Lesung

Literarische Begegnung

Bei »Würzburg liest« diskutierten Josef Schuster (r.) und Judith Jörg (M.) Der Schauspieler Rainer Appel (l.) führte durch den Abend. Foto: Stefan Römmelt

Würzburg steht in diesem Sommer ganz im Zeichen jüdischer Geschichte und Kultur. Vor Kurzem fand im »David-Schuster-Saal« des jüdischen Gemeindezentrums »Shalom Europa« ein Festakt statt, an dem als Hausherr auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken, teilnahm.

Die sehr gut besuchte Veranstaltung bildete einen Höhepunkt der etablierten Reihe »Würzburg liest ein Buch«, deren Co-Schirmherrschaft Josef Schuster mit dem Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt übernommen hat. 

SHANGHAI In diesem Jahr erinnert die vierte Auflage von »Würzburg liest ein Buch« an den 1933 bei S. Fischer in Berlin erschienenen Roman Frau ohne Reue von Max Mohr. Der jüdische Schriftsteller wurde 1891 in Würzburg geboren, verließ seine Heimatstadt zum Medizinstudium und lebte bis zu seiner Emigration 1934 in Südbayern, im Weiler »Wolfsgrub« bei Rottach am Tegernsee.

Die Hauptfigur Lina Gade entscheidet sich gegen ein Leben im vornehmen Grunewald.

Bekannt wurde der Mediziner, der 1931 auch eine erfolgreiche Rheumatiker-Fibel veröffentlichte, in der Weimarer Republik vor allem als Dramatiker. 1937 starb Mohr an einem Herzinfarkt in Shanghai. Nachdem er lange in Vergessenheit geraten war, wurde er in den 90er-Jahren wiederentdeckt.

Seit dem 15. Juli erinnert in seiner Heimatstadt auch eine Straße an den Literaten. Bei der Enthüllung des Straßenschildes wünschte Mohrs Enkel, der Filmemacher Nicolas Humbert: »Möge der anarchische Geist und die wunderbaren Ideen von Max Mohr durch die Stadt Würzburg wehen.« Christian Schuchardt sprach von einem »Akt der Wiedergutmachung« für den Arzt und Schriftsteller.

Durch den Abend führte der Schauspieler Rainer Appel, der sich mit Würzburgs Dritter Bürgermeisterin Judith Jörg und dem Zentralratspräsidenten über die Rolle der Frau und Max Mohrs Dasein als Mediziner unterhielt. Schuster wies mit Blick auf Mohrs »Brotberuf« auch darauf hin, dass im Judentum das Lernen eine äußerst wichtige Rolle spielt.

Der Fokus der Veranstaltung lag auf Mohrs Wiederentdeckung als Autor und historische Persönlichkeit.

Es sei typisch für jüdische Eltern, die Kindern erst einmal »etwas Anständiges« lernen zu lassen. Er hob außerdem Mohrs Hellsichtigkeit hervor: Der Mediziner habe schon sehr früh die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus erkannt und sei deshalb bereits 1934 nach Shanghai ausgewandert. »Allein die Entscheidung zu treffen, Deutschland 1934 zu verlassen, da muss man eine Ahnung haben, was einem bevorstehen könnte«, sagte der Zentralratspräsident. 

Der Fokus der Veranstaltung lag auf Mohrs Wiederentdeckung als Autor und historische Persönlichkeit. Das Bonner Verlegerpaar Barbara und Stefan Weidle erzählte von der eher zufälligen Erstbegegnung mit dem Autor bei der Suche nach historischen Fotografien des 1939 verstorbenen Schriftstellers Ernst Toller.

LIEBE Wie Max Mohrs Enkel, der Filmemacher Nicolas Humbert, berichtete, hatte sein Großvater »einen starken Reflex gegen alle Massenbewegungen und Großsysteme« – gegen Sozialismus, Kommunismus und auch den Nationalsozialismus.

Entscheidend für Mohr sei die Liebe gewesen: Im Werk des Schriftstellers gehe es immer um den »auf sich gestellten, einzelnen Menschen, der in Nächstenliebe und im Einklang mit den natürlichen Lebensbedingungen zu sich selbst findet«, sagte Humbert. Sein Großvater sei auch ein früher Vorläufer der Ökologiebewegung. »Darin liegt seine Kraft und Aktualität«, so der Filmemacher.

Mohr hatte »einen starken Reflex gegen alle Massenbewegungen«.

Der für Max Mohr typische, ausgeprägte Individualismus bestimmt auch die Persönlichkeit von Lina Gade, der Hauptfigur des Romans Frau ohne Reue. Wie Mohr stammt Gade aus großbürgerlichem Haus, und ebenfalls wie Mohr bricht die Mutter einer Tochter, die mit einem Berliner Bankier verheiratet ist, aus dem behüteten »Goldenen Käfig« im Berliner Grunewald aus.

Sie verlässt ihren Mann und lebt mit dem mittellosen Reporter und Bohemien Paul Fenn zusammen. Nach der Entführung ihrer Tochter Jane lässt sich Gade mit Fenn auf einem Bergbauernhof in Tirol nieder – auch das eine Parallele zu Mohr, der zum Zeitpunkt der Entstehung des Romans schon lange mit Frau und Tochter in der »Wolfsgrub« lebte.

Gelingt Gades Ausstiegs-Experiment? Darauf wurde an diesem Abend nicht eingegangen, denn schließlich soll jeder den Roman für sich neu entdecken. 

SCHÜLER Einen Akzent setzte die abschließende Preisverleihung an Vertreter von vier Gymnasien: dem Würzburger Siebold-, dem Röntgen- und dem Riemenschneider-Gymnasium sowie dem Karlstädter Johann-Schöner-Gymnasium.

Das Literaturfestival beleuchtet auch das familiäre, künstlerische und historische Umfeld Max Mohrs.

Die Oberschülerinnen und Oberschüler aus den rund 30 Kilometer voneinander entfernten Mainstädten hatten sich kreativ mit Frau ohne Reue auseinandergesetzt. Am 23. Juli werden die Beiträge der Karlstädter Gymnasiastinnen bei einer szenischen Lesung des Romans im Bürgersaal des Historischen Rathauses von Karlstadt präsentiert.

Das Literaturfestival »Würzburg liest ein Buch« beschränkt sich nicht nur auf Frau ohne Reue: Die Veranstaltungen, die noch bis zum 25. Juli gehen, beleuchten auch das familiäre, künstlerische und historische Umfeld Max Mohrs.

Vorgetragen werden unter anderem Briefe Mohrs aus seiner Zeit in Shanghai an Frau und Kind, die in Nazi-Deutschland zurückblieben, sowie aus dem Briefwechsel zwischen Mohr und Thomas Mann ebenso wie Briefe aus Mohrs Korrespondenz mit dem ihm freundschaftlich verbundenen englischen Schriftsteller D. H. Lawrence.

Max Mohr: »Frau ohne Reue«. Mit einer biografischen Skizze von Roland Flade und einem Nachwort von Stefan Weidle. Weidle, Bonn 2021, 224 S., 14 €

In einer früheren Version war die Hautfigur fälschlicherweise als Lisa Gade benannt worden. Wir haben dies korrigiert und bitten, diesen Tippfehler zu entschuldigen.

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025