Tradition und Gegenwart überlappen sich an diesem Ort. In einem Seitenflügel der 1910 als liberales Gebetshaus der damaligen Israelitischen Gemeinde eröffneten Westend-Synagoge steht Gabriela Schlick-Bamberger in einem Unterrichtsraum und freut sich über die digitale Tafel. »Richtig toll« sei das Smartboard – und vor allem in der Oberstufe auch sehr nötig, sagt die Leiterin der Jeschurun-Religionsschule der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. So könnten die Schülerinnen und Schüler etwa weiterführende Informationen und Aufgaben direkt per QR-Code von der Tafel abrufen.
In den Räumen, die vom Gründungsjahr 1966 bis 1986 die private I. E. Lichtigfeld-Schule beherbergten, erhalten jüdische Kinder aus allgemeinbildenden Schulen staatlich anerkannten jüdischen Religionsunterricht. Die Noten gehen in die Zeugnisse ihrer Schulen ein, auch kann Jüdische Religion als Abiturprüfungsfach gewählt werden. Die Jeschurun-Religionsschule ist laut Schlick-Bamberger so alt wie die – um 1948 neu gegründete – Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main. Die Unterhaltung einer Religionsschule ist bis heute im ersten Paragraf der Gemeindesatzung festgeschrieben.
Eine eigene Religionsschule unterhielt auch schon die von den Nationalsozialisten liquidierte, vor 1933 mehr als 20.000 Mitglieder zählende Israelitische Gemeinde Frankfurt. Die Religionsschule wurde 1879 vom konservativen Gemeinderabbiner Markus Horovitz eröffnet und befand sich ebenfalls im Westend. Deren Unterricht sei, ebenso wie die im selben Gebäude untergebrachte Synagoge, orthodox gewesen, erzählt Gabriela Schlick-Bamberger. Viele der damaligen Gemeindemitglieder hätten sich von ihrem Judentum entfernt: »Rabbiner Horovitz war es sehr wichtig, dass die jüdischen Schüler, die größtenteils auf allgemeinbildenden Schulen waren, jüdischen Religionsunterricht erhalten.«
Viele Kinder stammten aus Familien von Zuwanderern aus der ehemaligen UdSSR
Dieses Angebot wurde, so Schlick-Bamberger »damals ebenso überraschend gut angenommen wie heute«. »Die meisten meiner Schüler leben komplett religionsfern«, berichtet die seit 2014 amtierende Schulleiterin. Sie seien Kinder der Gemeinde, deren Eltern es wichtig sei, »dass ihre Kinder eine Basis jüdischer Religion und Lebensweise bekommen«. Viele Kinder stammten aus Familien von Zuwanderern aus der ehemaligen UdSSR, zudem kämen einige aus israelischen Familien. »Ich möchte, dass die Kinder eine jüdische Identität ausbilden, auch wenn sie nicht religiös sind und an staatlichen Schulen lernen«, betont Schlick-Bamberger.
Das Team der – nach einer in der Tora geläufigen poetischen Bezeichnung für das Volk Israel benannten – Jeschurun-Religionsschule umfasst fünf Lehrerinnen und Lehrer sowie zwei Verwaltungsmitarbeiter. »Wir haben zurzeit 80 Schüler«, sagt Gabriela Schlick-Bamberger, die ebenfalls zum Lehrerkollegium zählt. Neue Schülerinnen und Schüler seien immer, auch in der Mitte des Schuljahres, willkommen.
Das hessische Curriculum für das Fach Jüdische Religion umfasst laut Schlick-Bamberger zwei Schulstunden in der Woche. Der Unterricht richte sich nach dem Gymnasial-Curriculum, wobei Kinder aus sämtlichen Schulformen dabei seien: »Alle werden im Unterricht mitgenommen.«
Schabbatot und Ausflüge – etwa ins Jüdische Museum, in die SchUM-Städte und zur Judaika-Sammlung der Frankfurter Universitätsbibliothek – ergänzen das Jüdische Religion und Iwrit umfassende Unterrichtsprogramm. »Die Kinder kommen sehr gern«, weiß Gabriela Schlick-Bamberger zu berichten. An der Religionsschule finden sie »einen jüdischen Freundeskreis, den sie an ihren Schulen nicht haben«.
Eine AG rund ums Beten und Singen ist das nächste Vorhaben der Schulleiterin.
Schließlich sei es an öffentlichen Schulen nicht immer leicht, jüdisch zu sein – sie kenne auch Fälle von Mobbing. Die Jeschurun-Religionsschule möchte einen Ausgleich anbieten: »Hier ist ein Raum für die Kinder zum Jüdischsein, wo sie ihre jüdische Identität ausleben und ausbilden können.« Die Lehrer sprechen mit den Kindern und Jugendlichen auch über Israel und das dortige aktuelle Geschehen – »seit dem 7. Oktober noch öfter«, wie Schlick-Bamberger anmerkt.
Zur Jeschurun-Religionsschule stieß die im nahe gelegenen Bad Homburg geborene und aufgewachsene Historikerin und Judaistin im Jahr 2013, zunächst als Lehrerin. Der damalige Gemeinderabbiner Menachem Halevi Klein und Vorstandsmitglied Benjamin »Beni« Bloch hätten sie gefragt, ob sie Religion unterrichten möchte, erinnert sich Schlick-Bamberger. An der gemeindeeigenen Jüdischen Volkshochschule habe sie zuvor schon zu jüdischer Religion und Geschichte unterrichtet, dazu kam eine Dozentur am Leipziger Dubnow-Institut.
Der Wechsel zum schulischen Unterrichten war zunächst nicht selbstverständlich: »Ich hätte mir nie vorgestellt, Lehrerin zu sein.« Und doch ist Gabriela Schlick-Bamberger in der Lehrerrolle aufgegangen: »Es macht mir unheimlich Spaß, die junge Generation auf diese Reise ins Judentum mitzunehmen.« Ihre Arbeit empfindet sie als »toll und bereichernd«.
Dieses Jahr legten elf Abiturienten Prüfungen im Fach Jüdische Religion ab
»Die Kinder haben Lust darauf, jüdische Religion zu lernen«, freut sich Schlick-Bamberger. Und es macht ihr Freude, »zu sehen, wie die Kinder ihre jüdischen Wurzeln und ihr jüdisches Wissen entdecken und weiterentwickeln«. Ihre Schülerinnen und Schüler versucht Schlick-Bamberger bis zum Abitur zu begleiten. Dieses Jahr legten elf Abiturienten Prüfungen im Fach Jüdische Religion ab. Sie fanden im Frankfurter Adorno-Gymnasium statt, mit dem die Jeschurun-Religionsschule eine, so Schlick-Bamberger, sehr gute Zusammenarbeit verbindet. »Ich bin als Gast auch immer bei den Abiturprüfungen zugegen, damit meine Schüler wissen, dass ich für sie da bin«, versichert die Schulleiterin.
Eine AG rund ums gemeinsame Beten und Singen aufzubauen, ist ein Vorhaben, das Gabriela Schlick-Bamberger umsetzen möchte – »um allen Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, am Gebet teilzunehmen«. Kenntnisse von Gebetstexten und traditionellen Liedern könnten die Kinder in jeder Synagoge anwenden: »Es verbindet sie mit Juden in aller Welt.« Ihren Schülerinnen und Schülern möchte die Leiterin der Jeschurun-Religionsschule eine positive Einstellung zum Judentum mitgeben: »Unsere Religion ist eine Religion der Freude und Zuversicht und des Dankes an den Ewigen.«