Studie

Liebe auf den zweiten Blick

Zugewandert oder alteingesessen: Bei Kindern spielt das keine Rolle. Foto: Uwe Steinert

Wer mag, kann an einem ganz normalen Wochenende in einer deutschen Großstadt einem jüdischen Fußballturnier zuschauen, anschließend koscher essen gehen und sich überlegen, ob er abends nach dem jüdischen Kammerkonzert noch in den Club geht, wo der DJ aus Israel auflegt.

Jüdisches Leben in Deutschland hat wieder allerhand zu bieten. Doch dahinter steckt harte Arbeit. Das machte der Vortrag von Doron Kiesel, Professor für interkulturelle und internationale Pädagogik und Leiter des Fachbereichs jüdische Sozialarbeit an der Fachhochschule Erfurt, zum Auftakt der neuen Reihe »Medaon Lectures« in Dresden deutlich. Mit der Vortragsreihe sollen Themen aus »Medaon«, der wissenschaftlichen Online-Zeitschrift für jüdisches Leben, stärker in die Öffentlichkeit getragen werden.

Projekt Die Vortragsreihe startet pünktlich zum Erscheinen der zehnten Ausgabe des ehrenamtlich erstellten Magazins und zum 20-jährigen Bestehen des Vereins »Hatikva«, aus dem die Publikation hervorging. »Die Lectures werden auch aus den klassischen Themen ausbrechen«, verspricht Publizistin Heike Liebsch.

»Jüdisches Leben heute – Realität und Erwartungen« war das Thema von Doron Kiesel. Der Sozialwissenschaftler ging vor allem auf die Entwicklung der Gemeinden vor und nach der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ein.

Vor diesem Datum habe man davon ausgehen müssen, dass jüdisches Leben aus Deutschland verschwindet. »Die Juden im Westen Deutschlands saßen auf gepackten Koffern«, so Kiesel, der selbst Mitglied der Gemeinde in Frankfurt am Main ist. Heute ist die jüdische Gemeinschaft in Deutschland diejenige, die in Europa am schnellsten wächst. Und: »Es ist eine unvorstellbare Dynamik im Hinblick auf die Darstellung jüdischer Identität entstanden«, erklärt Kiesel.

Dabei sei es keine Liebe auf den ersten Blick zwischen den Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und den Alteingessenen gewesen. Kein Wunder, denn die Voraussetzungen konnten nicht unterschiedlicher sein. Während sich die Juden in Köln, Frankfurt oder Mainz über ihre Religion definierten und im Gedenken an die Schoa als Mahner sahen, wussten viele der als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland Gekommenen wenig über die Judenverfolgung in der NS-Zeit und fast nichts über ihre Religion.

Was eine jüdische Gemeinde ist, war durchaus nicht jedem klar. Rund 120.000 jüdische Einwanderer ließen die Gemeinden sogar ganz links liegen. Als »blankes Entsetzen« beschreibt Kiesel die Reaktion der deutschen jüdischen Gemeinden, die so große Hoffnungen auf die Verstärkung aus dem Osten gesetzt hatten.

Aufgaben Auch heute sei zwischen den »alten« und den »neuen« deutschen Juden noch nicht alles im grünen Bereich. Doch der Sozialexperte Kiesel beruhigt: »Ich schlage eine gewisse Gelassenheit vor. Anpassung dauert manchmal mehrere Generationen. Aber wir haben schon viel gelernt.«

Die Zugezogenen wüssten die Erfahrung der Alteingesessenen zu schätzen, und die Gemeinden seien froh über die gut ausgebildeten, oft musisch begabten Kinder der Zuwanderer, die heute das Gemeindeleben durch ihr Engagement bereichern. »Die Kinder sind eine echte Erfolgsstory«, fasst Kiesel zusammen. In 20 Jahren würden sie es sein, die die Arbeit der Gemeinden prägen und weiterentwickeln, prognostiziert er. »Das kann nur gut gehen.«

Der Professor von der Fachhochschule Erfurt rechnet sogar damit, dass viele junge Juden, deren Eltern das Gemeindeleben nicht pflegen, nach ihren Wurzeln suchen und bei den Gemeinden anklopfen werden.

Prognose In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Unterschiede zwischen dem jüdischen Leben in der Bundesrepublik und der DDR vor der Wende. Die Juden im Osten Deutschlands hätten nicht auf den »gepackten Koffern« gesessen, betont Herbert Lappe von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. Und vermutlich sei der Zusammenprall der Kulturen zwischen den Juden aus der DDR und den Zuwanderern aus der Ex-Sowjetunion weniger heftig gewesen.

»Heute sind zwischen den west- und ostdeutschen jüdischen Gemeinden aber kaum noch Unterschiede auszumachen«, ergänzte Nora Goldenbogen, die Vorsitzende der Dresdner jüdischen Gemeinde, und teilt damit die Meinung einiger westdeutscher Kollegen.

Goldenbogen wertet es als Erfolg, dass zum Auftakt der »Medaon Lectures« rund drei Dutzend Interessenten den Weg in die Synagoge am Hasenberg gefunden hatten. »Es ist schön, dass die Synagoge wieder als Diskussionshaus genutzt wird.«

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