sie in zukünftigen Anschreiben alle Gemeinden informieren. »Bislang haben wir die Möglichkeit, behinderte Kinder einzuladen, vor allem vereinzelt über Multiplikatoren verbreitet«, sagt Kohan. Das lag vor allem daran, dass die Einladungen zu den Machanot bereits im Februar an die Gemeinden verschickt wurden, das Inklusionsprojekt jedoch erst im März gestartet wurde.

Nathans Mutter ist von der ZWST-Offerte begeistert. Zumal sie im Vorjahr gute Erfahrungen mit dem Projekt gemacht hat – das gleichwohl damals noch informell lief. »Ich bin so froh, dass sie Nathan so akzeptiert haben, wie er ist, dass ihm eine normale, jüdische Kinderfreizeit ermöglicht wird und ihm nun offiziell jemand an die Seite gestellt wird, der ein Auge auf ihn hat und ihm in für ihn brenzligen Situationen hilft«, sagt sie.

Das ganze Jahr über hat Nathan von den zwei Wochen in Bad Sobernheim gesprochen. »Es lief alles so gut«, sagt seine Mutter. Nathan sei seitdem viel selbstständiger geworden. Darüber hinaus hat Nathan in Bad Sobernheim viel über das Judentum gelernt und sich dort viele Lieder aus dem Religionsunterricht einprägen können.

Jetzt wünschen sich Nathans Eltern, dass er nach und nach lernt, »auch im Alltag mit überraschenden Situationen besser zurechtzukommen«. Die zwei Wochen Sommermachane in Bad Sobernheim sind Ansporn und Schlüssel dazu.

Am besten haben ihm vor einem Jahr die Freizeit und das Binden von Freundschaftsbändern gefallen, sagt Nathan. Vielleicht kommen ja in diesem Jahr ganz viele neue hinzu. Nathan zählt schon jetzt die Tage bis zur Abreise.

(*Namen von der Redaktion geändert)

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Berlin

Davidstern-Gemälde an East Side Gallery beschmiert

Ein Gemälde an der bekannten East Side Gallery ist Ziel einer antisemitischen Schmiererei geworden. Der Tatverdächtige konnte gefasst werden. Bei der Begehung seines Wohnhauses fand die Polizei mehrere Hakenkreuze

 05.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 6. November bis zum 13. November

 05.11.2025

Auswärtiges Amt

Deutschland entschärft Reisehinweise für Israel

Nach Beginn des Gaza-Krieges hatte das Auswärtige Amt vor Reisen in Teile Israels gewarnt. Dies gilt so nicht mehr. Der Außenminister begründet das mit gewachsenem Vertrauen in den Friedensprozess

 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

B’nai B’rith

»Wie eine große Familie«

Delegierte aus 20 Ländern kamen zusammen, um sich eine neue Organisationsstruktur zu geben

von Ralf Balke  03.11.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an November-Pogrome

Zum 87. Jahrestag der NS-November-Pogrome von 1938 werden am Sonntag ganztägig die Namen der im Holocaust ermordeten Berliner Jüdinnen und Juden vorgelesen. Bei einem Gedenken am Abend wird Berlins Regierender Bürgermeister sprechen

 03.11.2025

Gedenkstätten

Gedenkzeichen für jüdische Ravensbrück-Häftlinge

Zur feierlichen Enthüllung werden unter anderem Zentralratspräsident Josef Schuster, die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und der Beauftragte für Erinnerungskultur beim Kulturstaatsminister, Robin Mishra, erwartet

 03.11.2025

Porträt der Woche

Zufluchtsort Musik

Naomi Shamban ist Pianistin, lebt in Dresden und hat eine Schwäche für Märchenfilme

von Alicia Rust  03.11.2025